Flipsi und Flapsi

Es war einmal ein Mäusemädchen, eigentlich eine süße kleine Mäusedame, niedlich, lebendig und sehr schön. Sie saß eines Tages auf einem Stein und betrachtete ihre Welt. Viel gab es da zu bewundern: Gräser, bunte Blumen, einen kleinen Bach, einen Hügel mit Büschen und Bäumen. Sie hörte die Vögel zwitschern, und freute sich an dem Spiel der Wolken, die am Himmel ihre Bahn zogen. Ihre Freundin, die liebe Sonne, machte die ganze Welt heiter und wärmte Flipsi auf ihrem Stein. ,Da schob sich plötzlich eine dicke, dunkle Wolke vor die Sonne. Schatten legten sich über alles und Flipsi wurde es trotz des dichten Mäusefells kühl. Sie konnte sich auf einmal gar nicht mehr so richtig freuen. Als hätte sich Dunkelheit auch über ihre zarte Seele gelegt, begann sie über ihr bisheriges Leben und all die Wünsche nachzudenken, die sich noch nicht erfüllten. Eigentlich, dachte sie, führe ich gar kein schönes Mäuseleben, denn ich bin allein. Andere Mäuse sind verheiratet, haben eine Wohnung und Kinder. Sie spürte deutlich, wie sehr sie sich nach einem hübschen, starken Mann und lieben Kindern sehnte. Da wurde Flipsi sehr traurig: Die Blumen waren nun nicht mehr so schön, der kleine Bach plätscherte weniger lieblich. Sogar die Bäume und Büsche schienen sich im Schatten ein wenig zu ducken und die Sonne hinter den Wolken hielt ihre wärmende Kraft zurück. Flipsi ging alles so sehr zu Herzen, dass sie schrecklich weinen musste. Tränen tropften ihr ins Mäusefell, als sie bemerkte, von niemand geliebt zu sein. Lange saß sie, ganz in sich zusammen gekauert, auf ihrem Stein und verbarg ihr Gesicht in den Pfoten. Schließlich wurde Flipsi aber sehr ärgerlich, denn sie bemerkte plötzlich: Das Weinen hilft ja gar nicht! Und als eine Schwalbe herbeiflog und sie voll Mitleid am Schwanz zupfte, kam ihr die Idee: Wenn sie sogar eine kleine Schwalbe ein wenig liebhabe, dann finde sie sicher auch noch einen lieben Mäusemann. Auf einmal wich die ganze Trauer von ihr. Und ganz aufgeregt, überlegte sie weiter: Einen lieben Mann bekomme sie doch wohl eher dann, wenn ich nicht mehr traurig wäre und mich recht hübsch machte:

So schnell ihre kleinen Mäusebeine sie trugen, lief sie hinunter zum Bach. Ihr Spiegelbild im Wasser wollte ihr aber gar nicht gefallen. Du siehst ja wirklich zum Heulen aus, Flipsi«, sagte sie zu sich selbst und »Das soll aber nun anders werden!« Und sie machte etwas, was Menschenkinder manchmal gar nicht so sehr mögen. Sie wusch sich so gründlich, dass es eine Freude war, ihr zu zuschauen: Sie wusch sich das Gesicht, die Beine, den Bauch und den Rücken, sogar den lieblichen Mäuseschwanz und den Mäusepopo. Dann eilte sie wieder schnurstracks zu ihrem Stein, und ließ sich vom Wind und der Sonne, die wieder hinter den Wolken hervortrat, behaglich das Fell trocknen. Ei, war da Flipsi schön anzusehen: Ihr Fell glänzte in der Sonne. Sie konnte sich wieder an dem schönen Tag freuen und saß recht vergnügt und zufrieden auf ihrem Stein. Gedanken verloren wanderte ihr Blick den kleinen Weg am Bächlein entlang. Es schien in der Ferne nur noch ein kleiner Sprung zu sein, bis zur wärmenden Sonne. Sie überlegte ernstlich, die liebe Sonne zu bitten, dass sie Flipsi einmal Huckepack nehmen sollte. Dann nahm sie aber wieder Abschied von dieser Idee, denn jetzt, da es ihr wieder gut ging, wollte sie es nicht riskieren, sich das schöne Fell zu verbrennen.

Aber was war denn das? Da kam doch -wie ein Bote der lieben Sonne- ein Mäusemann des Weges. Es war Flapsi, der da entlang des Baches einen Trainingslauf machte. Er war stark und schön anzusehen, und konnte so gut rennen, dass der Staub wie eine kleine Wolke hinter ihm aufwirbelte. Ihr sollt wissen: Die Mäuse haben von Kindheit an großen Spaß sich zu bewegen, zu rennen und sich zu verstecken. Das ist wichtig für sie, um sich vor den Katzen zu schützen. Und Flapsi war ein besonderer Mäusemann, der gern seine Muskeln spielen ließ, ja manchmal sogar dazu neigte, vor anderen Mäusen mit seiner Kraft zu protzen. Wenn er aber nicht gerade, wie jetzt, hart trainierte, konnte er auch ganz gemütlich und faul herumliegen. Jetzt aber war ihm offensichtlich nach Rennen zumute. Er keuchte und schwitzte dabei und bekam vor Anstrengung eine ganz rote Nase. Er schien für nichts anderes Interesse zu haben. Da sah er, wie ein Geschenk des Himmels, plötzlich Flipsi in der Sonne auf ihrem Stein sitzen. Aus vollem Lauf blieb er wie angewurzelt stehen, und konnte sich nicht genug satt sehen an dieser hübschen Mäusedame. Wahrlich, Flapsi hatte schon manchem Mäusemädchen den Hof gemacht. Flipsi strahlte ihn aber so betörend an, dass Flapsi alle Bedenken beiseiteschob und es wagte, die Mäusedame mit einer leichten Verbeugung artig zu begrüßen. Er hatte auf einmal gar keine Lust mehr, alleine am Bach entlang zu laufen. Hallo! sagte er: Ich bin Flapsi und finde, Du siehst gut aus! Hallo! sagte Flipsi, ohne sich allzu sehr zu zieren: Ich heiße Flipsi, Du siehst auch ganz gut aus! Willst Du Dich nicht ein wenig zu mir setzen? Wir könnten zusammen plaudern«. Sie dachte: Einen so tollen, starken Mäusemann habe ich selten gesehen. Flapsi nahm das Angebot an und setzte sich neben der Mäusedame auf den Stein. Sie erzählten sich so dies und das, was einen Mäusemann und eine Mäusedame das Jahr über beschäftigt. Die Sonne schien plötzlich wieder wärmer zu strahlen, die Vögelein lieblicher zu zwitschern, der Hügel und die Büsche standen wieder in saftigem Grün und sogar das Bächlein schien in Freude lauter als zuvor zu plätschern. Flipsi und Flapsi waren auf einmal sehr verliebt. Sie streichelten sich und gaben sich sogar ein Küsschen. Wenn ich einmal heiraten sollte, dachte Flapsi, dann müsste meine Mäusefrau so aussehen, wie Flipsi. Und Flipsi dachte: Einen so schönen, starken Mann wie Flapsi, würde ich auf der Stelle heiraten. Nun nahm Flapsi seinen ganzen Mut zusammen und sah Flipsi so liebevoll an, dass diese ihr Mäusegesicht ein wenig zur Seite bog und gestand ihr: »ich finde Dich, Flipsi, wunderschön. Willst Du meine Frau werden und mich heiraten? Flipsi fühlte ihr Herz bis ins Mäuseschwänzchen pochen und sagte ganz glücklich: »Auch Du gefällst mir. Einen Mann wie Dich, habe ich mir immer gewünscht«. Sie nahmen sich in die Arme und keine der Wolken am Himmel traute sich in diesem Augenblick, die Sonne zu verdecken, um dem Glück der beiden Mäuschen nicht im Wege zu stehen. Der Abschied tat nicht weh, denn sie würden sich ja wieder sehen.

Froh eilten die beiden nach Hause zu ihren Eltern und verkündeten ihnen die große Neuigkeit. Und wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde, dass bald eine große Mäusehochzeit gefeiert werde. Viel gab es nun zu tun, bis alles vorbereitet war. Denn auch Mäuse verstehen sich darauf, Feste zu feiern. Nachdem alles vorbereitet war, wurden Einladungskarten mit der Mäusepost versandt. Darauf stand geschrieben: »Wir laden Euch herzlich zu unserer Mäusehochzeit am nächsten Sonntag ein! Eure Flipsi und Flapsi«. Und dann kam dergroße Tag: In einer kleinen weißen Mäusekutsche fuhren die Brautleute und deren Eltern zur Kirche. Flipsi trug ein wunderschönes, weißes Brautkleid mit einer großen Schleppe. Flapsi hatte sich als Bräutigam besonders chic gekleidet. Alle eingeladenen Mäuse und die vielen Tiere, die als Zaungäste neugierig herbeigekommen waren, klatschten Beifall. In der Mäusekirche hatte sich der Pastor auf eine feierliche Trauung eingestellt und einige Musiker eingeladen. Die Mäuseeltern und Verwandten nahmen in den ersten Reihen Platz, rückten ihre Festtagskleider zurecht und lauschten ergriffen der schönen Musik. Der Pastor hielt eine tiefsinnige Predigt über Liebe und Treue. Heimlich wischten sich die Mäusemütter Tränen der Rührung ab. Selbst die Mäuseväter hätten fast geweint, wenn ihnen nicht gerade noch eingefallen wäre, dass sie das ja nur sehr selten tun. So schauten sie in ihrer stillen Würde der Trauung nur ein wenig hilflos und verknittert zu. Der Pastor steckte dem Brautpaar die Ringe an und segnete das Paar und alle Anwesenden. Die Orgel spielte noch einmal recht feierlich zum Auszug. Alle Verwandten, Freunde und deren Kinder, die sich am Portal aufgestellt hatten, spendeten Beifall. Die Vögel setzten sich auf das Gebälk unter dem Vordach der Kirche und zwitscherten im Chor ein wunderschönes Lied. Hinter der Brautkutsche fuhren alle geladenen Gäste in Blumen bekränzten Gespannen zum großen Festschmaus in´s Mäusegasthaus. Es gab ein leckeres Hochzeitsessen: Saft für die Kinder, und Wein für die Großen. Danach wurden Eis und Kuchen serviert und die Musik spielte zum Tanz auf. Flipsi und Flapsi eröffneten den Hochzeitstanz und gaben sich vor allen Gästen einen Kuss. War das ein Singen, Tanzen und Scherzen. Man sagt heute noch, dies sei eine der schönsten Mäusehochzeiten gewesen, die es je gegeben hat.

Flapsi nahm anschließend seine junge Frau bei der Hand und ging mit ihr zur neuen Wohnung. Er hatte ja zur Überraschung seiner Frau, das Mäuseloch ganz besonders fein einrichten lassen. Bei der Wohnung angekommen, nahm er sie auf die Arme und trug sie -wie sich das auch bei Mäusen gehört- über die Schwelle in´s Mäuseloch. Flipsi konnte sich nicht satt sehen an all den schönen Sachen: Im Flur gab es eine hübsche Garderobe mit einem großen Spiegel. In der Küche befanden sich in weißen Schränken klitzekleine Tellerchen, Tassen, Töpfe und Pfannen. Es gab auch einen Kasten mit Gabeln und Messern. Sogar – Ihr werdet es kaum glauben- eine Spülmaschine stand da, damit Flapsi nicht selbst Geschirr spülen musste. Im Esszimmer gab es ein kleines Sofa, Schränke für das Geschirr und ein Tisch mit Stühlen. Zur Feier des Tages hatte Flapsi auch rote Rosen nicht vergessen, und sie in einer schönen Vase auf dem Tisch gestellt. Das Wohnzimmer war mit Bücherschränken, Tisch, Sesseln und einem großen Sofa ausgestattet. Sogar einen Fernseher hatte Flappsi besorgt, obwohl Mäuse eigentlich wenig Zeit zum Fernsehen haben. Im Schlafzimmer standen Betten und ein Schrank mit Wäsche. Sogar ein Mäusebad und eine Mäusetoilette gab es. Glücklich und zufrieden lebte das Paar hier lange Zeit. Flapsi sorgte dafür, dass genügend Nahrung ins Haus kam. Flipsi verwöhnte ihren Mann mit gutem Essen und hielt das Mäuseloch in Ordnung. Denn auch Mäuseeltern haben es gern, wenn die Wohnung ab und zu wieder einmal aufgeräumt ist. Als einige Monde ins Land gegangen waren, stellte sich bei Flipsi und Flapsi Nachwuchs ein. Drei Mäusekinder wurden geboren. Das erste nannten sie Claudia, das zweite Veronika und das dritte Christiane

Das war ein Leben in der Mäusewohnung. Flipsi klagte nun öfters, dass es hier nun wirklich zu eng würde und dass man mit drei Kindern ein größeres Mauseloch benötige. Flapsi hatte sich aber so an die alte Wohnung gewöhnt, dass er sie gar nicht mehr aufgeben wollte. Er half nun auch im Haushalt mit, fütterte die Mäusekinder, wusch sie und brachte sie zu Bett. Die drei Mäusekinder wuchsen heran und wurden immer frecher. Bald hielt es sie nicht mehr im Mäuseloch und Flipsi mußte ihnen erklären, wie es draußen in der Welt zugehe. Sie ermahnte immer häufiger ihre Kinder und sprach: »Passt gut auf, passt gut auf, wenn ihr draußen vor dem Mäuseloch spielt, denn da schleichen auf samtenen Pfoten der Kater Mautze und die Katze Mietze herum und die fressen mit Vorliebe kleine Mäusekinder! Wenn ich die Katzen sehe, dann rufe ich: piep, piep, piep!  Kommt dann schnell, kribbele, krabbele in´s Mauseloch hinein, damit Euch kein Leid geschieht! Und eines schönen Tages, als die Mäuslein wieder einmal sorglos vor dem Mauseloch in der Sonne spielten, schlich tatsächlich der Kater Mautze auf leisen Sohlen heran. Er leckte sich in Erwartung der feinen Speise den Mund und duckte sich zum Sprung, um die Mäusekinder zu fangen und zu fressen. Aber Flipsi hatte wie ein Schießhund aufgepasst: Piep, piep, piep! warnte sie ihre Kinder. Und wie der Blitz flüchteten sie, kribbele, krabbele ins sichere Mauseloch. Der Kater Mautze aber schlich enttäuscht von dannen, denn er konnte keines von ihnen fangen und fressen. Und wenn die Mäuslein nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Die Handtasche

