Die kleine Orchidee

 

 In aller Ruhe genieße ich das Frühstück und räkle mich behaglich in der momentanen Stille. Absichtslos wandert der Blick über die kahlen Bäume vor dem Fenster, an deren Äste Regentropfen im Licht glitzern, und zurück zu den Bildern und Möbeln unseres gemütlichen Esszimmers. Einige Herzschläge lang schließe und öffne ich die Augen, bin einfach nur da. Wie durch ein Wunder bekommt alles um mich Leben und Farbe. Bis in die Fingerspitzen pulsiert diese Erfahrung. Kann ich den Sinnen trauen, in Worte fassen, was sich mir zuträgt?

Ich sitze am ausladenden, ovalen Tisch im lichten Esszimmer; allein, aber keineswegs einsam. Oft saßen wir hier vergnügt bei Mahlzeiten und Gesprächen mit unseren Kindern, Verwandten, Freunden und Gästen. In der anhaltenden Stille drängt es mich, Gedanken undWünsche fliegen zu lassen. Ich stelle mir vor, der Tisch würde größer und größer und alle Menschen, die uns lieb und teuer sind, fänden hier Platz, obwohl in Wirklichkeit nur wenige Stühle frei sind. Wohin würde mich die heitere Stimmung führen, wenn ich verzichtete, der Fantasie Fesseln anzulegen?

Einer hübschen Orchidee, die uns Freunde zu Weihnachten schenkten, gelingt es unvermutet, mein Interesse zu wecken. In deutlichem Kontrast zu der mit spärlichen Schneeresten behafteten, frostigen Umgebung, dem grau in grau, Wolken verhangenen Himmel, und den regungslos schweigenden Bäumen, zeigt sie am Ende des Tisches ihre ganze Pracht: Ein kräftiger, nur wenige Hände hoher Stil, verleiht ihr Halt. Formenreich dehnen sich die Triebe nach allen Seiten aus und präsentieren in einladendem Gelb, das in Goldtöne hinein spielt, schmucke, sternförmige Blütenstände. Der glänzende, grüne Übertopf, in dem sich schattenhaft die Umrisse des Esszimmers spiegeln, hebt kontrastreich, die Farben der Orchidee hervor. Einige dunkelgrüne, fettglänzende Blätter, die das schwache Licht der trüben Sonne reflektieren, verteilen sich seitwärts. Staunend begegnen wir einander für eine Weile, als könnten wir uns, wie zeitlos Liebende, in die Seele schauen.

Mein Vater kommt in den Blick: Ein Gemälde von seiner Hand, zwei Jahre nach meiner Geburt, im Stile Feiningers gestaltet, in hell- grauen, blau- und rosefarbenen Tönen, mit einem strahlenden Lichteinfall vom rechten oberen Bildrand, zeigt eine nordafrikanische alte Stadt, die sich um ein turmartiges, hohes Gebäude schart und dem abstrakten Gebilde einen festen Mittelpunkt verleiht. Schön, dass mir mein Vater im Bild gegenüber Gesellschaft leistet. Nachdenklich überlasse ich mich einem plötzlichen Einfall:

Vorgestern waren es sechsunddreißig Jahre, seitdem wir uns in der kleinen Apostelkirche am Friesenring in Münster das Eheversprechen gaben. Von da an begannen wir, begeistert, Biedermeier-Möbel zu sammeln. Jedes neue Stück musste zu unserer Einrichtung passen und bezeugt eine je eigene Erwerbsgeschichte. Die Möbel selbst verraten diese Geheimnisse nicht. Sie erfreuen aber jedes Auge mit ihren hell-braunen, leuchtenden Farben und der natürlichen Maserung ihrer Oberfläche.

Ich sitze auf einem, der uns geschenkten Stühle, die mit schwarzem Rosshaarbezug und kunstvollen, schwarz-gold-messing- dekorierten Rückenlehnen versehen sind. Mehrere, der zusätzlich im Raum verteilten Stühle dieser Art, warten geduldig auf Gäste. Zu Rechten, an der Wand, behauptet sich unsere Kommode. Auf ihr sind seit Weihnachten zwei Laternen zu sehen, die uns als Geschenke der Töchter, ins neue Jahr leuchten sollen. Daneben und auf dem Fensterbrett zur Linken, stehen weitere Orchideen in voller Blüte, Geschenke eines Freundes aus der Schweiz Über der Kommode hängt ein von meinen Schwiegereltern sehr geschätztes Ölbild, das sie lange Zeit begleitete und uns anvertrauten.

