Spur der Liebe

Immer wieder staune ich darüber, wie vieler Überlegungen es wohl
bedurfte, und welche Mühen Menschen auf sich nahmen, um die
Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass wir in unseren Autos ein
Navigationsgerät benutzen können, das uns hilft, den richtigen Weg
zu finden. Auch die drei Könige konnten sich vor Zeiten auf ihren
guten Stern verlassen, der sie zur Krippe des Gotteskindes führte. Der
Philosoph Pascal folgte auch einer Weisung, als er sagte, dass das Herz
seine Gründe habe, die der Verstand nicht kenne.

Ich habe vor Jahren meine schriftstellerische Arbeit mit einem Essay
über die “Einheit und Vielfalt” eröffnet. Damals nicht wissend, was
mich eigentlich dazu veranlasste. Ich fasste daher die Motivation zum
Schreiben zunächst in den Begriff „Drängen“. Etwas Besseres fiel mir
als Arbeitshypothese nicht ein. Insgeheim war ich mir aber sicher,
dass sich alles nach und nach klären werde. Heute schaue ich in einem
Rückblick darauf, was inzwischen geschah. Es sind auch zu meiner
Freude, drei Bücher mit den unterschiedlichsten Themen entstanden.
Manchmal habe ich schon darüber nachgedacht, warum und unter
welchen Bedingungen ich gerade diese Gedichte, Aufsätze und
Erzählungen geschrieben habe?

Konkret frage ich mich heute, was das Navigationsinstrument in mir
gewesen ist, das die Auswahl und die Art und Weise der
Themenbehandlung und des Umfeldes meiner Gedanken steuerte. Als
das Manuskript des dritten Bandes nach Abschluss letzter Gespräche
mit meinem geschätzten Lektor vor mir lag, und ich es noch einmal
durchgelesen hatte, lehnte ich mich zurück, atmete auf und
sagte zu mir humorvoll: Ach bist Du klug und weise – ich hatte in
diesem Augenblick den flüchtigen Eindruck, als könne ich das Ganze
selbst gar nicht geschrieben haben.

Danach setzte ich mich in meinen Sessel im Wohnzimmer, in dem ich
schon oft in allen möglichen Stimmungslagen saß. Plötzlich stieg in
in mir ein Lachen auf. Fragt mich nicht woher und warum. Eine
solche Frage stellte sich selbst für mich in jenem Augenblick nicht.
Mir genügt es auch heute, dass ich in jener Situation, trotz manch
leidvoller Erfahrungen in meinem Leben, einfach nur lachen konnte.
Darum sagte ich zu mir, Franz, dieses Lachen hast Du Dir redlich
verdient. Lass es lachen, wenn Dir jetzt danach ist. Und es kam mir in
der Folge soviel „Unsinn“ in den Kopf verbunden mit der Erkenntnis,
dass gerade bei Konflikten, in denen etwas Unerwartetes passiert,
möglicherweise zugleich entscheidend Neues geschieht. Nur schätze
wir als Kluge und Weise derartige Übungen der Demut nicht besonders.
Als mich danach mein Computer durch einen Bedienungsfehler ärgerte,
kam das Lachen wieder. Ebenso bei dem Versuch, mit einigen Problemen
in der Kirche klar zu kommen.

Ich musste dabei an den verehrten Papst Johannes XXIII. denken, on dem folgende Sätze überliefert sind: Ein Engel habe ihm einmal gesagt „Giovanni, nimm Dich nicht so wichtig, Du bist ja nur der Papst. Und an anderer Stelle sagte dieser gütige und weise Mann über sich: „Ich gehöre nicht mir selbst, auch nicht den anderen Menschen,ich gehöre nur dem Herrn“. Könnte dieser liebenswerte Papst auch für
uns gesprochen haben?

Nun aber zurück zu meinem Thema: Wir alle kennen wohl recht gut
die gelegentliche Schwierigkeit, im Verwirrspiel von Meinungen,
Gedanken und Ansichten den rechten Weg zu finden. Wie oft war ich
entsetzlich geplagt von inneren und äußeren Konflikten, und dem
Problem, zwischen wahren und falschen, guten und bösen
Handlungen zu unterscheiden. Auch Heidegger scheint derartige und
andere Erfahrungen zu Recht im Blick zu haben, wenn er von uns
Menschen als denjenigen spricht, die zwischen Geburt und Tod ins
Dasein geworfen seien. Mein innerer Navigator aber sagt – stimmt
nicht, und hält dagegen: Wir sind nicht ins Dasein geworfen, sondern
ins Dasein geliebt.