Nach längerem Abwägen, fällt die Entscheidung: Sie wünscht sich zum Geburtstag eine neue Handtasche. Das war geschafft! Ich erkläre mich unvorsichtigerweise bereit, sie zum Einkauf in die Stadt zu begleiten. Erwartungsvoll sitzen wir in der Regionalbahn. Wie üblich, sind wir an diesem Tag nicht die einzigen Kauflustigen, bahnen uns den Weg durch die Menge und steuern das Ziel, ein großes Kaufhaus an. Ich kenne das Kaufhaus von verschiedenen Besuchen. Meine Frau und die Töchter, fühlen sich im Unterschied zu mir, in solcher Umgebung pudelwohl. Es scheint sie keineswegs zu ermüden, beutegierig durch alle Abteilungen der verschiedenen Etagen zu streifen, um die angebotenen Waren nach Mode, Qualität und Preis zu prüfen. Stets auf dem Sprung zum nächsten Artikel oder einem »Schnäppchen«, steht ihnen das Jagdfieber ins Gesicht geschrieben. Gewöhnlich suche ich mir bei derlei Unternehmungen einen Stuhl, um abzuwarten, bis mir ein »Fundstück« zur Beurteilung vorgelegt wird. In derlei Situationen empfiehlt es sich, nicht zu bezweifeln, dass die Damen selbst am Besten in der Lage sind, Nutzen und Kosten ihrer Auswahl einzuschätzen. Und sollte sich in mir manchmal die Idee entwickeln, als Mann auch erkennen zu können, was einer Frau gut zu Gesicht steht, unterdrücke ich umgehend derlei wenig hilfreiche Gedankenspiele.  Erfahrungsgemäß führt das ja nur dazu, dass meine Damen im besten Falle einen von mir vorgeschlagen Gegenstand, mit deutlich geringschätzigen Blicken in die Hand nehmen, um ihn nach kurzer Prüfung wieder ins Regal zurück zu legen. Die gutgemeinte Absicht, meine Frau zu begleiten, um sie durch mein Interesse am Einkauf zu erfreuen, war an diesem Tag so dominant, dass ich mich nicht mehr an frühere, enttäuschende Erlebnisse zu erinnern vermochte, die zu einer längeren Einkaufsabstinenz meinerseits führten. Zudem war ich mir einigermaßen sicher, in der Obhut meiner Frau bei Laune zu bleiben, und in dem riesigen Kaufhaus nicht verloren zu gehen. Als geheime Notfallplanung beabsichtigte ich, mich gegebenenfalls in das Restaurant zurück zu ziehen, um dort abzuwarten, bis die unbändige Kauflust meiner Frau abgeklungen ist. So gewappnet, schaue ich dem weiteren Verlauf des Einkaufs relativ gelassen entgegen. Wir beginnen das Unternehmen „Handtaschenkauf“, strategisch nachvollziehbar, im obersten Stockwerk:

 

An den unmöglichsten Plätzen und Verstecken, gibt es in dieser Abteilung eine reichliche Auswahl verschiedener Handtaschen, in allen nur erdenklichen Farben und Größen. Ich folge meiner Frau in sicherem Abstand, um nicht aufdringlich zu erscheinen und sie nicht aus den Augen zu verlieren. Sie geht mit frischem Elan zielstrebig auf die ersten Taschen zu, wiegt sie in der Hand, prüft das Leder und die Einteilung, hängt sie sich probeweise links, dann rechts über die Schulter, tritt prüfend vor den nächsten Spiegel, um sie der Reihe nach dann wieder in die Regale zurück zu stellen. Nach einiger Zeit haben wir auf diese Weise das oberste Geschoß ineffektiv durchforstet. Mit ungebrochenem Jagdfieber begeben wir uns auf Beutesuche im dritten Obergeschoss:

Das Angebot ist verblüffend vielfältig. Taschen über Taschen stehen in größeren und kleineren Regalen. Ich habe noch nie in meinem Leben so viele Taschen gesehen. Es entwickelt sich in mir die abstruse Vorstellung, dass es nicht genügend Frauen geben könnte, um sie alle zu kaufen. Möglicherweise kann dies aber nur einem Mann einfallen. Meine Frau hingegen schreitet wieder kurz entschlossen auf die Taschen zu: Große und kleine, rote und braune, schwarze und weiße, Einkaufstaschen und auserlesene Objekte für die »Dame von Welt«. Es mögen an die Hundert Taschen gewesen sein, die sie prüfte, um sie dann wieder an ihren Platz zu stellen. Meine Enttäuschung hält sich immer noch in Grenzen. Ich betrachte es aber als meine fürsorgliche Aufgabe, warnend darauf hinzuweisen, dass es kaum ein anderes Geschäft in dieser Stadt gebe, dass ein ähnlich umfangreiches Taschen-Sortiment anböte. Sie möge daher die Hoffnung nicht aufgeben, fündig zu werden.

Dieses Hinweises hätte es nicht bedurft, denn wir befinden uns mittlerweile im zweiten Obergeschoß. Und wie es das Schicksal will: Es gibt Taschen in allen Variationen. Mir sind ähnliche Objekte in dieser Reichhaltigkeit früher gar nie aufgefallen. Wo hatte ich bloß meine Augen? Wir nehmen wieder mit Regalen Kontakt auf, längere, kürzere, hohe und niedrige, alle prall gefüllt mit Taschen. Mich überkommen  erstes Schwächegefühle und ich setze mich auf einen der Stühle in der Nähe meiner Frau. Wenn ich gelegentlich bemerke, dass sie eine Tasche besonders ausgiebig betrachtet, erhebe ich mich, um sie mit einem vorsichtigen Rat beim Kauf zu unterstützen. In der Regel bedarf es einer solchen Schützenhilfe nicht, denn wenn ich es wage, eine Tasche chic zu finden, kann ich nahezu sicher sein, dass sie unweigerlich ins Regal zurückwandert,

Es überrascht mich nicht mehr sonderlich, auch im ersten Obergeschoss, reichlich Taschen zu sehen. Innerlich seufze ich bereits: » Nichts als Taschen, wo soll das noch enden? « Zusehends nähere ich mich der Belastungsgrenze. Manchmal kommt es mir vor, als wäre ich dabei, die Taschen schon doppelt zu sehen. Die Taktik meiner Frau bei der Wahl eines Objekts, scheint mir inzwischen ausreichend klar: Tasche anschauen, Einteilung und Leder prüfen, Farbe auf sich wirken lassen, gelegentlich Tasche links, dann rechts umhängen, vor den Spiegel treten, die Tasche wieder ins Regal zurückstellen. Langsam dämmert es mir, sie könne möglicherweise gar nicht so recht wissen, was sie kaufen will. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass sie diese Tatsache irgendwie störe. Eher beginne ich mich selber ein wenig verlassen zu fühlen. Sie scheint nur noch Augen für Taschen zu haben. Stellen Sie sich einmal vor, zu welchen ehelichen Belastungen es führte, wenn ich über diesen Zustand klagte. Ein guter Engel und langjährige Erfahrungen mit Frau und Töchtern, bewahrt mich vor solchem Missgeschick. Ich trabe daher, etwas verdrossen, stumm wie ein Fisch, hinter meiner Frau her.

^^^^^^Es geht noch ein Stockwerk tiefer. Ich glaube, mich trifft der Schlag! Da ist sie, »die Spezialabteilung für Damentaschen«. Ich nehme alle Kräfte zusammen, um mit meiner Frau, wie zu erwarten, ineffektiv noch einige Regale nach der Methode: Anschauen und Zurückstellen, nach einer geeigneten Tasche durch zu stöbern. Dann gebe ich mich geschlagen und sage: » Ich kann nicht mehr; ich brauche frische Luft! « Ein etwas überrascht, enttäuscht-kritischer Augenaufschlag meiner Frau ist die Antwort. Dann großzügig, als litten Männer chronisch beim Einkauf unter Konditionsschwierigkeiten, die Absolution mit der Frage: » wo treffen wir uns? « Ich kenne nur das Cafe in der Nähe des Schlossplatzes. Wir vereinbaren, uns dort zu treffen. Mit raschen Schritten verlasse ich das Kaufhaus und erhole mich auf der belebten Königsstraße bei einem Akkordeonisten, der seinem Umhänge Schild nach, in Russland schon verschieden Preise gewann. Er spielt hervorragend Stücke von Bach und Händel. Ich komme etwas zur Ruhe. Beim Gang zum Treffpunkt bin ich bereits so auf Taschen fixiert, dass ich es auch ohne Frau nicht lassen kann, ein kleines Fachgeschäft zu betreten, um dessen Angebot zu prüfen. Mein Blick fällt auf ein interessantes „weißes Stück“. Ich wage es, nach den aktuellen Erlebnissen beim Einkauf zu vermuten, dass diese Tasche meiner Frau gefallen könnte. Ich sitze im Café: Es herrscht Hochbetrieb. Die Bedienungen kommen kaum nach. Einige Tische sind unappetitlich mit leerem Geschirr vollgestellt. Mit Mühe halte ich einen Platz für meine Frau frei. Endlich! Sie kommt mit kleinem Gepäck – ohne Handtasche. Die Enttäuschung ist ihr ins Gesicht geschrieben. Die leeren Teller und Tassen auf den Tischen im überfüllten Café sind auch nicht geeignet, sie aufzuheitern. Wir nehmen einen Drink. Ich setze zu einem letzten Versuch an, die Stimmung zu retten und erweise mich als ein interessierter Taschenjäger. Ohne Überheblichkeit, wie nebenbei, gebe ich zu verstehen, dass ich in Ihrer Abwesenheit dem kleinen Fachgeschäft neben an einen Besuch abstattete, mit dem Verweis, wir sollten diese Option nicht auslassen. Ein müdes Lächeln zunächst, dann aber wieder dieser »Taschensuch-Blick« in den Augen meiner Frau. Ich habe ins Schwarze getroffen. Wir bezahlen, verlassen den ungastlichen Raum , und steuern gemeinsam das Fachgeschäft an. Eine überaus freundliche Verkäuferin nimmt uns in Obhut. Meine Frau sucht die Regale ab und zieht auf Anhieb, ich traue meinen Augen nicht, sie zieht »meine weiße Tasche« aus dem Regal, prüft das Leder, die Form, die Einteilung, hängt sie links und rechts um, fragt mich schließlich, ob sie mir gefalle? Ich halte mich aber mit aller nur erdenklichen Anstrengung zurück, mich zu äußern, in der Hoffnung, jetzt hat sie es. Bei der nachfolgenden Szene hätte ich in den Boden versinken können, hatte ich doch alles vermeintlich richtig eingefädelt. Meine Frau aber gibt der Verkäuferin eindeutig zu verstehen, die »weiße Tasche« habe zwar einen gewissen Charme. Sie habe sich aber eine braune Tasche gewünscht. Das war es dann. Meine Frau lehnt sich bei der Rückreise sichtlich erschöpft in den gepolsterten Sitz zurück. Ich bin nicht so sehr müde, eher verärgert; sind es doch nur noch Stunden bis zu ihrem Geburtstag. Wo bekomme ich denn nun eine Tasche her? Finstere Gedanken verfolgen mich. Was hat uns diese Reise in die Stadt gebracht? Es geht mir immer wieder durch den Kopf, braun muss sie sein, – und sie wird auch eine braune Tasche bekommen, aber nach meiner Einkaufsmethode!

Anderntags befinde ich mich in unserem Schuhgeschäft in Backnang und sehe zu meiner großen Überraschung in der Auslage die »braune Handtasche« wie für meine Frau gemacht, und dazu noch recht preiswert. Hinein! Ich lasse mir die Tasche zeigen, prüfe das Leder, die Einteilung, hänge sie probeweise rechts, dann links über die Schulter, trete vor den Spiegel und kaufe sie. Der Verkäuferin gebe ich diskret aber bestimmt Einblick in meine Seelenlage und sage: »Wenn meiner Frau diese Tasche nicht gefällt, dann gibt es Schuhe! « Ich behalte mir das Umtauschrecht vor. Sie werden es nicht fassen, mir ging es genau so. Ich präsentiere am Geburtstag stolz mein Geschenk und meine Frau äußert begeistert: » Genau so habe ich mir die Tasche vorgestellt «. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Können Sie mir erklären, wie es dazu kommt, dass ich die Absichten meiner Frau errate?