Es stellt in grün-grau-bräunlichen Farbtönen, eine sich weit in den Horizont erstreckende, niederländische Landschaft dar. Der erdige  Geruch des endenden Winters und die Kraft des Vorfrühlings sind  zu spüren: Im Vordergrund wartet ein eiserner Pflug darauf,  die Erde umbrechen zu dürfen. Einige wenige Schneeflecken, wetteifern in Weiß mit den ansonsten eher dunklen Tönen des Bildes. Links im Hintergrund versteckt sich ein Dorf. Der Kirchturm lässt dessen geistlichen Mittelpunkt erahnen. Das Bild erinnert mich an beglückende Stunden mit »Vati und Mutti«.

Hinter mir steht die vertraute Vitrine, deren Scheiben den Blick auf das kostbare, weiß lasierte Service für die Festtage frei geben. Ich kann, ohne mich umblicken zu müssen, den neben der Türe zur Küche stehenden Biedermeier-Eckschrank und das ihn ergänzende, edlekleinere Schränkchen darüber, voll gefüllt mit Tellern und Tassen, erkennen

In Abwesenheit meiner Frau, stört es keineswegs, dass unser Frühstückstisch noch nicht aufgeräumt ist. Das momentane Durcheinander harmoniert nämlich sehr gut mit der, eine natürliche Ordnung ausstrahlenden, kleinen Orchidee. Alle Möbel im Esszimmer gewinnen zunehmend ein Eigenleben, werden zu Symbolen, die über sich hinaus weisen: Obwohl der Orient-Teppich zu meinen Füßen, der Tisch und Stühle trägt, nicht nach Osten ausgerichtet ist, lädt er zur Besinnung ein. Einige Atemzüge lang, spüre ich den beruhigenden Rhythmus des Lebens, der, wie die am Ufer des Meeres versandenden Wellen, ewigen Gesetzen folgt. Die Hände falten sich unwillkürlich. Ich erahne den Segen des Augenblicks. Das Stundenbuch neben mir auf dem Tisch, das eben noch als Gebetshilfe diente, benötige ich nicht mehr. Es betet in mir. Tief bewegend, bahnt sich die Freude ihren Weg.

Ohne zu zögern, folge ich einer Eingebung und biete Gott-Vater, Sohn und dem heiligem Geist spontan die drei freien Stühle an. Gleichzeitig wundere ich mich über diese kühne Fantasie. Und gedrängt, von einer mich momentan leitenden Großzügigkeit, bitte ich auch die Gottesmutter, Petrus und Paulus, stellvertretend für alle, die mir im Glauben nahe sind, sich in unserem Frühstücks-Paradies zu mir an den Tisch zu setzen. Sie finden alle ihren Platz ihren . Engel jubeln bei diesem stillen Geschehen indes nicht laut, wie an Weihnachten, sondern wedeln nur leise und sacht mit ihren Flügeln. Einige Tränen besiegeln die Wahrheit dieser lichtvollen Erfahrung. Eine mir sehr vertraute Szene der Heiligen Schrift, gewinnt in dieser Situation tiefere Bedeutung: Als nicht die Jünger von Emmaus, sondern der Herr selbst, ihnen die Schrift erschloss, entbrannte deren Herz. Welch ein Trost!

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Handtasche

 

Nach längerem Abwägen, fällt die Entscheidung: Sie wünscht sich zum Geburtstag eine neue Handtasche. Das war geschafft! Ich erkläre mich unvorsichtigerweise bereit, sie zum Einkauf in die Stadt zu begleiten. Erwartungsvoll sitzen wir in der Regionalbahn. Wie üblich, sind wir an diesem Tag nicht die einzigen Kauflustigen, bahnen uns den Weg durch die Menge und steuern das Ziel, ein großes Kaufhaus an.