Unzählig waren die Situationen, in denen ich herausfinden musste,
was in Verantwortung vor Gott für mich, die Gesellschaft und Kirche
zu tun und zu lassen war. Mein Navigator half mir bis heute und
hoffentlich auch in Zukunft immer bei den Entscheidungen. Es
brauchte aber manchmal ein feines Gehör und viel Geduld, um seine
Anweisungen zu vernehmen und zu befolgen. Mein Navigator führte
mich allerdings nicht nur auf leichten oder gut begehbaren Wegen,
denn manchmal, um im Bilde zu bleiben, musste er mir auch die Hand
reichen, um mich an schwindelerregenden Abgründen vorbei zu
führen. Das Ganze unseres Daseins kam dadurch aber immer deutlicher in
meinen Blick. Heute habe ich mehr denn je den Eindruck gewonnen,
ein recht nützliches und seiner Verantwortung durchaus bewusstes
Glied der menschlichen Gesellschaft zu sein. Jetzt kommt das Lachen
wieder – und ich kann alles von einem Schmunzeln begleitet, so
ausdrücken:

Es gibt in mir erfahrbar einen Navigator, eine Instanz, die ich
unbedingt respektiere, die mir verlässlich – wie ein guter Ratgeber –
signalisiert, ob ich bei der Lösung schwieriger Aufgaben zu meinem
und anderer Menschen Wohl oder Wehe auf dem rechten Weg bin.
Zugegebener Maßen dauerte es in einigen Fällen aber etwas länger,
bis ich gelernt hatte, was zu tun ist. Denn die Demut, früher sagten
Menschen wie der Alttestamentler Deissler „Dienmut“ dazu, ist nicht
meine naturgegebene Stärke. Aber Gott sei Dank gibt es noch mein
Navigationsgerät.

Der von mir verehrte Religionsphilosoph Welte betitelte eines seiner
Werke mit der Überschrift „Auf der Spur des Ewigen“. Ich hing einst
mit anderen Studenten an seinen Lippen, wenn er dozierte, denn es
beeindruckte uns, dass bei ihm Lehre und Leben in Einklang schienen.
Ich kann in ähnlicher Weise allerdings nur mit meinen Worten sagen,
dass ich in mir lebenslang Wegweisungen verspüre, denen ich die
Hilfe bei all meinen Entscheidungen verdanke. Auch dann, wenn ich
dem inneren oder einem äußeren Navigator gelegentlich blind
vertraute, konnte ich nach einige Zeit oft feststellen, intuitiv richtig
gehandelt zu haben. Die Wegweisungen schienen außerdem mit dem
überein zu stimmen, was ich im Grunde wollte und brauchte, um auf
der Spur der Liebe zu bleiben. Das ist schon ein großes Wort. Aber
was wäre ohne diese Navigation aus mir und meinem Leben
geworden?

Außerdem versuchte ich auch immer wieder im Dialog mit anderen
Menschen zu klären, ob mein Leben und Handeln vor und mit Gott
den Bedürfnissen anderer Menschen der Verantwortung gegenüber
allem Geschaffenen diene. Insofern folge ich als Pensionär, trotz
altersbedingter Beschränkungen, meinem Navigator, eine sinnvolle
und wichtige Aufgabe zu übernehmen, um mich nach Kräften
an der Mitgestaltung unserer heutigen Gesellschaft zu beteiligen.
In diesem Sinne verneige ich mich  auch vor allen Menschen, die
mir auf irgendeine Weise durch ihr vorbildliches Leben zu
Weggefährten wurden und in meinem Bemühen bestärkten. Denn
auch ich bin, um mit Marcus Tullius Cicero zu sprechen, dem
Gemeinwesen verpflichtet, ein „ens – sociale“.

In meinen Büchern und Texten habe ich an verschiedenen Stellen darauf
verwiesen, dass gute Engel uns gelegentlich in mancherlei Gestalt im
Leben die Hand reichen, um uns zu dem zu führen, was wir aus
tiefster Seele für gut erachten. Manchmal allerdings bei wichtigen
persönlichen Entscheidungen, oder wenn es gilt, den eigenen
Standpunkt gegenüber anderen Meinungen oder dem Zeitgeist zu
behaupten, muss mit recht schmerzhaften Prozessen gerechnet
werden.

Im eröffnenden Artikel des ersten Bandes untersuchte ich in
einem die Gegensätze verbindenden Denken, Aspekte der
Zusammengehörigkeit von Einheit und Vielfalt aller Phänomene, die
aber immer wieder von jedem Menschen neu bedacht, und ergriffen
werden müssen. In der Summe aller Erkenntnisse sah ich in der
Unbedingtheit des erfahrenen Drängens zum Schreiben, einen für
mich fassbaren Ausdruck der Sorge Gottes für alles Geschaffene in
der Gottebenbildlichkeit der Menschen.

Daraus folgt, dass es Menschen entlasten und insofern schön sein
kann, letztlich nicht allein für alles auf der Welt verantwortlich zu
sein. Anfang und Ende sowie die Erhaltung unseres Lebens und der
Schöpfung, lege ich mitwirkend getrost in Gottes Hände. Er lässt sein
Werke – ich gehöre dankenswerter Weise auch dazu, sicher nicht im
stich. Das Navigationsgerät in mir hilft mir Gott sei Dank auf dem
rechten Weg, der Spur der Liebe zu bleiben. Daher vertraue ich dem
göttlichen Navigator blind. Er der Herr weiß es sicher besser als ich
oder andere Gelehrte, was jeweils in der jeweiligen Situation gut für
uns Menschen und die Welt ist.Twitter

Franz Schwald

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