Nach längerem Abwägen, fällt die Entscheidung: Sie wünscht sich zum Geburtstag eine neue Handtasche. Das war geschafft! Ich erkläre mich unvorsichtigerweise bereit, sie zum Einkauf in die Stadt zu begleiten. Erwartungsvoll sitzen wir in der Regionalbahn. Wie üblich, sind wir an diesem Tag nicht die einzigen Kauflustigen, bahnen uns den Weg durch die Menge und steuern das Ziel, ein großes Kaufhaus an. Ich kenne das Kaufhaus von verschiedenen Besuchen. Meine Frau und die Töchter, fühlen sich im Unterschied zu mir, in solcher Umgebung pudelwohl. Es scheint sie keineswegs zu ermüden, beutegierig durch alle Abteilungen der verschiedenen Etagen zu streifen, um die angebotenen Waren nach Mode, Qualität und Preis zu prüfen. Stets auf dem Sprung zum nächsten Artikel oder einem »Schnäppchen«, steht ihnen das Jagdfieber ins Gesicht geschrieben. Gewöhnlich suche ich mir bei derlei Unternehmungen einen Stuhl, um abzuwarten, bis mir ein »Fundstück« zur Beurteilung vorgelegt wird. In derlei Situationen empfiehlt es sich, nicht zu bezweifeln, dass die Damen selbst am Besten in der Lage sind, Nutzen und Kosten ihrer Auswahl einzuschätzen. Und sollte sich in mir manchmal die Idee entwickeln, als Mann auch erkennen zu können, was einer Frau gut zu Gesicht steht, unterdrücke ich umgehend derlei wenig hilfreiche Gedankenspiele.  Erfahrungsgemäß führt das ja nur dazu, dass meine Damen im besten Falle einen von mir vorgeschlagen Gegenstand, mit deutlich geringschätzigen Blicken in die Hand nehmen, um ihn nach kurzer Prüfung wieder ins Regal zurück zu legen. Die gutgemeinte Absicht, meine Frau zu begleiten, um sie durch mein Interesse am Einkauf zu erfreuen, war an diesem Tag so dominant, dass ich mich nicht mehr an frühere, enttäuschende Erlebnisse zu erinnern vermochte, die zu einer längeren Einkaufsabstinenz meinerseits führten. Zudem war ich mir einigermaßen sicher, in der Obhut meiner Frau bei Laune zu bleiben, und in dem riesigen Kaufhaus nicht verloren zu gehen. Als geheime Notfallplanung beabsichtigte ich, mich gegebenenfalls in das Restaurant zurück zu ziehen, um dort abzuwarten, bis die unbändige Kauflust meiner Frau abgeklungen ist. So gewappnet, schaue ich dem weiteren Verlauf des Einkaufs relativ gelassen entgegen. Wir beginnen das Unternehmen „Handtaschenkauf“, strategisch nachvollziehbar, im obersten Stockwerk:

An den unmöglichsten Plätzen und Verstecken, gibt es in dieser Abteilung eine reichliche Auswahl verschiedener Handtaschen, in allen nur erdenklichen Farben und Größen. Ich folge meiner Frau in sicherem Abstand, um nicht aufdringlich zu erscheinen und sie nicht aus den Augen zu verlieren. Sie geht mit frischem Elan zielstrebig auf die ersten Taschen zu, wiegt sie in der Hand, prüft das Leder und die Einteilung, hängt sie sich probeweise links, dann rechts über die Schulter, tritt prüfend vor den nächsten Spiegel, um sie der Reihe nach dann wieder in die Regale zurück zu stellen. Nach einiger Zeit haben wir auf diese Weise das oberste Geschoß ineffektiv durchforstet. Mit ungebrochenem Jagdfieber begeben wir uns auf Beutesuche im dritten Obergeschoss:

Das Angebot ist verblüffend vielfältig. Taschen über Taschen stehen in größeren und kleineren Regalen. Ich habe noch nie in meinem Leben so viele Taschen gesehen. Es entwickelt sich in mir die abstruse Vorstellung, dass es nicht genügend Frauen geben könnte, um sie alle zu kaufen. Möglicherweise kann dies aber nur einem Mann einfallen. Meine Frau hingegen schreitet wieder kurz entschlossen auf die Taschen zu: Große und kleine, rote und braune, schwarze und weiße, Einkaufstaschen und auserlesene Objekte für die »Dame von Welt«. Es mögen an die Hundert Taschen gewesen sein, die sie prüfte, um sie dann wieder an ihren Platz zu stellen. Meine Enttäuschung hält sich immer noch in Grenzen. Ich betrachte es aber als meine fürsorgliche Aufgabe, warnend darauf hinzuweisen, dass es kaum ein anderes Geschäft in dieser Stadt gebe, dass ein ähnlich umfangreiches Taschen-Sortiment anböte. Sie möge daher die Hoffnung nicht aufgeben, fündig zu werden.

Dieses Hinweises hätte es nicht bedurft, denn wir befinden uns mittlerweile im zweiten Obergeschoß. Und wie es das Schicksal will: Es gibt Taschen in allen Variationen. Mir sind ähnliche Objekte in dieser Reichhaltigkeit früher gar nie aufgefallen. Wo hatte ich bloß meine Augen? Wir nehmen wieder mit Regalen Kontakt auf, längere, kürzere, hohe und niedrige, alle prall gefüllt mit Taschen. Mich überkommen  erstes Schwächegefühle und ich setze mich auf einen der Stühle in der Nähe meiner Frau. Wenn ich gelegentlich bemerke, dass sie eine Tasche besonders ausgiebig betrachtet, erhebe ich mich, um sie mit einem vorsichtigen Rat beim Kauf zu unterstützen. In der Regel bedarf es einer solchen Schützenhilfe nicht, denn wenn ich es wage, eine Tasche chic zu finden, kann ich nahezu sicher sein, dass sie unweigerlich ins Regal zurückwandert,

Es überrascht mich nicht mehr sonderlich, auch im ersten Obergeschoss, reichlich Taschen zu sehen. Innerlich seufze ich bereits: » Nichts als Taschen, wo soll das noch enden? « Zusehends nähere ich mich der Belastungsgrenze. Manchmal kommt es mir vor, als wäre ich dabei, die Taschen schon doppelt zu sehen. Die Taktik meiner Frau bei der Wahl eines Objekts, scheint mir inzwischen ausreichend klar: Tasche anschauen, Einteilung und Leder prüfen, Farbe auf sich wirken lassen, gelegentlich Tasche links, dann rechts umhängen, vor den Spiegel treten, die Tasche wieder ins Regal zurückstellen. Langsam dämmert es mir, sie könne möglicherweise gar nicht so recht wissen, was sie kaufen will. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass sie diese Tatsache irgendwie störe. Eher beginne ich mich selber ein wenig verlassen zu fühlen. Sie scheint nur noch Augen für Taschen zu haben. Stellen Sie sich einmal vor, zu welchen ehelichen Belastungen es führte, wenn ich über diesen Zustand klagte. Ein guter Engel und langjährige Erfahrungen mit Frau und Töchtern, bewahrt mich vor solchem Missgeschick. Ich trabe daher, etwas verdrossen, stumm wie ein Fisch, hinter meiner Frau her.

Eine Spezialabteilung für Damen, bietet Taschen in reicher Auswahl an.  Wie zu erwarten stöbert meine Frau  noch einige Regale nach der Methode: Anschauen und Zurückstellen, die Regale ineffektiv nach einer geeigneten Tasche durch.  Dann gebe ich mich geschlagen und sage: » Ich kann nicht mehr; ich brauche frische Luft! « Ein etwas überrascht, enttäuscht-kritischer Augenaufschlag meiner Frau ist die Antwort. Dann großzügig, als litten Männer chronisch beim Einkauf unter Konditionsschwierigkeiten, die Absolution mit der Frage: » wo treffen wir uns? « Ich kenne nur das Cafe in der Nähe des Schlossplatzes. Wir vereinbaren, uns dort zu treffen. Mit raschen Schritten verlasse ich das Kaufhaus und erhole mich auf der belebten Königsstraße bei einem Akkordeonisten, der seinem Umhänge Schild nach, in Russland schon verschieden Preise gewann. Er spielt hervorragend Stücke von Bach und Händel. Ich komme etwas zur Ruhe. Beim Gang zum Treffpunkt bin ich bereits so auf Taschen fixiert, dass ich es auch ohne Frau nicht lassen kann, ein kleines Fachgeschäft zu betreten, um dessen Angebot zu prüfen. Mein Blick fällt auf ein interessantes „weißes Stück“. Ich wage es, nach den aktuellen Erlebnissen beim Einkauf zu vermuten, dass diese Tasche meiner Frau gefallen könnte. Ich sitze im Café: Es herrscht Hochbetrieb. Die Bedienungen kommen kaum nach. Einige Tische sind unappetitlich mit leerem Geschirr vollgestellt. Mit Mühe halte ich einen Platz für meine Frau frei. Endlich! Sie kommt mit kleinem Gepäck – ohne Handtasche. Die Enttäuschung ist ihr ins Gesicht geschrieben. Die leeren Teller und Tassen auf den Tischen im überfüllten Café sind auch nicht geeignet, sie aufzuheitern. Wir nehmen einen Drink. Ich setze zu einem letzten Versuch an, die Stimmung zu retten und erweise mich als ein interessierter Taschenjäger. Ohne Überheblichkeit, wie nebenbei, gebe ich zu verstehen, dass ich in Ihrer Abwesenheit dem kleinen Fachgeschäft neben an einen Besuch abstattete, mit dem Verweis, wir sollten diese Option nicht auslassen. Ein müdes Lächeln zunächst, dann aber wieder dieser »Taschensuch-Blick« in den Augen meiner Frau. Ich habe ins Schwarze getroffen. Wir bezahlen, verlassen den ungastlichen Raum , und steuern gemeinsam das Fachgeschäft an. Eine überaus freundliche Verkäuferin nimmt uns in Obhut. Meine Frau sucht die Regale ab und zieht auf Anhieb, ich traue meinen Augen nicht, sie zieht »meine weiße Tasche« aus dem Regal, prüft das Leder, die Form, die Einteilung, hängt sie links und rechts um, fragt mich schließlich, ob sie mir gefalle? Ich halte mich aber mit aller nur erdenklichen Anstrengung zurück, mich zu äußern, in der Hoffnung, jetzt hat sie es. Bei der nachfolgenden Szene hätte ich in den Boden versinken können, hatte ich doch alles vermeintlich richtig eingefädelt. Meine Frau aber gibt der Verkäuferin eindeutig zu verstehen, die »weiße Tasche« habe zwar einen gewissen Charme. Sie habe sich aber eine braune Tasche gewünscht. Das war es dann. Meine Frau lehnt sich bei der Rückreise sichtlich erschöpft in den gepolsterten Sitz zurück. Ich bin nicht so sehr müde, eher verärgert; sind es doch nur noch Stunden bis zu ihrem Geburtstag. Wo bekomme ich denn nun eine Tasche her? Finstere Gedanken verfolgen mich. Was hat uns diese Reise in die Stadt gebracht? Es geht mir immer wieder durch den Kopf, braun muss sie sein, – und sie wird auch eine braune Tasche bekommen, aber nach meiner Einkaufsmethode!

Anderntags befinde ich mich in unserem Schuhgeschäft in Backnang und sehe zu meiner großen Überraschung in der Auslage die »braune Handtasche« wie für meine Frau gemacht, und dazu noch recht preiswert. Hinein! Ich lasse mir die Tasche zeigen, prüfe das Leder, die Einteilung, hänge sie probeweise rechts, dann links über die Schulter, trete vor den Spiegel und kaufe sie. Der Verkäuferin gebe ich diskret aber bestimmt Einblick in meine Seelenlage und sage: »Wenn meiner Frau diese Tasche nicht gefällt, dann gibt es Schuhe! « Ich behalte mir das Umtauschrecht vor. Sie werden es nicht fassen, mir ging es genau so. Ich präsentiere am Geburtstag stolz mein Geschenk und meine Frau äußert begeistert: » Genau so habe ich mir die Tasche vorgestellt «. Mir fällt ein Stein vom Herzen. Können Sie mir erklären, wie es dazu kommt, dass ich die Absichten meiner Frau errate?

 

Das Vermächtnis

Geborgen im Glauben Hoffen und Lieben.Ich sehe sie vor mir, die lange Reihe der Fragenden und Suchenden, wie sie durch die Jahrhunderte der Menschheitsgeschichte wandern. Erdenbürger, die ihren Nachkommen und einander in Gesten, Wort und Schrift erzählen, was ihnen im Laufe ihres Lebens wichtig war. Die auch von Dingen berichten, die sie, über die Sorge ums tägliche Brot hinaus, bewegen: Sollte ein Mensch nicht ins Staunen geraten, wenn er von Kunstwerken aus der Frühzeit der Höhlenbewohner, von Pyramiden und Sakralbauten erfährt oder wenn er anderen Zeugnissen der Natur- und Geisteswissenschaft, Kunst- und Religionsgeschichte, aus den jeweiligen Epochen in verschiedenen Kontinenten begegnet? Können wir Heutigen dann die durch die Jahrhunderte ernst genommene Frage nach dem Sinn im Ganzen: »Warum gibt es dies und nicht nichts« einfach hochmütig beiseite schieben? Auf was müssen wir daher in unserem eigenen Interesse achten?

Wir reden in diesen Tagen viel über die missionarische Aufgabe, der Christen, dass sie mit einander und mit anders orientierten Menschen, über den Reichtum unseres Glaubens reden sollten. Der gegenseitige Trost wahrer Gottes- und Menschenliebe, die allem gilt, darf aber bei keiner religiösen Rede oder Handlung fehlen. Im steten Blick auf den Allmächtigen, und aus Seinen Quellen gespeist, könnte dann die Demut und Weisheit entspringen, die den Blick dafür schärft, dass unser Hunger und Durst nach Liebe und Glück letztlich nur Gott zu stillen vermag. Eine Kraftquelle, die schon den Glauben des Apostels Paulus festigte, und auch uns Vertrauen und Sicherheit zu schenken vermag, um allem Unglauben, Zweifel und Atheismus in und um uns, in Frieden wirksam begegnen zu können.