Ich kenne das Kaufhaus von verschiedenen Besuchen. Meine Frau und die Töchter, fühlen sich im Unterschied zu mir in solcher Umgebung pudelwohl. Es scheint sie keineswegs zu ermüden, beutegierig durch alle Abteilungen der verschiedenen Etagen zu streifen, um die angebotenen Waren nach Mode, Qualität und Preis zu prüfen. Stets auf dem Sprung zum nächsten Artikel oder einem »Schnäppchen«, steht ihnen das Jagdfieber ins Gesicht geschrieben. Gewöhnlich suche ich mir bei derlei Unternehmungen einen Stuhl, um abzuwarten, bis mir ein »Fundstück« zur Beurteilung vorgelegt wird.

In derlei Situationen empfiehlt es sich, nicht zu bezweifeln, dass die Damen selbst am Besten in der Lage sind, Nutzen und Kosten ihrer Auswahl einzuschätzen. Und sollte sich in mir manchmal die Idee entwickeln, als Mann auch erkennen zu können, was einer Frau gut zu Gesicht steht, unterdrücke ich umgehend derlei wenig hilfreiche Gedankenspiele.  Erfahrungsgemäß führt das ja nur dazu, dass meine Damen im besten Falle einen von mir vorgeschlagen Gegenstand mit deutlich geringschätzigen Blicken in die Hand nehmen, um ihn nach kurzer Prüfung wieder ins Regal zurück zu legen.

Die gutgemeinte Absicht, meine Frau zu begleiten, um sie durch mein Interesse am Einkauf zu erfreuen, war an diesem Tag so dominant, dass ich mich nicht mehr an frühere, enttäuschende Erlebnisse zu erinnern vermochte, die zu einer längeren Einkaufsabstinenz meinerseits führten. Zudem war ich mir einigermaßen sicher, in der Obhut meiner Frau bei Laune zu bleiben und in dem riesigen Kaufhaus nicht verloren zu gehen. Als geheime Notfallplanung beabsichtigte ich, mich gegebenenfalls in das Restaurant zurück zu ziehen, um dort abzuwarten, bis die unbändige Kauflust meiner Frau abgeklungen ist. So gewappnet, schaue ich dem weiteren Verlauf des Einkaufs relativ gelassen entgegen.

Wir beginnen das Unternehmen „Handtaschenkauf“, strategisch nachvollziehbar, im obersten Stockwerk: An den unmöglichsten Plätzen und Verstecken, gibt es in dieser Abteilung eine reichliche Auswahl verschiedener Handtaschen, in allen nur erdenklichen Farben und Größen. Ich folge meiner Frau in sicherem Abstand, um nicht aufdringlich zu erscheinen und sie nicht aus den Augen zu verlieren. Sie geht mit frischem Elan zielstrebig auf die ersten Taschen zu, wiegt sie in der Hand, prüft das Leder und die Einteilung, hängt sie sich probeweise links, dann rechts über die Schulter, tritt prüfend vor den nächsten Spiegel, um sie der Reihe nach dann wieder in die Regale zurück zu stellen. Nach einiger Zeit haben wir auf diese Weise das oberste Geschoß ineffektiv durchforstet.

Mit ungebrochenem Jagdfieber begeben wir uns auf Beutesuche im dritten Obergeschoss: Das Angebot ist verblüffend vielfältig. Taschen über Taschen stehen in größeren und kleineren Regalen. Ich habe noch nie in meinem Leben so viele Taschen gesehen. Es entwickelt sich in mir die abstruse Vorstellung, dass es nicht genügend Frauen geben könnte, um sie alle zu kaufen. Möglicherweise kann dies aber nur einem Mann einfallen. Meine Frau hingegen schreitet wieder kurz entschlossen auf die Taschen zu: große und kleine, rote und braune, schwarze und weiße, Einkaufstaschen und auserlesene Objekte für die »Dame von Welt«. Es mögen an die hundert Taschen gewesen sein, die sie prüfte, um sie dann wieder an ihren Platz zu stellen.