Schon in meinem ersten Band „Geschichten und Gedanken“, habe ich in einem einleitenden Essay versucht, Gründe zu benennen, warum es mich drängt, zu schreiben. Die dort behandelte Frage nach „Einheit und Vielfalt“ bewegt mich immer noch. In den dazwischen liegenden Jahren, hat sich für mich aber die Frage, welche geistigen und geistlichen Wurzeln, dem Schreiben zugrunde liegen könnten, etwas deutlicher geklärt:

Stand zu Beginn meiner schriftstellerischen Tätigkeit, die Erfüllung der drängenden Bitte unserer Töchter: »Papa, erzähl uns etwas aus Deinem Leben«, im Vordergrund, so habe ich inzwischen begriffen, dass ich nicht nur unseren Kindern, sondern der gesamten „jüngeren Generation“ eine persönliche Aussage zur Frage schulde, was mir im Rückblick auf mein ganzes Leben wichtig geworden ist. Durch mein höheres Lebensalter fühle ich mich daher in der Pflicht, allen unseren Nachkommen im Sinne eines „Vermächtnisses“ mitzuteilen, wie menschliches Leben gelingen kann. Diesem Anliegen diente und wird auch in Zukunft, alles was ich zu sagen habe, gelten. Manches mag vielleicht „eigensinnig“ wirken. Ich stehe aber dazu:

Ich muss Ihnen, liebe Leser, beispielsweise gestehen, dass ich bislang, im Unterschied zu manchen Zeitgenossen, meinen Besitz immer noch nicht im Sinne einer Nachlassregelung testamentarisch aufgeteilt habe. Ich bin auch in meinem Leben mit wenigen schriftlichen Verträgen ausgekommen. Für meine Praxis, Gott und den Menschen zu vertrauen, bin ich auch nicht ungebührlich bestraft worden. Ein Rechtsanwalt hat sich aber einmal darüber sehr verwundert. Meine Vernunft sagt mir eben, dass mir, mit oder ohne Testament, am Ende des Lebens jede selbst gefertigte Sicherheit, sicher genommen wird. Viel mehr Gewicht legte ich jedoch auf all das, was „Rost und Motten“ nicht zerstören können:

Es brauchte aber seine Zeit, bis ich fähig und bereit war „die Karten auf den Tisch zulegen“ und zu versuchen, Rechenschaft von meiner Verwaltung zu geben, und so etwas wie mein „geistliches Testament“ zu schreiben. Wohl wissend, dass dies ein schwieriges Unterfangen ist, und ich nichts Gutes ohne unseren Herrgott zu vollbringen vermag, aus dem auch alle meine Quellen entspringen. Ich vertraue darauf, dass ER mir nun die rechten Worte eingeben wird, um berichten zu können, was mich im Wellengang meines Lebens über Wasser hielt, und was ich all denen, die wahres Leben, ewiges Glück und unvergänglichen Reichtum suchen, als mein Vermächtnis, hinterlassen möchte. Insofern gelten die in diesem Essay dargelegten Einsichten und Ansichten auch unseren geliebten Töchtern, deren Partnern und unseren Enkeln:

Was kommt mir in den Blick, wenn ich mich als älterer Mensch in unserer Welt und darüber hinaus umsehe und umhöre? Was und wer war für mich Maßstab des Handelns? Der von mir, über seinen Tod hinaus, hochgeschätzte, akademische Lehrer und Religionsphilosoph, Bernhard Welte, dessen geistiger und geistlicher Nachlass in vielen Bänden zum Studium und zur Erbauung zur Verfügung steht, zeugt von christlichen Wurzeln und einem freimütigen Blick auf die Fragen und Sorgen der Menschen in unserer Zeit. Er gibt darin auch Rechenschaft über das, was ihn zutiefst bewegte. Es sind geistige und geistliche Schätze, die er in seinem Vermächtnis, jedem der es hören will, ans Herz legt:

Vor einiger Zeit, nahm ich auf Einladung der Welte-Gesellschaft an einer Veranstaltung in der Katholischen Akademie in Freiburg teil. In den Referaten und Arbeitsgruppen kamen Erfahrungen über die Nähe Gottes und die historischen Wurzeln des Atheismus zur Sprache. Die dort behandelten Themen über die beglückenden Erfahrungen der Nähe Gottes, und die äußerst befremdliche Gottesferne, finde ich auch in meinem Leben als das vor, was mich unbedingt angeht. Insofern spricht Welte auch für mich. Wenn ich in meinem Vermächtnis davon spreche, was mich immerzu bewegte, und was ich resümierend, der Nachwelt als Vermächtnis, als das Wichtigste, hinterlassen möchte, dann hat das zweifelsohne wesentlich mit dem zu tun, von dem im Sinne Weltes, während der Tagung in Freiburg die Rede war.

Ich komme zurück auf das oben erwähnte pilgernde Volk Gottes, auf alle die Menschen, die von Generation zu Generation, ihr Wissen, ihre Erfahrungen und ihren Glauben, das heißt alles, was ihnen wichtig war, an ihre Nachfahren weiter gaben. Vornehmlich die Älteren waren durch ihre Lebenserfahrung berufen, Wächter und Hüter des Wissens,der Kultur und des Glaubens zu sein. Wir alle übernehmen deren Erbe, führen es fort, und sind wie sie von Geburt bis zum Tod unterwegs. Mit der Begrenztheit des menschlichen Lebens, und aller Dinge, müssen wir, trotz unserer mannigfaltigen technischen Möglichkeiten und Mittel zur Steuerung der Prozesse, auch in Zukunft rechnen. All das zeigt uns: Wir können zwar viel, sind aber nicht Herr allen Daseins. Das aus der schöpferischen, uns bergenden Natur immer wieder neu gewährte Leben in all seiner Vielfalt, ist und bleibt endlich. Daher taucht sie immer wieder neu und auf unterschiedliche Weise auf, die oben erwähnte Frage: »Warum gibt es das alles, Mensch, Natur, Mikro- und Makrokosmos, und nicht nichts?« Und damit unter redlichen Menschen auch die Frage nach Sinn und Bedeutung alles Seienden, nach Schuld, Tod, Leid und ewigem Leben?

Die Einen verneigen sich dankbar für alles und glauben hoffnungsvollan ein ganz anderes, glückliches Leben nach dem Tod, die Anderen suchen unentwegt, und fortschrittsgläubig, nach immer neuen Wegen und Erklärungsmodellen, um auf Erden ihr Glück zu machen. Gott und Religion scheint es in ihrem Leben und Denken nicht zugeben. Die Frage nach Einheit und Vielfalt des Ganzen, stellt sich der menschlichen Vernunft jedoch immer wieder mit unterschiedlicher Dringlichkeit. Manche halten die Frage nach dem Sinn des Ganzen,  verwirrt durch die Komplexität der Phänomene und Ereignisse für überflüssig, Andere, wie Welte und auch ich, für vernünftig und dringend geboten.

Ich habe mich aus innerem Antrieb und Überzeugung, wie im Ersten Band meiner „Geschichten und Gedanken“ ausgeführt, dafür entschieden, den Naturwissenschaften Respekt zu erweisen, aber auch den Geisteswissenschaften und Religionen, den ihnen zustehenden Platz einzuräumen. Es erscheint mir wünschenswert und dringend geboten, dass sich das in der Vergangenheit bewährte Zusammenspiel von Natur und Geisteswissenschaft, auch in Zukunft fortsetzen kann. Auf die allseits bekannten Folgen einer Trennung von Glauben und Leben, möchte ich anhand des derzeit beklagten Glaubensverlustes und der damit verbundenen Unsicherheit im Blick auf eine tragfähige Sinn-, Werte- und Normbegründung nachfolgend hinweisen:

Im Unterschied zu den Verhältnissen in meiner Jugend, als Klerus und Laien, Kirche und Gesellschaft sich vielfach ergänzten, erfahren kirchliche und lehramtliche Aussagen heute eine eher geringe Akzeptanz bei den Gläubigen und in der politischen Diskussion. Dies gilt insbesondere im Bereich der Gesetzgebung, der Ethik und Moral. Erkenntnisse der Natur-, Sozialwissenschaft und Philosophie, drängen stark in die öffentliche Meinungsbildung. Das bedrohliche Ausmaß dieser Einflüsse, auf die christliche Weltanschauung und deren Wertvorstellungen, wird im europäischen Raum vielfach beklagt. Wenn wir die Migration vieler Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Religionen und die dominante Präsenz atheistischer und laizistischer Vorstellungen bedenken, dann ist verständlich, dass die christlichen Kirchen das Sendungsbewusstsein ihrer Gläubigen einfordern, um den Glauben unverkürzt an die nächste Generation weiter zu geben. Wir sollten aber unseren Glauben in seiner langen Tradition aus jüdischen Wurzeln des alten und in Jesus Christus gründenden neuen Testamentes, Zeit und Ewigkeit zusammen führenden, alles stabilisierenden Werte- und Normenkanons, nicht gering schätzen. Juden, Christen und alle an Gott glaubenden Menschen gehören zu diesem durch die Zeit pilgernden Volk.

Gerade die ehrwürdige Geschichte der Katholischen Kirche, ihre Martyrer, Heiligen und Seligen, die Bischöfe Priester und frommen Gläubigen, vor allem aber Jesu Tod und Auferstehung, sind die Garanten für eine Zukunft über den Tod hinaus. Diesen Zeugen unseres Glaubens bin ich mit Gottes Hilfe ein Leben lang gefolgt. Die oft so sehr gescholtene und auch wirklich Fehler behaftete Kirche, ist mir im Bewusstsein ihres alles überragenden Segens, zu einer bestärkenden Heimat geworden. Ich bin auch nicht allein: Noch gibt es sie, die vielen treuen und rechtschaffenen Ordensleute, Bischöfe,Kardinäle, Priester, Diakone und Pastoralreferenten, die mit unterschiedlichen Aufgaben in Kirche und Gesellschaft betraut, Hand in Hand mit christlichen Männern, Frauen und Jugendlichen, um Gotteslohn wirken. Wie in einer guten Familie, gehören aber auch alle die mit dazu, die gefehlt haben. Dankbar für alle Gnade, den Zuspruch und die Wohltaten, die ich durch unsere Kirche und das freundliche Geleit evangelischer Christen erfahren durfte, bin auch ich bereit, alles was mir möglich ist, in Kirche und Gesellschaft einzusetzen, und den späteren Generationen und unseren Kindern zur Ermutigung, die Bedeutung dieses Glaubens für unser aller Leben, in diesem persönlichen Vermächtnis zu bezeugen.

Wie geht solcher Glaube? Hierzu einige Erfahrungen: Glaube geht von Hand zu Hand, von Mund zu Mund, wie ein „gebrochenes Brot“, zur Stärkung von einem Mensch zum anderen. Alles, was unseren Glauben stärkt, der gnadenhaft dem Herzen Gottes entspringt, sucht  eine Chance, um sich in unseren Seelen zu beheimaten. Dieser Glaube  enthält und übersteigt soziales Engagement ins Unermessliche. Denn er untersagt uns, Mitmenschen nieder zu machen, und gebietet stets  deren Würde und Gotteskindschaft zu achten. Jedem Menschen die Barmherzigkeit und den Segen Gottes, bis in den beseligenden Himmel hinein zu gönnen und zu wünschen, ist des Christen Pflicht und Freude. Das meine ich, wenn ich die Unendlichkeit einer personalen Beziehung nie fassend, manchmal sage: »Wenn ich könnte, würde ich Dich in Watte packen!«Welchen würdevollen Umgang mit Leid, Schuld, Freude und Vergebung, durfte ich in vielen Beichtgesprächen erfahren. Wie viel tröstliches Miteinander durch Christen in Familie, Gruppen, und der Arbeit, in gesellschaftlichen und politischen Aufgaben, durfte ich erfahren? Immer wieder traten sie mir vor Augen, die Vorbilder an Treue, Mut, Geduld, Demut, Hoffnung und Liebe. Wenn ich all das nur allein empfangen hätte, dann würde mir das Schönste, was es fürmich gibt, anderen Menschen Freude zu bereiten, und sie glücklich zuwissen, fehlen. So hoffe ich, dass das eine oder andere Wort, das auch ich empfangen durfte, vermag, sich als persönliches Vermächtnis von dem, was mir im Leben das Wichtigste war, Gehör zu verschaffen. Und ich wünsche, dass diese Worte aus dem prallen Leben, Mitmenschen so zu berühren und zu ermutigen vermögen, dass auch sie aus Freude am christlichen Leben, einen Weg finden, um Gott die Ehre zu erweisen und ihren Glauben in der ihnen möglichen Form mit den Hungernden und Dürstenden unserer Zeit zu teilen.

Geborgen in der Kirche
Geborgen im Glauben Hoffen und Lieben.