Meine Enttäuschung hält sich immer noch in Grenzen. Ich betrachte es aber als meine fürsorgliche Aufgabe, warnend darauf hinzuweisen, dass es kaum ein anderes Geschäft in dieser Stadt gebe, das ein ähnlich umfangreiches Taschen-Sortiment anböte. Sie möge daher die Hoffnung nicht aufgeben, fündig zu werden. Dieses Hinweises hätte es nicht bedurft, denn wir befinden uns mittlerweile im zweiten Obergeschoß. Und wie es das Schicksal will: Es gibt Taschen in allen Variationen. Mir sind ähnliche Objekte in dieser Reichhaltigkeit früher gar nie aufgefallen. Wo hatte ich bloß meine Augen? Wir nehmen wieder mit Regalen Kontakt auf, längere, kürzere, hohe und niedrige, alle prall gefüllt mit Taschen. Mich überkommt ein erstes Schwächegefühl und ich setze mich auf einen der Stühle in der Nähe meiner Frau. Wenn ich gelegentlich bemerke, dass sie eine Tasche besonders ausgiebig betrachtet, erhebe ich mich, um sie mit einem vorsichtigen Rat beim Kauf zu unterstützen. In der Regel bedarf es einer solchen Schützenhilfe nicht, denn wenn ich es wage, eine Tasche chic zu finden, kann ich nahezu sicher sein, dass sie unweigerlich ins Regal zurück wandert.

Es überrascht mich nicht mehr sonderlich, auch im ersten Obergeschoss reichlich Taschen zu sehen. Innerlich seufze ich bereits: » Nichts als Taschen, wo soll das noch enden? « Zusehends nähere ich mich der Belastungsgrenze. Manchmal kommt es mir vor, als wäre ich dabei, die Taschen schon doppelt zu sehen. Die Taktik meiner Frau bei der Wahl eines Objekts, scheint mir inzwischen ausreichend klar: Tasche anschauen, Einteilung und Leder prüfen, Farbe auf sich wirken lassen, gelegentlich Tasche links, dann rechts umhängen, vor den Spiegel treten, die Tasche wieder in´s Regal zurück stellen.

Langsam dämmert es mir, sie könne möglicherweise gar nicht so recht wissen, was sie kaufen will. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass sie diese Tatsache irgendwie störe. Eher beginne ich mich selber ein wenig verlassen zu fühlen. Sie scheint nur noch Augen für Taschen zu haben. Stellen Sie sich einmal vor, zu welchen ehelichen Belastungen es führte, wenn ich über diesen Zustand klagte. Ein guter Engel und langjährige Erfahrungen mit Frau und Töchtern, bewahrt mich vor solchem Missgeschick. Ich trabe daher, etwas verdrossen, stumm wie ein Fisch, hinter meiner Frau her.

Es geht noch ein Stockwerk tiefer. Ich glaube, mich trifft der Schlag! Da ist sie, »die Spezialabteilung für Damentaschen«. Ich nehme alle Kräfte zusammen, um mit meiner Frau -wie zu erwarten, ineffektiv- noch einige Regale nach der Methode: Anschauen und Zurückstellen, nach einer geeigneten Tasche durch zu stöbern. Dann gebe ich mich geschlagen und sage: » Ich kann nicht mehr; ich brauche frische Luft! « Ein etwas überrascht, enttäuscht-kritischer Augenaufschlag meiner Frau ist die Antwort. Dann großzügig, als litten Männer chronisch beim Einkauf unter Konditionsschwierigkeiten, die Absolution mit der Frage: » wo treffen wir uns? « Ich kenne nur das Cafe in der Nähe des Schlossplatzes. Wir vereinbaren, uns dort zu treffen.

Mit raschen Schritten verlasse ich das Kaufhaus und erhole mich auf der belebten Königsstraße bei einem Akkordeonisten, der seinem Umhängeschild nach, in Russland schon verschieden Preise gewann. Er spielt hervorragend Stücke von Bach und Händel. Ich komme etwas zur Ruhe. Beim Gang zum Treffpunkt bin ich bereits so auf Taschen fixiert, dass ich es auch ohne Frau nicht lassen kann, ein kleines Fachgeschäft zu betreten, um dessen Angebot zu prüfen. Mein Blick fällt auf ein interessantes „ weißes Stück“. Ich wage es, nach den aktuellen Erlebnissen beim Einkauf zu vermuten, dass diese Tasche meiner Frau gefallen könnte.