 

 

Anbetung

Gott Vater Sohn und
Heiliger Geist der DU
die rechten Wege weist
hilf uns leben und beten

Alles was es gibt und
was wir sind und haben
empfangen geschenkt
als DEINE Gaben

Wir danken DIR dass
Du uns liebst und uns
DEINE Schöpfung gibst
zu erhalten und verwalten

Lass uns in DEINEM Erbarmen
im Segen und Liebe mit den Armen
die Vergebung von Schuld und
Sünden in Gottes Reich verkünden

Dass wir in Einheit und befreit
von Zwietracht Not und Streit
versöhnt und im Verschonen
im DEINEM Reiche wohnen

Um der Welt in ihren Leiden
Gottes Allmacht zu bezeugen
uns zu retten vor dem Tod und
beizustehen als starker Gott

O Vater schenk uns lebenslang
Vertrauen Glauben Hoffung
Liebe uns zu verbünden Segen
Heil und Frieden zu verkünden

Hoffnung-Begegnung-Vertrauen

Vor Jahren entschloss sich im fernen Osten eine junge Frau, nach reiflichen Überlegungen in ein Kloster einzutreten. In ihrer Familie hatte sie Geborgenheit, Liebe und christlichen Glauben erfahren, und war daher auf ein Leben in einer religiösen Kommunität gut vorbereitet. Dennoch fiel ihr der Abschied von den Eltern, Geschwistern und ihrer Heimat schwer. Zur vereinbarten Zeit klopfte sie mit ihrer geringen Habe an die Pforte eines Klosters. Man erwartete sie bereits, und eine freundliche Schwester wies ihr ein sparsam möbliertes Zimmer zu. Von da an nahm sie, der Regel gemäß, als Novizin auch am Stundengebet und der täglichen Heiligen Messe teil. Die Gemeinschaft mit den Schwestern erleichterten es ihr, sich an ihre Aufgaben im Klosteralltag zu gewöhnen, und ihrer Berufung treu zu bleiben. Die Zukunft lag nun gestaltungsfähig, wie unbeschriebene Seiten ihres Lebensbuches vor ihr. Oft hielt sie den Rosenkranz ihrer Mutter in Händen und brachte alles, was sie erhoffte und befürchtete, im täglichen Gebet vor Gott. Zu dieser Zeit konnte sie noch nicht erkennen, welche Aufgaben sie einmal als Ordensschwester übernehmen sollte. Im Grunde ihres Herzens war sie aber ein fröhlicher Mensch, und vertraute darauf, dass Gott, der Herr, alles schon zum Besten lenken werde. In ihrer Jugend wurde die Novizin jedoch nicht auf Rosen gebettet, und hatte in einer großen Familie gelernt, Freude, Not und Entbehrungen mit anderen zu teilen. Klein von Gestalt, ließ ihr aufrechter Gang Energie und Zielstrebigkeit erkennen. Neugier und waches Interesse an allem, zeichneten die junge Frau aus. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit, reagierte sie gern mit einem befreienden Lachen. Durch ihr offenes und unaufdringliches Wesen, erleichterte sie es anderen Menschen, ihr vertrauensvoll zu begegnen. Man konnte ihre Lebensfreude und Zuversicht bemerken, wenn sie bei den täglichen Aufgaben ein Lied summte, oder ein Lächeln über ihr hübsches Gesicht huschte. Im Alltag gewannen Personen im Kontakt mit ihr leicht den Eindruck, dass die Novizin aber auch zupacken konnte, wenn es die Umstände erforderten. Sie erfuhr immer wieder Trost, wenn sie auf dem langen, manchmal beschwerlichen Weg durchs Noviziat, bis zur Einkleidung als Ordensschwester, den Rosenkranz ihrer Mutter im Gebet durch ihre Finger gleiten ließ.

Eines Tages rief sie die Oberin zu sich und richtete an die junge Schwester die Frage, ob sie sich vorstellen könne, in Zukunft als Krankenschwester in Deutschland zu arbeiten? Sie atmete erleichtert auf, als sie vernahm, dass sie ausersehen war diesen Dienst zu übernehmen, und entschied nach kurzem Bedenken, die Aufgabe anzunehmen. In der nun folgenden Ausbildung  zur Krankenschwester stellte sie wieder ihre Zielstrebigkeit und Ausdauer unter Beweis. Manche Stunde verweilte die Schwester zur Vorbereitung auf ihren Dienst in Deutschland im stillen Gebet. Ermutigend war für sie die Gewissheit, fern der Heimat schon erwartet, und in eine Gemeinschaft mit anderen Schwestern, aufgenommen zu werden. Zuvor galt es aber noch, die schwierige deutsche Sprache zu erlernen, um sich mit den Patienten ausreichend verständigen zu können.

Als die Schwester dann eines Tages im Flugzeug saß, über all das, was man von ihr erwartete nachdachte, und die geliebte Heimat ihren Blicken entschwand, vermochte sie die Tränen nicht mehr zu unterdrücken. Sie konnte in diesem Augenblick jedoch nicht sicher erkennen, ob die Tränen Ausdruck des Abschieds oder der Freude über ihre neue Aufgabe waren. Sie schämte sich aber dieser Gefühle nicht, umklammerte den Rosenkranz, und trocknete ihr Gesicht ab. Als sie sich danach im Flugzeug umsah, bemerkte sie eine tröstliche innere Nähe zu den Menschen, die auch zu ihren Zielen unterwegs waren. Nach einem ruhigen Flug kam die Franziskanerin wohlbehalten in Deutschland an, lebte sich bei ihren Mitschwestern ein, und trat froh und zuversichtlich ihren Dienst an.

Ein kleines, munteres Mädchen, saß mit ihrer Mutter auf einer Bank im Wartezimmer des Krankenhauses. Die Franziskanerin  kam mit den Besuchern ins Gespräch und erzählte auf deren  Nachfrage, dass sie aus Indien komme. Die Schwester freute sich darüber, dass es ihr schon möglich war, der Unterhaltung von Mutter und Tochter zu folgen und ihre Kenntnisse der deutschen Sprache hierzu ausreichten. Schutz suchend, eng an ihre Mutter gedrängt, stellte das Mädchen neugierig und aufgeregt die Frage, warum diese Frau neben ihnen, einen so komischen Hut auf dem Kopf habe? Die Mutter versuchte dem Kind mühsam zu erklären, dass dies kein gewöhnlicher Hut, sondern ein Teil ihrer Ordenskleidung sei. Mit großen Augen staunte das Mädchen, die Schwester an. Die Franziskanerin erkannte nun die Chance, dem Mädchen die Frage in deutscher Sprache zu beantworten. Es war in dieser Situation ja nicht erforderlich, komplizierte Zusammenhänge zu erläutern. Sie unterbrach aber für einen Augenblick ihr Gespräch mit dem Mädchen und sagte, sie habe soeben einen zur Aufnahme angemeldeten Patienten gesehen, den sie begrüßen und zu seinem Zimmer begleiten müsse.

Unsicher um sich blickend, betrat dieser Patient am Arm seiner Frau den Speisesaal der Klinik. Nach einem chirurgischen Eingriff, war es bei ihm erforderlich, die Folgen dieser Operation diagnostisch zu klären. Der Patient beruhigte sich wieder, als die Franziskanerin ihn lächelnd begrüßte, und sich erbot, ihn zu seinem Zimmer zu begleiten. Zurecht führte diese Schwester den Namen „Joyce“, denn sie war unaufdringlich und freundlich um das Wohl der kranken Menschen bemüht. Erst, als sich der Patient wieder zu Hause in seiner gewohnten Umgebung befand, konnte er sich eingestehen, dass ihn die Untersuchungen trotz der guten Pflege in der Klinik belastet hatten. Noch mehr berührte ihn aber der Verlust seines eigenen, mit vielen  Erinnerungen verbundenen Rosenkranzes. War er ihm doch im Laufe der Jahre zu einem wertvollen Begleiter geworden. Ein Gesätz dieses Rosenkrankes zur Nacht gebetet, genügte ihm, um in allen Lebenslagen, in die Ruhe und Geborgenheit eines erholsamen Schlafes zu finden. Umgehend setzte sich der Patient mit der Schwester „Joyce“ in Verbindung mit der Bitte, sie möge nachforschen, ob sein Rosenkranz in der Station gefunden wurde. Er fand sich nicht. An Stelle dessen erhielt er nach einigen Tagen einen Brief von der Schwester. Er enthielt zu seiner Freude einen neuen Rosenkranz, den sie ihm wohl in Vertretung des „Heiligen Antonius“ schenkte, der von frommen Menschen angerufen wurde, wenn sie einen Verlust zu beklagen hatten. Einige Wochen später, betrat die Frau dieses Patienten lachend das Wohnzimmer, öffnete die rechte Hand und versicherte, dass sie soeben den Lieblingsrosenkranz ihres Mannes wieder in der Waschmaschine gefunden habe. Mit Olivenöl eingerieben, nahm er auch seine ursprüngliche Farbe wieder an, die durch Waschvorgänge gelitten hatte. Seit dieser Zeit besaß der  Mann nun zwei Rosenkränze, die ihn als Geschenke an seine Mutter, und die liebenswerte Schwester  „Joyce“ erinnerten.

 

Heimat

Heimat

Die Menschen, Felder und Wälder um Oppenweiler herum, geben ihre Geheimnisse und ihren Segen nicht so leicht preis. Wer aber bereit ist, diese Region wie eine schöne Braut zu umwerben, dem wird sie mit der Zeit zur bergenden Heimat. Davon soll nun die Rede sein:

Einige von Ihnen werden den Weg, von Oppenweiler das Tal hin, durch den Wald, hinauf zum Eschelhof, und über Zell zurück, kennen. Oft bin ich diesen reizvollen Wanderweg selbst gegangen.Manchmal nahmen mich Wald und Flur liebevoll an der Hand und zerstreuten zeitweiligen Griesgram. In früheren Jahren benutzte ich den Weg, etwas despektierlich, als Rennstrecke, um festzustellen, wie schnell ich die Runde rennen konnte. Auch heute begegne ich bei meinen Wanderungen, Menschen, die diesen Weg nur als Trainingsstrecke kennen. Es könnte zwar sein, dass sie ab und zu miteinander reden. Ich frage mich aber, was sie, bei forciertem Tempo, in der Natur sehen oder erleben können?         Manchmal begegne ich einer etwas erschöpften, aber offensichtlich glücklichen Mutter, die nicht nur ihr Kind spazieren fährt, sondern zugleich einen neugierigen, wuseligen Hund Gassi führt. Eine feine Abwechslung für einen Wanderer wie mich, dann in die weltoffenen Kinderaugen zu blicken, sich ein vorsichtiges Lächeln zu gestatten und zu hoffen, dass auch das Kind ein wenig lächelt. Wenn das gelingt, freuen wir uns beide.

Ich bin froh, dass der befestigte Teil der Strecke, in einen den Füßen angenehmeren Waldweg übergeht. Die leichte Anhöhe zu gehen,  macht mir, da der Rücken mich nicht mehr plagt, wenig Schwierigkeiten. Ich nutze eine mir vertraute Gehhilfe. Meine betagten Wanderstöcke, aus früheren Jahren in den Bergen, begleiten mich und mahnen, mir heute auf meinem Weg, Zeit zu lassen. Von fern höre ich die Geräusche einer Motorsäge. Als ich näher komme, erkenne ich ein älteres Ehepaar, das sich mit Hilfe eines jungen, kräftigen Mannes abmüht, ihr Waldstück zu pflegen und eine über den Weg gefällte Tanne zu zerlegen. Ich mache Halt. Diese ansässigen, alten Bauern, sind mir sehr sympathisch. Ich schätze ihre Treue zur Scholle, ihre Mühen und den Fleiß, die Felder und den Wald zu hegen und zu pflegen, obwohl es dem »Ende« zugeht. Bauern, die wie die Meisen heute auf unserer Kiefer vor dem Fenster, munter hin und her fliegen, obwohl sie nicht wissen, wann der kalte Winter kommt.Wir begrüßen uns freundlich, plaudern ein wenig. Auch die geschäftigen Alten nehmen sich dafür Zeit, einfach so. Ich erzähle von meinen Verwandten, die es ähnlich gemacht haben und bin mir nicht mehr ganz sicher, wem mein Herz mehr gewogen ist, diesem Ehepaar, das ich seit Jahren kenne, oder meinen Verwandten, die ich in Ehren halte. Sei´s drum, dann mag ich eben Beide. Doch da unterlief mir möglicherweise ein Fehler: Ich fragte, warum sie sich in ihrem hohen Alter, diese Last schwerer körperlicher Arbeit zumuten würden. Sie hätten es doch verdient, es bei ihrer angeschlagenen Gesundheit, ruhiger angehen zu lassen. Da schaute mich die Bäuerin, die auch ihren kranken Mann noch zu pflegen hatte, wie verständnislos an. Es könnte sein, dass sie Tränen in den Augen hatte, als sie antwortete: » Das machen wir einfach so! «  Ich hatte nicht bedacht, wie sehr diesen Menschen ihre Scholle und die Pflege ihres Waldes an´s Herz gewachsen war. Respektvoll und etwas verlegen, löste ich mich daher aus dem Gespräch. Vielleicht haben diese fleißigen  Bauern mehr vom wirklichen Leben verstanden, als so manche »großartigen Leute«. Ich bin aber glücklich, mit ihnen befreundet zu sein, und freue mich darauf, wenn uns die Bäuerin wieder einmal ein großes selbst gebackenes Brot schenkt.

Ältere Frauen und Männer gehen nicht nur  langsamer, sie bleiben ab und zu auch aus den verschiedensten Gründen einmal stehen. So ging es auch mir. Ich halte an und stehe unversehens vor einem Baum, einer stämmigen, hoch gewachsenen Buche. Offensichtlich hat sie schon lange schweigend an diesem Platz unter vielen anderen Bäumen gestanden und darauf gewartet, gesehen und bemerkt zu werden. Sie hatte mit den Jahren bis weit ins Geäst hinauf an der Wetterseite Moos angesetzt. Nun richtete sie sich in ihrer vollen Würde vor mir auf. Als ich staunend an ihr empor blickte, erschien sie mir wie ein prächtiger, gotischer Dom, dessen Vielfalt einfach nicht zu fassen ist. Nun neigte sich mir die Buche im Wind freundlich zu. Sie schien, wie ich, mit sich zufriedenzu sein. Wir waren ja gerade dabei, in stiller, schweigender Betrachtung, mit einander Freundschaft zu schließen. Ob sie verstehen kann, dass wir uns schweigend so nahe gekommen sind, dass ich sie nie mehr vergessen werde? Sie gehört von nun an mit zu all den vielen, wertvollen Geschenken meines Lebens. Ganz sicher erkenne ich sie bei meinen nächsten Wanderungen um Oppenweiler herum wieder. Dann wird Halt gemacht. Ich bin  neugierig, was sie mir dann erzählt. Wenn Ihr  sie sehen wollt, es gibt sie wirklich, ich zeig sie Euch gern. Vielleicht würde sie sich auch über eine Begegnung mit Euch freuen. Eine Wegstrecke weiter blicke ich mich überrascht um. Ein Wunder?  Ist es doch einem Strauch gelungen, meine ganze Aufmerksamkeit zu fesseln. Das muss ich Euch erzählen:  Es war ein Strauch in bunten Herbstfarben mit reichlich Blattwerk. Fragt mich aber bitte nicht, zu welcher Sorte Sträucher er zählt. Diese Frage könnte ich Euch nicht beantworten, weil sie mir gar nicht wichtig erscheint. Er war unter den vielen anderen Sträuchern an diesem Tag mein ganz besonderer. Seine Blätter waren nämlich geschmückt mit unzähligen Tautropfen, die wie Perlen im Sonnenlicht glänzten. Offensichtlich kein gewöhnlicher, sondern ein kostbarer Strauch. Nun bin ich auf Überraschungen eingestellt. Ich wandere ein Stück weiter des Weges, gerate ins Staunen und bleibe unwillkürlich stehen. Stellt Euch die untergehende, goldene Herbstsonne vor, mit ihrem milden, weichen, und doch kräftigen Licht. Ihr ging ich entgegen. Meine Großmutter nannte sie einfach »die Alte«. Hat sie doch wahrlich viele Jahre auf dem Buckel, geht morgens auf, zieht ihre Bahn, bringt uns den neuen Tag, wärmt, lockt Leben heraus, um sich abends schlafen zu legen. Meine Großmutter  hat immer sehr respektvoll von der lieben Sonne geredet. Nun just, in diesem Augenblick, schenkt sie mir etwas ganz Besonderes: Sie blinzelt mir verstohlen durch die Blätter einer Buche zu. Das verwirrte mich ein wenig, denn ich kann nicht mehr genau unterscheiden, ob die Sonne, schwabbert oder ob die Blätter der Buche, die sich leicht im Winde drehen, diesen Eindruck hervorrufen. Würdet Ihr mir raten, ein so kostbares Erlebnis zu vergessen? Selbst wenn ich wollte, es ginge nicht. Solche Erfahrungen lassen sich nicht einfach wegwischen. Aber warum sollte ich diesen glücklichen Augenblick vorzeitig zu Grabe tragen. Es gab auf meiner Wanderung noch weitere schöne Geschenke: Wie ein Lausbub, genoss ich es, mit einem frohen Lied auf den Lippen, durch das Herbstlaub zu kicken und das Rascheln der trockenen Blätter bei jedem Schritt zu genießen. Mit offenen Augen und Sinnen blieb ich weiter im Austausch mit der mich umgebenden Natur. Wie so oft schon, betrachtete ich die Reichenberg, unsere Hausburg, die ich auf meinem Weg immer wieder umkreise. Auf wunderliche Weise schien sie mir heute plötzlich verwandelt. Sie hatte im diesigen Licht der Abendsonne besonderen Schmuck angelegt: Die ganze Burg  war eingehüllt in ein moosgrün-goldenes Gewand. Diese Erscheinung, faszinierte mich so, dass es für mich völlig unwichtig wurde, zu klären, welche Naturgesetze diesen Zauber hervorgerufen haben könnten.  Einige Schritte weiter, hatte die Reichenberg ihr Gewand gewechselt und schien nun wie in einen kostbaren goldroten Mantel gekleidet. Nie zuvor hatte ich die Burg in einem solchen Licht gesehen. Sie kann sich offensichtlich wie ein Chamäleon verwandeln.

Als ich dann in die Ebene hinab stieg und die Reichenberg wieder meine Aufmerksamkeit beanspruchte, war ich ein wenig enttäuscht. Sie hatte all ihre Farbenpracht abgelegt und stand wie seit alten Zeiten Oppenweiler als Wächter und den Wanderern als Begleiter zu Diensten. Aber nun weiß ich, wie schön sie bei anderem Licht besehen, wirklich sein kann. Auch nicht schlecht, dachte ich.

Einheit und Vielfalt

In meinem fünfundsiebzigsten Lebensjahr habe ich ein erfülltes berufliches Leben beendet. In der Ruhe und Stille der danach folgenden Tagesabläufe stellten sich mir vor allem zwei wesentliche Aufgaben. Zum einen in der Begegnung mit einem Universum innerer Erfahrungen und Möglichkeiten, die mir jeweils wichtigen Interessen und Bedürfnisse zu erfassen. Gleichzeitig im Blick auf reale Grenzen von Zeit und Gesundheit, aus der Vielfalt äußerer Optionen die wünschenswerten Beziehungen zu Menschen, Natur, Politik, Wissenschaft und Religion neu zu definieren. Die Vielfalt und Komplexität des frei gewordenen Handlungsspielraums faszinierten mich, und weckten zugleich Ängste. In diesem Beitrag versuche ich, die Tendenz, in der Vielfalt innerer und äußerer Phänomene eine Einheit zu wahren, als einen unbedingten inneren Anspruch auszuweisen. Der Vernunft den ihr traditionell gebührenden weiten Erkenntnisraum zu sichern, um in einen offenen Dialog mit allen Bedingungen des Daseins treten zu können. Den Blick auf die Lebensabläufe nicht nur  rein naturwissenschaftlich zu verengen. Mich mit anderen Menschen über die komplexen existenziellen Bedingungen einer humanen Lebenspraxis zu verständigen.

Seit ich selbständig zu denken vermag, bewegt mich die Frage nach den Voraussetzungen und Zielen menschlichen Handelns, und den Kräften, die unser bisheriges, gegenwärtiges und künftiges Leben bewegen. Unablässig frage ich mich nach meinem Standort und denAufgaben der nächsten Jahre in diesem Prozess innerer und äußerer Veränderungen. Wer bin ich eigentlich, welche Erfahrungenund Reaktionen bestimmen mein heutiges Verhalten, und welche Handlungsweisen erweisen sich als sinnvoll, um an der Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins mit zu arbeiten. Immer drängender stellt sich zum Beispiel die Frage, was der eigentliche Grund sein könnte, dass ich mit zurückliegenden und aktuellen Lebensereignissen, in literarischer Form mit anderen Menschen in Kontakt trete. Ein inneres Bedürfnis, das in dieser Form im beruflichen Alltag nicht befriedigt werden konnte. Was veranlasst mich, das Schweigen zu brechen, und bislang Unausgesprochenes sprachlich festzulegen, um mich mit anderen Menschen über Sachverhalte auszutauschen, so wie ich es eben jetzt in der Form eines Essays versuche? Obwohl ich davon ausgehe, dass andere Menschen, ob sie darüber reden oder nicht, ähnliche Erfahrungen machen, trete ich mit einer gewissen Befangenheit mit meinen Erkenntnissen ins Licht der Wahrheit und in die öffentliche

Diskussion. Gleichzeitig frage ich mich, was Menschen in Wissenschaft, Forschung, und Politik im Grunde antreibt, ständig neue und bessere Konzepte und Instrumente zur Daseinsbewältigung zu konstruieren und gesellschaftliche, kulturelle und historische Zusammenhänge  besser zu verstehen? Was drängt uns, nicht nur individuelle, sondern uns alle betreffende Zusammenhänge zu betrachten und in einem wissenschaftlichen Diskurs offen zu legen? Was hält den Prozess, die äußeren Daseinsbedingungen besser zu verstehen und Mittel zur Daseinbewältigung zu erfinden, in der Grundlagenforschung Wirtschaft, Politik, in allen Bereichen der Natur- und Geisteswissenschaften in Kunst und Religion in Gang?  Welche Bedeutung hat dies alles für unser Leben, und die damit verbundenen Aufgaben? Was treibt mich und uns an, dieses komplexe Geschehen im Mikro-und Makrokosmosbereich, das wir Menschen mit allen Lebewesen teilen, wenigstens partiell zu verstehen? Ich möchte nicht dem Trend erliegen, der weitgehend die „exakten Wissenschaften“ bestimmt und die Frage nach Ursache und Ziel dieses Prozesses im Ganzen als überflüssig ausblenden. Die Vernunft vermag in der Sicherheit einer langen Traditionskette, von der Antike über das Mittelalter bis in unsere Zeit, angesichts der Frage, warum gibt es dies und nicht nichts, nicht zu schweigen. Sie muss, ohne Letztbegründung, nach Spuren im Dasein fahnden, die eine sinngebende, letztlich alles gewährende, tragende und erhaltende Kraft erhellen können, um die humanen Bedingungen menschlicher Existenz zu sichern. Solche Spuren möchte ich in diesem Essay verfolgen.

Kehren wir an dieser Stelle zur Grundfrage zurück: Es scheint, wenn ich das richtig sehe, eine Kraft in uns selbst zu geben, die uns drängt, uns mit dem Geschick aller Menschen und Ereignisse unbedingt zu verbünden. Sie scheint alle Bereiche des individuellen und gesellschaftlichen Lebens in der gesamten historischen Dimensionen, selbst die unserem Bewusstsein partiell verschlossenen Lebenserfahrungen zu umfassen. Daseinsbedingungen, in denen wir uns vorfinden, die wir mit anderen Menschen und Lebewesen teilen, die sich in einem steten Wandel befinden. Wir alle stehen auf den Schultern unserer Vorfahren und profitieren vom Wissen und den Erfahrungen von Menschen, im Kontext der ganzen Geschichte. Selbst wenn wir die menschlichen Geschichte der Komplexität wegen oder um Abhängigkeiten zu leugnen aus unserem Bewusstsein verdrängten, blieben wir von den Wirkungen dieses Prozesses nicht verschont.Lassen sich Spuren in unserer Erfahrung sichern, mit Hilfe der oben beschriebene Prozess präziser bestimmt werden kann? Besteht eine Möglichkeit, näher zu bedenken, was mein und anderer Menschen Denken, Fühlen und Handeln antreibt, die inneren und äußeren Lebensräume und das Dasein im Ganzen zu sichten? Welche Methoden und Ausdrucksmittel sind geeignet, um als Menschen in dieser komplexen sich stets verändernden inneren und äußeren Welt unser Dasein verantwortlich zu gestalten? Im Hinblick auf die Mannigfaltigkeit der Phänomene, erfahren wir  immer wieder schmerzlich unsere Grenzen beim Versuch, unser Dasein in den fortwährenden Veränderungen zu begreifen.  Woher kommt der fast übermenschliche Mut, der uns in Solidarität mit anderen Menschen verpflichtet, den Herausforderungen der Wirklichkeit auch angesichts von Leid und Katastrophen zu begegnen. Was drängt Literaten und Künstler dazu, dem Lebenskontext auf der Spur zu bleiben, um die Phänomene in angemessener Form ins Wort zu fassen. Was lässt uns immer wieder unsere Angst und Mutlosigkeit überwinden, um dieser überfordernden Vielgestaltigkeit der Lebenskontexte „auf menschenwürdige Weise“ zu begegnen?

Versuchen wir, uns in einer nächsten Überlegung dieser Antriebskraft, so weit es in den begrenzten Möglichkeiten der Vernunft und Sprache möglich ist, ein wenig zu nähern. Da sich dies als ein schwieriges Unternehmen darstellt, zumal ich nicht einfach übernehmen will, was andere dachten und sagten, halte  ich Ausschau nach Weggefährten, die mich bei diesem Vorhaben ermutigen. Ich suche nicht nur den historischen Nachlass in den Werken der Forschung, Literatur, Kunst etc., sondern trete mit den Menschen neben mir oder vor mir in einen lebendigen Austausch, die sich ähnlich angetrieben, wie wir heute, im geschichtlichen Prozess in den Dienst der guten Sache stellten. Was von mir bedacht und ins Wort gebracht wird, sollte in einem offenen Dialog, eben in der Form dieses Essays vorgestellt und damit kritisch gesichtet und überprüft werden können. Es verbietet sich daher, nur mir selbst einen Spiegel vor zu halten, um Erkenntnisse über mein eigenes Denken, Fühlen und Handeln zu gewinnen. Die eigenen Erfahrungen sollten vielmehr im Austausch mit anderen Menschen dazu dienen, Spuren zu sichern, um die Frage nach der Antriebskraft unseres Verstehens- und Erkenntnisprozesses wach zu halten. Wichtiger scheint mir zu zeigen, auf welch vielfältige Weise ich mich mit anderen Menschen und Lebewesen in den sich wandelnden Daseinsbedingungen verbunden fühle. In einem nächsten Schritt gilt es nun, die Richtung der Antriebskräfte näher zu bestimmen:

Nach einer ersten phänomenologischen Analyse erweist sich das Drängen, Lebenskontexte zu verstehen als eine Wirkmächtigkeit, die sich aus den Tiefen existenzieller Betroffenheit erhebt und in uns selbst bemerkbar macht. In diesem ersten, ursprünglichen Sinne, ist sie einfach nicht weg zu denken. Sie wirkt offensichtlich in und durch uns, ob wir  schlafen oder wachen. Gleichzeitig erscheint sie unserem inneren Blick wie aus unfassbaren Quellen gespeist. Das heißt, wir sind durch sie angetrieben, ihrer selbst aber nicht mächtig. Dieser Antrieb erscheint als eine unser Denken Fühlen und Handeln im Ganzen bestimmende Größe. Er begründet einen ständigen existenziellen Prozess des Dialoges mit den Mitmenschen und Daseinsbedingungen, der alles, was es gibt, voran treibt. Er drängt uns unablässig, die ganze Mannigfaltigkeit des Lebens so miteinander zu verbinden, dass nichts endgültig verloren gehen soll. Diese Kraft fordert nachdrücklich, dass wir uns nicht nur mit einigen Details, sondern mit dem ganzen menschlichen und persönlichen Erleben befassen, und die gesamte Erfahrung unserer selbst in einer liebenden Zuwendung gelten lassen. Ihr eignet insofern ein Drängen nach Wahrhaftigkeit. Wir sind es selbst. Alles was wir  von uns und unserer Lebensgeschichte überblicken, auch das was sich unserem Bewusstsein verschließt, gehört unbedingt zu uns. Dieser Antrieb führt in einer ebenso beständigen Außenwendung dazu, uns denkend, handelnd, fühlend und entscheidend, aktiv in die realen Lebens und Erlebenskontexte ein zu bringen. Auch hier zeigt sich wieder das Bemühen, die Vielgestaltigkeit gesellschaftlicher, wissenschaftlicher und politischer Phänomene im historischen Zusammenhang zu erfassen. Und auch hier stellt sich wider die Frage, was dieses Drängen, die Kontexte zu verstehen in Gang hält und was die Richtung dieses ganzen Prozesses bestimmt? Nicht zuletzt die Frage, was uns Menschen zum verantwortungsvollen Engagement in diesem Gewirke veranlasst?