Ich sitze im Cafe: Es herrscht Hochbetrieb. Die Bedienungen kommen kaum nach. Einige Tische sind unappetitlich mit leerem Geschirr voll gestellt. Mit Mühe halte ich einen Platz für meine Frau frei. Endlich!  Sie kommt mit kleinem Gepäck – ohne Handtasche. Die Enttäuschung ist ihr ins Gesicht geschrieben. Die leeren Teller und Tassen auf den Tischen im überfüllten Cafe sind auch nicht geeignet, sie aufzuheitern. Wir nehmen einen Drink. Ich setze zu einem letzten Versuch an, die Stimmung zu retten und erweise mich als ein interessierter Taschenjäger. Ohne Überheblichkeit, wie nebenbei, gebe ich zu verstehen, dass ich in Ihrer Abwesenheit dem kleinen Fachgeschäft neben an einen Besuch abstattete, mit dem Verweis, wir sollten diese Option nicht auslassen. Ein müdes Lächeln zunächst, dann aber wieder dieser »Taschensuch-Blick« in den Augen meiner Frau. Ich habe ins Schwarze getroffen.

Wir bezahlen, verlassen den ungastlichen Raum und steuern gemeinsam das Fachgeschäft an. Eine überaus freundliche Verkäuferin nimmt uns in Obhut. Meine Frau sucht die Regale ab und zieht auf Anhieb, ich traue meinen Augen nicht, sie zieht »meine weiße Tasche« aus dem Regal, prüft das Leder, die Form, die Einteilung, hängt sie links und rechts um, fragt mich schließlich, ob sie mir gefalle? Ich halte mich aber mit aller nur erdenklichen Anstrengung zurück, mich zu äußern, in der Hoffnung, jetzt hat sie es. Bei der nachfolgenden Szene hätte ich in den Boden versinken können, hatte ich doch alles vermeintlich richtig eingefädelt. Meine Frau aber gibt der Verkäuferin eindeutig zu verstehen, die »weiße Tasche«  habe zwar einen gewissen Charme. Sie habe sich aber eine braune Tasche gewünscht. Das war es dann.

Meine Frau lehnt sich bei der Rückreise sichtlich erschöpft in den gepolsterten Sitz zurück. Ich bin nicht so sehr müde, eher verärgert; sind es doch nur noch Stunden bis zu ihrem Geburtstag. Wo bekomme ich denn nun eine Tasche her? Finstere Gedanken verfolgen mich. Was hat uns diese Reise in die Stadt gebracht? Es geht mir immer wieder durch den Kopf, braun muss sie sein, – und sie wird auch eine braune Tasche bekommen, aber nach meiner Einkaufsmethode! Anderntags befinde ich mich in unserem Schuhgeschäft in Backnang und sehe zu meiner großen Überraschung in der Auslage die »braune Handtasche« wie für meine Frau gemacht, und dazu noch recht preiswert. Hinein! Ich lasse mir die Tasche zeigen, prüfe das Leder, die Einteilung, hänge sie probeweise rechts, dann links über die Schulter, trete vor den Spiegel und kaufe sie. Der Verkäuferin gebe ich diskret aber bestimmt Einblick in meine Seelenlage und sage: »Wenn meiner Frau diese Tasche nicht gefällt, dann gibt es Schuhe! « Ich behalte mir das Umtauschrecht vor.

Sie werden es nicht fassen, mir ging es genau so. Ich präsentiere am Geburtstag stolz mein Geschenk und meine Frau äußert begeistert: » Genau so habe ich mir die Tasche vorgestellt «. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Können Sie mir erklären, wie es dazu kommt, dass ich die Absichten meiner Frau errate?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Abschied

Grausam hast Du, Bruder Tod,
mir mein Lieb genommen,
drob bin ich in herbe Not
und bitt´ren Schmerz gekommen.