Was ist diese bestimmende Größe, die danach drängt, das gesamte äußere Daseinsgeschehen in einer Einheit zusammen zu halten. Verdanken wir doch dieser Antriebskraft schließlich die Gewissheit, dass wir selbst es sind, die von ihr angestoßen als Zentrum unseres eigenen Lebens und Wirkens einen Beitrag in diesem Spiel leisten. Insofern bleiben wir letztlich in allen Abhängigkeiten die verantwortliche Mitte für unser Tun und Streben. Niemand kann uns die Verantwortung abnehmen und unseren Platz einnehmen. Es  scheint insofern geboten, eine von uns nicht geschaffene Kraft, die  darauf drängt, alles, was es gibt, die Innen- und Außenerfahrungen bewegt unbedingt zu respektieren. Selbst wenn wir versuchten, schmerzliche Erfahrungen der äußeren Lebensbedingungen aus unserem Bewusstsein auszuschließen, sind wir dennoch von allen Entwicklungen betroffen. Dies gilt im gesamten Dasein für alle biologischen, physiologischen und psychischen Begleiterscheinungen unserer Existenz.  Die Antriebskraft drängt uns auch mit den gesamten entwicklungs- und altersbedingter Veränderungen im menschlichen Leben in Kontakt zu treten, auch den Tod zu bejahen und uns mit der Frage des Sinnes menschlicher Existenz über den Tod hinaus zu befassen.

Das Erste, was ich in einem Resümee des oben Gesagten ausdrücken möchte, ist ein elementarer, abgrundtiefer Dank an das Leben in all seiner Vielfalt. Er gilt in besonderer Weise meiner Familie, die imsüdlichen Schwarzwald, dem Hotzenwald und in Bayern wurzelt. Der Region um meine Heimatstadt Rheinfelden, in der ich leben lernte und der Muttersprache, dem badischen Dialekt, der mich in besonderer Weise begleitet. Dank auch den Jugendfreunden, Klassenkameraden,  Frauen und Männern, die meine Kindheit und Jugendzeit wohlwollend begleiteten. Den ehemaligen Kollegen einer Baufirma mit denen ich den Arbeitsalltag eines mittelständischen Unternehmens teilte. Dank an die Heimatstadt, der ich als Stadtrat einige Jahre dienen durfte. Dankbarkeit gegenüber den Priestern und redlichen Gläubigen, die mich in einen katholisch weiten Erfahrungsraum hinein führten. Dank den Lehrern der Heimschule Lender, die mir halfen, das Abitur in der humanistisch – altsprachlichen Form nachzuholen, der Leitung des Spätberufenenseminars St.Pirmin und den Menschen der schönen mittelbadischen Region um Sasbach. Dankbare Erinnerung gilt den Erfahrungen im Collegium Borromaeum und den Professoren der Uni Freiburg, die mich in die Grundlage von Philosophie und Theologie einführten. Dank der Stadt Münster in Westfalen mit dem Prinzipalmarkt und Dom, die mir im weiteren Verlauf meiner Studien der klinischen Psychologie zur zweiten Heimat wurde. Innigen Dank den Menschen, die mir beim Studienwechsel zur Psychologie verständnisvoll und hilfreich zur Seite standen. Den Chefs und Mitarbeitern im Westfälischen Landeskrankenhaus Münster, die mir immer angemessene und herausfordernde Aufgaben stellten seiebenfalls Dank gesagt. Dankbare Erinnerung gilt unseren Freunden in  Münster. Dank auch den Menschen, die mir die psychologische Leitung einer Klinik für Alkohol- und Medikamentenabhängige über Jahre anvertrauten. Dank vor allem meiner geliebten Frau und meinen Kindern, die mich im steten Wandel der Entwicklung begleiteten. Dank an die vielen Kollegen und Therapeuten, denen ich eine fundierte Ausbildung zum Psychologischen-Psychotherapeuten verdanke. Dank an meine Patienten, mit denen ich fast zwanzig Jahre in eigener Praxis zusammen arbeiten durfte. Besonderer Dank aber gilt meinem  geliebten Oppenweiler, den Bergen, Wäldern, und Feldern der Umgebung, Bauern und fleißigen Nachbarn, die mir zur Heimat wurden. Dank dafür, dass ich in einem lebendigen Austausch mit dieser Vielfalt leben darf und dass mir so viele Menschen christlich ausgedrückt zu wahren Brüdern und Schwestern wurden, die mich angehen in Freud und Leid, mit denen ich mich im gesellschaftlichen und politischen und kirchlichen Raum engagiere.

Hier taucht sie wieder auf, die oben gestellte Frage, woher dieser elementare Dank an das Leben komme? Was mich nötigt, diesen Dank nicht für mich zu behalten sondern anderen Menschen mitzuteilen? Worin gründet diese umfassende Dankbarkeit? Zeigt sich hierin nicht auch der Wunsch, dass nichts von all dem Vielen verloren gehen sollte. Eine Tendenz zur Einheit in der Vielheit. Eine Tendenz, die alle Erfahrungen im Innern und Äußern einholt, die Unterschiede toleriert und den liebenden Daseinsbezug nicht preisgibt. Meine Dankbarkeit gilt auch all den Menschen, die sich in Wissenschaft und Forschung, im Arbeitsleben und politischen Umfeld exponieren und unser Verständnis der Daseinsbedingungen ständig erweitern. Sie gilt ebenso uneingeschränkt den Künstlern, Musikern Literaten, die sich nicht mit dem exakt Messbaren zufrieden geben und die Frage nach dem Sinn des Ganzen, den ins Leben verwobenen Geheimnissen, die Frage nach dem Ziel unseres Daseins und den Gründen aller Bewegung, wach halten. Er gilt den Vertretern aller Religionen insbesondere der christlichen Tradition, die mit unserer abendländischen Geschichte aufs innigste verwoben ist.

Ich habe oben die Frage nach den Methoden gestellt und der angemessenen Ausdrucksweise der angesprochenen Erlebnisbereiche. So sehr meine Vernunft die Auseinandersetzung mit den naturwissenschaftlichen Befunden in ihrer Eigenständigkeit einfordert und unbedingt bejaht, so sehr wehrt sich dieselbe Vernunft gegen ein Monopol der Naturwissenschaft zu Lasten anderer zur Begründung einer humanen Lebensführung angebotener geisteswissenschaftlichen, philosophischen und theologischen Erklärungsmodelle. Alles was ich bislang zu sagen versuchte, ist im exakt messbaren Raum des Weltverständnisses entbehrlich. Darüber denken viele Menschen nicht mehr nach. Was ginge uns aber verloren, wenn wir in den Familien und im Staat und in den internationalen Verflechtungen die Postulate verantwortlicher Humanität zerstörten. Ist die in vielfältiger Form oben besprochene Tendenz zur Einheit in der Vielfalt, das aus unfassbaren Quellen gespeiste Nachdenken nichts mehr wert? Verdrängen wir dadurch nicht eine wesentliche menschliche Fähigkeit, an der Frage nach dem Sinn und Ziel allen Daseins von Geburt bis zum Tod und darüber hinaus zu reifen?  Begründet die Frage nach den Ursachen und dem Ziel der ganzen Daseinsbewegung, die aus unfassbaren Quellen fließt, nicht endlich wahre Humanität, die jeglichem Hochmut eine Grenze setzt und zu lässt, dass wir nicht Herren des Dasein, sondern Diener der Liebe sind.

Ich schließe mit einer theologischen Reflexion: In der auf dasGanze geöffneten katholischen Tradition findet sich ein Modell wahrer Einheit in der Vielfalt. Wir sprechen staunend von der Verschiedenheit von Vater Sohn und Heiligem Geist in der Einheiteines Wesens in liebend ewigen Austausch. Es gibt den Sohn, den wir Herrn nennen, nicht ohne den Vater und den Heiligen Geist und umgekehrt. Demnach eine liebende Einheit in der dreifaltigenVerschiedenheit. Muss es uns da wundern, wenn wir als wahre Söhne und Töchter des dreifaltigen Gottes in uns ein Drängen nach Einheit verspüren, das die Verschiedenheit in allen Daseinsbereichen zusammenliebt. Könnte das in diesem Essay beschriebene Drängen nach Einheit in der Vielfalt etwa Ausdruck unserer in uns eingesenkten Gottebenbildlichkeit sein? Ist es daher sinnlos oder entbehrlich, wenn ich im Geiste einer langen Tradition, obwohl meine Aussagen nicht exakt messbar sind, darauf aufmerksam mache, dass es in uns, um uns und über uns geheimnisvolle Zeichen gibt, die uns mahnen, uns nicht zu Göttern der Machbarkeit zu erheben, sondern die wesentlichen Kräfte und Quellen, unseres Dasein einem Grund und Schöpfer zu verdanken der  alles Mühen der Vernunft um Einheit in der Vielfalt begründet. Vielleicht ist in meinem Versuch, zu sprechen auch zu spüren, dass ich die Hoheit des dreifaltigen Gottes nicht für ein anthropologisches Denksystem vereinnahme, sondern die über alles Denken hinausreichende Andersartigkeit Gottes verteidige, dessenliebendes und erhaltendes Wirken uns aber oft erst im Nachhinein etwas deutlicher wird.Hier schließt sich der Kreis meiner Fragestellung, die jedem der hören will und kann, einen Bruder im Geiste zu Seite stellt undein  göttliches Prinzip in Gestalt eines dreifaltigen überaus verehrungswürdigen personalen Gegenübers in aller Bewegungdes Denkens und Handelns anerkennt. Gott, der letztlich jegliche Einheit in der Vielfalt begründet und uns selbst mit denen verbindet, die der Tod von unserer Seite gerissen hat. Eine Einheit wahrende Liebe in aller Vielgestaltigkeit menschlicher Erfahrung, die Erde und Himmel verbindet.

Geborgen in der Kirche
Geborgen im Glauben Hoffen und Lieben.

 

 

 

 

Erfüllte Gegenwart

Liebe Literaturfreunde,ich habe in den letzten Tagen wieder einmal über das Phänomen der Zeit nachgedacht, sah aber davon ab, meine Gedanken hierzu in einem Essay zu bearbeiten. Eine aktuelle Erfahrung regte mich aber an, mit Ihnen über einige erfüllte Augenblick im Zeiterleben zu reden:

Unsere älteste Tochter befand sich zu unserer Freude wieder einmal für einige Tage mit ihren Hunden bei uns zu Besuch. In meinem geliebten Sessel sitzend, genoss ich die  angenehmen Erinnerungen an ihre Zeit im Elternhaus. Die leichte Trauer, die sich bei dem Gedanken an ihren bevorstehenden Abschied einstellte, ließ aber wieder nach, als ich mir vorstellte, wie wir uns bei der Trennung innig umarmten, und ich ihr für das  künftige Leben bis in den Himmel hinein alles Gute wünschte.

Das wollte ich ihr unbedingt nahe bringen und ging sofort zu ihr in unser Wohnzimmer. Claudia spielte am Flügel. Ich unterbrach sie etwas aufgeregt und sagte: „Mir ist nach einem Tanz mit Dir zumute, obwohl ich nicht mehr so gut zu Fuß bin wie früher.“ Sie willigte erfreut ein und wir tanzten einige Schritte zu meinem Gesang, „ich tanze mit Dir in den Himmel hinein, in den siebenten Himmel der Liebe,“ um dann hinzu zu fügen, „das meine ich wirklich so“. Dann sagte ich zu ihr: „Claudia ich weiß, dass wir immer gern mit einander getanzt haben.  Und wer könnte uns daran hindern, solange es geht, das Tanzbein zu schwingen und uns zu wünschen, mit einander bis in den Himmel hinein zu tanzen?“

Warum erzähle ich Ihnen, liebe Literaturfreunde, diese Begebenheit? Einfach deshalb, weil mir das Wohlergehen unserer Töchter und aller Menschen, mit denen ich eine Lebensstrecke wandern durfte, in Zeit und Ewigkeit wichtig ist. Derartige geheimnisvolle Ereignisse erfüllter Gegenwart, sind für mich Zeichen einer tiefen menschlichen Sehnsucht nach ewiger Freude in Gottes gegenwärtiger Liebe.

Auch Ihnen, liebe Literaturfreunde,  wünsche ich allezeit freundliche Begleiter beim Tanz durch ihr Leben. In der frohen Hoffnung auf eine erfüllte ewige Liebe in der Gegenwart Gottes, reiche ich auch Ihnen meine Hand, und wir tanzen dann zusammen bis in den ersehnten Himmel der Liebe hinein.

Tanzen

 

 

Eine Reise nach Hamburg

Es ist der 25. Januar des Jahres 2015: Sehr früh am Tage erblicken unsere Enkel das Licht der Welt. Gott sei´s gedankt! Unsere Tochter Veronika hat Zwillinge geboren. Die Mutter und Kinder sind gesund. Auch der besorgte und stolze Vater hat „die anderen Umstände“ gut überstanden. Wir, die Großeltern, alle Verwandten, Freunde und Bekannten, freuen uns über die Geburt von Emilia und Paul. Erste Fotos der Enkel lassen keine Wünsche offen. Wir sind entzückt über die hübschen Kinder, staunen über dieses Wunder, und finden die Kleinen zum Knuddeln und Küssen süß.

Schon lange stellten sich Veronika und Arthur, auf ein Leben mit Kindern ein. Sie konnten in einer ruhigen Wohnlage im Nordwesten Hamburgs ein schönes Haus erwerben, bauten es um und richteten es nach ihren Bedürfnissen ein. Auch der große Garten mit altem Baumbestand wurde neu gestaltet. Beim Gartenhäuschen mit dem windgeschütztem Sitzplatz, durfte auch der passende Strandkorb nicht fehlen. Wir Großeltern begutachteten bei verschiedenen Besuchen den Baufortschritt; ein Ergebnis sorgfältiger Planung und aufwendiger Arbeit. Hier entstand in den vergangenen zwei Jahren ein Zuhause, in dem sich Eltern wie Enkel wohl fühlen können.

Als wir von der Geburt der Zwillinge erfuhren, war Iris, meine Frau, nicht mehr zu halten. Sie musste, wie die anderen Verwandten, die Enkel unbedingt sofort sehen, kehrte überglücklich von einem Blitzbesuch in Hamburg zurück, und schwärmte von den „süßen Kleinen“, die sie zum ersten Mal in den Arm nehmen durfte. Wir planten umgehend einen gemeinsamen, längeren Aufenthalt in Hamburg. Als Großvater musste ich mich aber trotz erfreulicher Botschaften,  noch etwas gedulden, bis ich die Enkel sehen und erleben durfte.

Endlich war es so weit: Doch kurz vor der Abfahrt, traten bei mir heftige Rückenschmerzen auf, die eine Reise zu verhindern drohten. Dabei hatte ich mich in Vorfreude doch schon sorgfältig auf die Fahrt vorbereitet. Sollte es mir nun nicht gegönnt sein, meine Enkel zu sehen? Auf Rat meiner Frau, entschloss ich mich aber trotz der Beschwerden, die Reise im Auto zu wagen. Entgegen aller Sorge, gelang es mir, die Rückenlehne des Sitzes so einzurichten, dass die Schmerzen erträglich blieben. Wir hatten zudem Glück: An diesem etwas diesigen Wintertag herrschte mäßiger Verkehr auf den Straßen. Mit wachsender Distanz von Oppenweiler, nahm die Hoffnung zu, die Reise gut überstehen zu können. Nach nur sechs Stunden Fahrzeit, tauchte die uns bekannte Silhouette Hamburgs vor uns auf. Dem Ziel unserer Reise waren wir nun sehr nahe:

Veronika hatte sich bei unserer Ankunft gerade, nach der „Mahlzeit“ mit den Kindern, zu einem Plauderstündchen auf das Sofa im Wohnzimmer zurückgezogen. Es herrschte beruhigende Stille im Hause. Paul flirtete, bequem auf den Oberschenkeln der Mutter liegend, mit Veronika, die ihn zum Dank für seine zufriedene Miene, gelegentlich ein wenig rüttelte. Emilia hatte es sich im rechten Arm ihrer Mutter bequem gemacht, und schaute sie satt und zufrieden unverwandt an. Beide Kinder beteiligten sich mit lebhaftem Mienenspiel an der Plauderei. Die Stimme Veronikas schien ihnen vertraut zu sein.

Wir wurden nun unseren Enkeln hoch offiziell, als deren Oma und Opa vorgestellt. Die Kleinen sahen wirklich genau so aus, wie ich sie von den Fotos bereits kannte. Zunächst stand ich ein wenig sprachlos aber sehr dankbar vor diesem Wunder an Leben. Veronika versicherte uns, dass beide Kinder seit ihrer Geburt, an Gewicht schon deutlich zugelegt hätten. Als ob wir uns schon lange wohl bekannt wären, gelang mir die richtige Zuordnung der Namen in Kürze.

Es dauerte nur eine kleine Weile, bis es die glückliche Mutter wagte, uns ihre Kinder anzuvertrauen. Ich kann Ihnen versichern, liebe Leser, dass es für mich ein sehr schönes Gefühl war, eine so süße Enkelin an sich zu bergen. Es dauerte daher nicht lange, bis es  Emilia gelang, ihren Großvater zu einem lebhaften „Gebabbel“ zu verführen.

Nichts von all dem, was sich früher zwischen mir und unseren Töchtern abspielte, hatte ich verlernt, und bald bemerkt, dass Emilia, wie ihre Urgroßmutter Emilie, Musik zu lieben schien. Und mir fielen wie von selbst alle möglichen Lieder zu, die wir einst mit unserer Mutter sangen. Unter uns gesagt, es waren auch einige nicht so ganz koschere „Lumpenliedchen“ dabei. Emilia schien sich aber nicht daran zu stören. Sie scheint wahrlich nicht aus der Art gefallen zu sein.

Ihr Bruder Paul wurde indessen von seiner Oma sehr verwöhnt und  liebkost, wie es sich für einen angehenden Mann gehört. Meine Prognose für seine Zukunft ist klar: Paul, von Kindheit an so ans „Schmusen und Küssen“ gewöhnt, wird mit großer Wahrscheinlichkeit auch in seinem späteren Leben diese Einstellung beibehalten. Uns bleibt nur zu raten, welche familiären Erbanteile sich in diesem Knaben verkörpern.

Einige Stunden verbringen wir nun schon mit unserer Enkeln und deren Eltern in Hamburg. Gestern fand die erste Ausfahrt statt. Die Kinder wurden schön warm eingepackt und dann marschierten wir mit dem geräumigen, leichtgängigen Kinderwagen los. In der Nähe gibt es übrigens sehr schöne, ruhige Wanderwege, die sich zu derlei Ausfahrten unterschiedlicher Länge anbieten. Veronika machte uns dabei auf die vielen Pferde aufmerksam, die es hier gebe. Sie erwartet wohl zu Recht, dass sie, wie andere Eltern, in nicht allzu ferner Zeit auch unsere Enkel auf Ponys im Kreise herum führen müssten. Nebenbei bemerkt: Ich erinnere mich noch sehr gut an die Zeit, als mich unsere Töchter als Pferd benötigten, oder später an die schwierigere Aufgabe, sie davon zu überzeugen keine eigenes Pferd zu bekommen. Mir lag die Klage eines Freundes in den Ohren, der alle Wünsche seiner Tochter geduldig erfüllte, bis auf den Umstand, jedes Wochenende auf einem anderen Turnierplatz zubringen zu müssen.

Aber nun wieder zurück nach Hamburg: Bis unsere Enkel so weit sind, dauert es eh noch eine Weile. Gern überlassen es wir ihren Eltern zu entscheiden, welche Vorlieben sie ihren Kindern gönnen wollen. Es erscheint uns Großeltern eher angenehm, derlei Entscheidungen, an die nächste Generation abgeben zu dürfen. Auffallend rasch vergeht die Zeit mit unseren Enkeln, denen es schon gelungen ist, die Herzen ihrer Großeltern für sich zu gewinnen. Schon wenige Stunden der Trennung genügen, um sich wieder nach Ihnen zu sehnen.  Während ich hier sitze und an dieser Geschichte arbeite, vermisse ich die Kleinen schon. Ich freue mich wieder darauf, bald ohne Beschwerden mit marschieren, und mit ihnen Plaudern zu können,  denn der Opa hat noch viele Räubergeschichten und Lumpenliedchen auf Lager, die sie hören sollten. Die Kleinen verstehen zwar die Worte nicht, wohl aber die sonore Stimme des Großvaters, die es gut mit Ihnen meint.

Ich freue schon wieder auf die nächste Ausfahrt und die Gelegenheit, mit stolz geschwellter Brust den Kinderwagen zu schieben. Das hat übrigens auch Vorteile: Zum einen gelten mir dann die bewundernden Blicke aufmerksamer Damen oder Herren, zum anderen kann ich mich am Kinderwagen, unauffällig wie an einem Rollator halten, und nur geschulte Blicke bemerken mein unsicheres Gehen.

Für heute beschließe ich meine ersten Eindrücke über die Reise nach Hamburg und bin glücklich, dass ein brandneues Notebook mir erlaubt, der gelegentlichen Lust, zu schreiben, störungsfrei nach zu kommen. Bis zum nächsten Mal, liebe Leser!

 

 

 

 

 

Drei Seiten

Mitten in einer schöpferischen Phase in der ich einen Literaturblog einrichten konnte, der es mir erlaubte, meine bisherigen Werke einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen, machte ich eine seltsame Erfahrung. Ausgangspunkt bildete ein Traum:

In diesem Traum kam es zu einem Kampf, der sich als ein Gespräch  eines Gegensatzes von Gut und Böse darstellte. Ich füge hinzu, dass es sich um eine Erfahrung handelte, für die im Traum keine Objekte festzumachen waren. Daher schloss ich daraus, dass es sich um bewegende Kräfte(Antriebe) in mir selbst handeln müsse und dass ich beide Seiten sehr gut kenne. In einem Gespräch darüber sprachen wir deutend von Eros und Thanatos. Wenn eine dieser Seiten das Bestreben ist mit allem, was es gibt Verbindung zu halten, dann kann die andere Seite als eine Kraft gelten, die positiv gesehen, alles für sich behalten will.  Mir fallen im Moment auch die Stichworte: „Lieben und geliebt werden ein“

Bei unserem Gespräch fiel mir in diesem Zusammenhang das Buch von Zagermann 1985 : „Eros und Thanatos“ ein. Ich habe danach kurz Einblick genommen in diese Arbeit, die sich psychoanalytisch mit diesem Thema befasst. Da es mir in meiner augenblicklichen Verfassung aber nicht hilfreich erschien, mich mit dieser Theorie zu beschäftigen, las ich nur einige Auszüge, die sich auf die christliche Lehre von Tod und Auferstehung bezogen, und ließ bald davon ab. Ich bemerkte aber, als ich am Rechner arbeitete und Fragen entstanden, die ich nicht lösen konnte, eine zunehmende Verwirrung und Anspannung, die ich als den Zustand kenne, wenn mich früher eine Schreibstörung behinderte. Ich konnte mich aber zunächst wieder davon lösen und einem Vortrag einer methodistischen Bischöfin von Kirche im Dialog, zur christlichen Kirche in globaler Welt mit einigem Interesse folgen. Die Verwirrung nahm aber danach wieder zu. Ich gab noch einen Text in den Literaturblog ein und begab mich zu Bett:

Nach einer unruhigen Einschlafphase und dem Nachtgebet erwachte ich mehrfach, verwirrender Trauminhalte wegen. Es stellte sich danach ein Traum ein, in dem ich mit anderen Personen zusammen auf einem Schiff bin. Die näheren Inhalte des Traums sind mir entfallen. Gegen morgen hatte ich die Fantasie, dass ich, wenn ich ein Tänzer wäre, die dunkle verwirrende Seite in ihrer Begrenzung tanzen lassen würde, in der sie sich als eine verwirrend richtungslos in sich gewendet Kraft bewegte. Dann kam  es zu einer Begegnung mit einem anderen Tänzer,der sich frei und kreativ im Raum entfaltete. Begleitet war die Vorstellung des Tanzes von Licht und Dunkelheit von der Fantasie, als ob sich der Lichttänzer der Dunkelheit in Liebe zuwende, um sie zu befreien. Ich spüre  im Moment auch beim Schreiben, dass ich mich dieser armen, richtungslosen Seite meiner selbst im Mitleid zuwende. Ich entwickelte dabei auch die Vorstellung, dass es einer Art Regie bedürfe, die außerhalb der beiden Kräfte wirken sollte, um beiden Seiten Daseinsberechtigung zu ermöglichen.

Dies führte mich zum Gedanken eines Dritten, der weder Dunkelheit noch Licht sondern Dialog, Geist, Berührung ist. Möglicherweise könnte ich im Anschluss an unser Gespräch über den Kampftraum erfahren haben, dass sich in mir etwas Neues, ein Dialog, eine Beziehung zu beiden Seiten entwickelt(die Raupe; die sich entpuppt). Eine eigenständige dritte Kraft, die in anerkennender Berührung das eigene Wesen von Licht und Dunkelheit, Eros und Thanatos vor Spaltung und Verschmelzung bewahrt und deren Beziehung als Einheit im Geist der Liebe sichert.

Könnte das die dritte Kraft sein, die wir im christlichen Verständnis als Heiligen Geist ansprechen? Aber nun verstanden und erfahren als ein zutiefst in mir wirkendes Geschehen, das Spaltung und Verschmelzung überwindend, eine neue Einheit bildet? Die dritte Kraft würde alle Teile(Gut und Böse, Dunkelheit und Licht, Eros und Thanatos etc.) liebend anerkennend berühren, ihrer Eigenständigkeit sichern, und im Geist von Dialog und Beziehung zur Einheit befrieden.

Ich musste alles heute wie in einem Tagebuch festhalten, um es dann mitteilen zu können, denn an die dritte Kraft des Heiligen Geistes  in mir, der Einheit und Vielfalt sichert, muss ich mich erst noch gewöhnen. Die Jünger des Herrn brauchten nach Ostern ja auch einige Zeit, um sich an die Auferstehung des Herrn zu gewöhnen.

Die Auferstehung der ewigen Liebe.
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