Kummer quält nicht mehr so sehr,
Du Lieb lebst ja im Frieden,
Du bist mir nah, Dein Grab ist leer,
Dank und Erinnerung geblieben.

Du Bruder Tod, in Ehren,
wer kann wenden
alles Enden?
Liebe kannst Du nicht zerstören!

Osterglocken leg ich nieder
jetzt an Deinem Grab,
dankerfüllte Lieder,
sing ich jeden Tag.

Heimat

Die Menschen, Felder und Wälder um Oppenweiler herum, geben ihre Geheimnisse und ihren Segen nicht so leicht preis. Wer aber bereit ist, diese Region wie eine schöne Braut zu umwerben, dem wird sie mit der Zeit zur bergenden Heimat. Davon soll nun die Rede sein:

Einige von Ihnen werden den Weg von Oppenweiler das Tal hin, durch den Wald hinauf zum Eschelhof, und über Zell zurück kennen. Oft bin ich diesen reizvollen Wanderweg gegangen. Manchmal nahmen mich Wald und Flur liebevoll bei der Hand und zerstreuten zeitweiligen Griesgram. In früheren Jahren benutzte ich den Weg oft etwas despektierlicher als Rennstrecke, und stoppte die Zeit, in der ich eine Runde schaffte. Auch heute begegne ich bei den Wanderungen Menschen, die diesen Weg als Trainingsstrecke nutzen. Es könnte zwar sein, dass sie während des forcierten Laufes ab und zu einige Worte wechseln. Ich frage mich aber, was sie bei dem forschen Tempo in der Natur noch sehen und erleben können?

Manchmal begegne ich einer etwas erschöpften, aber offensichtlich glücklichen Mutter, die nicht nur ihr Kind spazieren fährt, sondern zugleich ihren neugierigen, wuseligen Hund Gassi führt. Es ist dann für mich als Wanderer eine feine Abwechslung, für einen Augenblick anzuhalten, um in die weltoffenen Kinderaugen zu blicken; sich ein vorsichtiges Lächeln zu gestatten und zu hoffen, dass auch das Kind ein wenig lächelt. Wenn das gelingt, freuen wir uns beide.

Ich bin froh, dass der befestigte Teil der Strecke, in einen den Füßen angenehmeren Waldweg übergeht. Die leichte Anhöhe zu gehen,macht mir, da der Rücken nicht mehr plagt, keine Schwierigkeiten. Ich nutze eine mir vertraute Gehhilfe: Meine betagten Wanderstöcke, die ich früher zu Wanderungen in den Bergen benutzte, erinnern mich daran, ruhig zu gehen und die Natur zu beobachten. Von fern höre ich die Geräusche einer Motorsäge. Als ich näher komme, erkenne ich ein älteres Ehepaar, das sich mit Hilfe eines jungen, kräftigen Mannes abmüht, ihr Waldstück zu pflegen und eine über den Weg gefällte Tanne zu zerlegen. Ich mache Halt. Diese hier ansässigen Bauern sind mir sehr sympathisch. Ich schätze ihre Treue zur Scholle, ihre Mühen und den Fleiß, die Felder und den Wald zu hegen und zu pflegen, obwohl es ihrem »Ende« zugeht. Wir begrüßen uns freundlich und plaudern ein wenig. Auch die geschäftigen Alten machen eine Pause und nehmen sich Zeit zu einem Gespräch. Ich erzähle ihnen von unseren Verwandten, die es ähnlich gemacht haben, und bin mir nicht mehr ganz sicher, wem mein Herz mehr gewogen ist, diesem Ehepaar, das ich seit Jahren kenne, oder meinen Verwandten, die ich in Ehren halte. Doch da unterlief mir möglicherweise ein Fehler: Ich fragte, warum sie sich in ihrem hohen Alter, diese Last schwerer körperlicher Arbeit zumuten würden. Sie hätten es doch verdient, es bei ihrer angeschlagenen Gesundheit, ruhiger angehen zu lassen. Da schaute mich die Bäuerin, die auch ihren kranken Mann zu pflegen hatte, wie verständnislos an. Es könnte sein, dass sie Tränen in den Augen hatte, als sie antwortete: » Das machen wir einfach so! « Ich hatte nicht bedacht, wie sehr dieser Frau die Pflege ihres Mannes und Waldes an´s Herz gewachsen war. Respektvoll und etwas verlegen, löste ich mich daher aus dem Gespräch. Vielleicht haben diese fleißigen Bauern mehr vom wirklichen Leben verstanden, als so manche »großartigen Leute«. Ich bin aber glücklich, mit ihnen befreundet zu sein, und freue mich darauf, wenn uns die Bäuerin wieder einmal ein großes, selbst gebackenes Brot schenkt.

Ältere Frauen und Männer gehen nicht nur langsamer, sie bleiben ab und zu auch aus den verschiedensten Gründen einmal stehen. So ging es auch mir. Ich halte an und stehe unversehens vor einem Baum, einer stämmigen, hoch gewachsenen Buche. Offensichtlich hat sie schon lange schweigend an diesem Platz unter vielen anderen Bäumen gestanden und darauf gewartet, gesehen und bemerkt zu werden. Sie hatte mit den Jahren bis weit ins Geäst hinauf an der Wetterseite Moos angesetzt. Nun richtete sie sich in ihrer vollen Würde vor mir auf. Als ich staunend an ihr empor blickte, erschien sie mir mit ihrem Blattwerk wie ein prächtiger, gotischer Dom, dessen Vielfalt nicht zu fassen ist. Nun neigte sich mir die Buche im Wind freundlich zu. Sie schien, wie ich, mit sich zufrieden. Wir waren ja gerade dabei, in stiller, schweigender Betrachtung, mit einander Freundschaft zu schließen. Ob sie verstehen kann, dass wir uns schweigend so nahe gekommen sind, dass ich sie nie mehr vergessen werde? Sie gehört von nun an mit zu all den vielen, wertvollen Geschenken meines Lebens. Ganz sicher erkenne ich sie bei meinen nächsten Wanderungen um Oppenweiler herum wieder. Dann wird Halt gemacht. Ich bin neugierig, was sie mir dann erzählt. Wenn Ihr sie sehen wollt, es gibt sie wirklich, ich zeig sie Euch gern. Vielleicht würde sie sich auch über eine Begegnung mit Euch freuen.

Eine Wegstrecke weiter blicke ich mich überrascht um. Ein Wunder? Ist es doch einem Strauch gelungen, meine ganze Aufmerksamkeit zu fesseln. Das muss ich Euch erzählen: Es war ein Strauch in bunten Herbstfarben mit reichlich Blättern. Fragt mich aber bitte nicht, zu welcher Sorte Sträucher er zählt. Diese Frage könnte ich Euch nicht beantworten, denn sie erscheint mir im Moment gar nicht so wichtig. Die Blätter dieses Strauches aber waren mit unzähligen Tautropfen geschmückt, die wie Perlen im Sonnenlicht glänzten. Offensichtlich kein gewöhnlicher, sondern ein kostbarer Strauch. Nun bin ich auf weitere Überraschungen eingestellt:

Ich wandere ein Stück weiter des Weges, gerate ins Staunen und bleibe unwillkürlich stehen. Stellt Euch die untergehende, goldene Herbstsonne vor, mit ihrem milden, weichen, und doch kräftigen Licht. Ihr ging ich entgegen. Meine Großmutter nannte die Sonne ehrfürchtig »die Alte«. Hat sie doch wahrlich viele Jahre auf dem Buckel, geht morgens auf, zieht ihre Bahn, bringt uns den neuen Tag, wärmt, lockt Leben heraus, um sich abends schlafen zu legen. Nun just, in diesem Augenblick, schenkt sie mir etwas ganz Besonderes: Sie blinzelt mir verstohlen durch die Blätter einer Buche zu. Das verwirrt meine Sinne, denn ich kann nicht mehr genau unterscheiden, ob die Sonne, schwabbert oder ob die Blätter der Buche, die sich leicht im Winde drehen, diesen Eindruck hervorrufen. Würdet Ihr mir zutrauen, ein so kostbares Erlebnis zu vergessen? Selbst wenn ich wollte, es ginge nicht. Erfahrungen dieser Art, lassen sich nicht einfach wegwischen. Aber warum sollte ich auch einen glücklichen Augenblick vorzeitig zu Grabe tragen?

Es gab auf meiner Wanderung noch weitere schöne Geschenke: Wie ein Lausbub, genoss ich es, mit einem frohen Lied auf den Lippen durch das Herbstlaub zu kicken und mich bei jedem Schritt am Rascheln der trockenen Blätter zu erfreuen. Mit offenen Augen und wachen Sinnen blieb ich weiter im Austausch mit der mich umgebenden Natur.

Wie so oft betrachtete ich den Reichenberg mit unserer Hausburg, die mir auf meinem Wanderungen immer wieder vor Augen kommt. Auf wunderliche Weise schien mir die Burg aber heute plötzlich wie verwandelt. Sie stand im diesigen Licht der Abendsonne in ihrer vollen Würde vor mir, und hatte sich in ein feierliches moosgrün-goldenes Gewand gehüllt. Diese Erscheinung, faszinierte mich so, dass mir der Gedanke völlig fern lag zu klären, welches Naturgesetz diesen Zauber hervorgerufen haben könnte. Einige Schritte weiter hatte die Burg ihr Gewand wieder gewechselt, und schien nun wie in einen kostbaren goldroten Mantel gekleidet. Nie zuvor hatte ich unsere Burg in einem solchen Licht gesehen. Es scheint, als ob sie sich wie ein Chamäleon verwandeln könne.

Als ich dann in die Ebene hinab stieg und der Reichenberg wieder meine Aufmerksamkeit beanspruchte, war ich ein wenig enttäuscht. Die Burg hatte all ihre Farbenpracht abgelegt und steht wie seit alten Zeiten Oppenweiler in ihrem bräunlichen Gewand als Wächter und den Wanderern als Begleiter zu Diensten. Aber weiß ganz genau, wie schön sie bei anderem Licht besehen, wirklich sein kann. Auch nicht schlecht, dachte ich.

Zur Nacht

Feine, zarte Grillenstimmen
füllen diese Nacht
und ein heiterer Sommerabend
entfaltet letzte Pracht.

Verführerische reife Düfte,
erdenschwere Lust
mischen sich im Abendsegen,
weiten Sinn und Brust.

Tausend ems´ge Mücklein
wiegen sich im Licht
und im Spiel von Teil und Ganzem
schwindet jede Pflicht.

Weit hinaus und wie im Flug
eilt das Herz ins Land,
lässt sich nieder bei den Dingen,
wiegt sie in der Hand.

Münster

 

 

 

Münster, traute Heimat, DU,

Memoria bist Du geworden,

ein Teil von Dir

bin ich in Worten.

Wo find ich wieder Rast und Ruh,

als Wanderer zu neuen Orten.

Werden wieder Glocken klingen,

Lambertis Rufen zu uns bringen?

Hochzeit

Wie beim Frühlingstanz im Mai,

schenkt das Leben immer neu,

frohe Lieder.

 

Unser Herz stimmt glücklich ein,

bindet Treu und Liebe fein,

in ein Sträußchen Flieder.

 

Und der Ahnen große Schar

bringt  das Paar nun zum Altar,

hohe Zeit!

 

Feierlicher Glockenklang,

geb ein ganzes Leben lang,

Euch Geleit.

 

 

 

Mein Herz geht auf Reisen

Mein Herz geht auf Reisen,
es soll sich erweisen,
ich suche die Liebste,
die Schönste mir aus.
Mein Herz geht auf Reisen,
ein Stern führt die Weisen
zu Dir o Maria,
da ruh ich mich aus.

O schönste der Frauen,
Dir kann ich vertrauen,
Dein Schutz und Dein Segen
bleibt ewig bestehen.
O liebste der Frauen,
auf Dich kann ich bauen,
Du kannst alle Fragen
und Sorgen verstehn.

Mein Herz das auf Reisen,
es will Dich heut preisen
Du schenkst uns o Mutter
Dein himmlisches Kind.
O lasst sie uns schauen,
ihr Männer und Frauen,
die LIEBE, die Himmel
und Erde verbind.

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