Geschenke

Noch sind wir im Advent. In diesem Jahr überrascht uns aber die Natur. Obwohl die Sonne, wie früher um diese Jahreszeit, tiefer steht, die Bäume ihre Blätter abwarfen, ihr bizarres Astwerk sehen lassen, und die Dunkelheit länger andauert, will es nicht so recht Winter werden. Nur gelegentliche Nebelschwaden, die übers Land ziehen, und ab und zu ein Hauch von Raureif, erinnern uns daran, dass bald Weihnachten ist. Mit roten Köpfen und klopfenden Herzen, hören Kinder in dieser Zeit gern ihren Eltern zu, wenn sie die Geschichten von Frost, Kälte, Schnee, und dem Christkind, erzählen. Sie müssen jedoch, wie die Erwachsenen, noch eine Weile auf die Ankunft des Herrn warten.

Manche Menschen vermögen es, sich ab und zu im Advent eine ruhige Stunde zu gönnen; eine Pause, um zu sich selbst zu kommen, zu betrachten, was wirklich nötig ist, und woran unser Herz hängt. In derartigen Mußestunden kann es geschehen, dass wir vielfache Veränderungen erleben, und einen sicheren Ort vermissen. Die Sehnsucht nach Wahrheit, Liebe, Erlösung, und die adventliche Hoffnung, auf den, der kommen wird, kann dann aufleuchten. In Jahrhunderten christlicher Kultur und Frömmigkeit haben Menschen, wie wir heute, den Advent und die Geburt des Herrn besungen und gefeiert, der ohne Lärm und äußere Macht, Mensch wird. Ein Gotteskind, das lächelnd Furcht und Angst vertreibt und auch in uns geboren werden will.

Welch ein Gegensatz zeigt sich aber zwischen unserem, den Frieden verkündenden, christlichen Glauben, der wie ein wehrloses Kind, seine Arme über alle Menschen ausbreitet, und der uns umgebenden vorweihnachtlichen Geschäftigkeit. Es scheint so, als könnten die Werbefachleute nicht mehr warten. Sie verlocken uns, schon Wochen vor dem Fest dazu, unseren Gabentisch überreich zu decken. Mancherorts soll es sogar die Absicht geben, den Advent und das Weihnachtsfest, als nicht mehr zeitgemäß, in einen “Wintermarkt” um zu benennen. Können aber die vielen Menschen, die zu uns ins Land kommen, geblendet von der glitzernden und glänzenden Werbung, überhaupt noch erkennen, welch großes Geschenk wir Christen erwarten? Wenn es uns aber gelingt, die eine oder andere Stunde freizuhalten, und der Geschäftigkeit zu entfliehen, dann können sich Erinnerungen einstellen, in denen wir nicht Konsumenten, sondern Beschenkte sind, so wie diese:

Wir befinden uns inmitten des zweiten Weltkrieges, in einer gerade noch erwärmten Küche. Ein Schrank, Tisch, Stühle und Herd, bilden das bescheidene Inventar. Der Vater dient als Gebirgsjäger an der Front, die Mutter ist mit dem jüngeren Bruder auf Besuch bei Verwandten. Ein Enkel bleibt bei seiner Großmutter zurück. Das Weihnachten nahe ist, ahnt er. Einen Adventskranz oder gar einen Christbaum mit brennenden Kerzen, gibt es nicht. An Stelle dessen aber die geliebte Großmutter. Sie sitzt, in ihre bäuerliche Tracht, mit Mieder und blauer Halbschürze bekleidet, auf einem bequemen Stuhl. Ihr Gesicht ist von vielen Falten durchzogen, die ahnen lassen, dass sie im Leben nicht auf Rosen gebettet war. Ihr langes, graues Haar, hat sie geflochten, und im Nacken sorgfältig zu einer Schnecke zusammen gesteckt. Es herrscht Stille. Nur das Knacken des Holzes im Herd ist zu hören. Ab und zu blickt die Großmutter von ihrem Gebetbuch im Schoß auf, und betrachtete mit einem leichten Lächeln, den zu ihren Füßen mit Holzklötzen spielenden Enkel. Beide scheinen wortlos zu bemerken, dass zu ihrem Glück etwas an diesem Abend fehlt. Unvermutet, klopfte es an die Tür; der Junge öffnet, und eine ihnen bekannte Nachbarin steht da. Sie begrüßte den Jungen und die Großmutter freundlich, bestellt Segensgrüße des Pfarrers, und packt ihre Geschenke aus. Der Junge erhält eine Tafel Schokolade und eine kleine, bewegliche Maus, die man mit einem Drehschlüssel aufziehen kann. die Großmutter eine Flasche Wein. Welche Freude! Die dürftige Wohnküche ist plötzlich wie verwandelt: Sie erscheint ihnen lichter, freundlicher, wärmer, und das brennende Holz im Herd knistert lustiger. Was war geschehen? Nur wenige Gaben und freundliche Worte waren nötig, um die Großmutter und ihren Enkel reich zu beschenken. Dem Erzähler fällt noch folgende Geschichte ein:

Ein Mann begleitet ausnahmsweise seine Frau zum Einkauf in der Stadt. Etwas erschöpft, nehmen sie in einem Lokal platz, um eine Kleinigkeit zu essen. Sie werden von einer freundlichen, jungen Dame bedient. Der Mann findet zunächst kein passendes Kleingeld, um der Kellnerin zu danken. Interessiert verfolgte er aber mit seinen Blicken die anmutige junge Frau, die behände ihre Gäste bedient. Er vermutet, dass sie eine Studentin sein könnte, die zur Aushilfe arbeitet. Um sich vergewissernd zu hören, ob seine Vermutung zutreffen könne, ruft er die junge Frau zu sich. Nach einem prüfenden Blick auf den Mann, erzählt die Kellnerin, zugewandt lächelnd, dass sie ein Studium zum Lehramt abgebrochen habe, aus Angst, im Schulalltag zu versagen. Hier prüfe sie, ob ihr die Arbeit in der Gastronomie zusage. Im Gespräch lässt die Kellnerin, eine Muslime, erkennen, dass sie ganz im Sinne des Mannes, ihre Entscheidung noch einmal überdenken wolle. Er beobachtet die sympathische Frau noch eine Weile bei ihrer Arbeit. Dann kramt er in der Börse, findet ein Geldstück, ruft sie noch einmal herbei und darf ihr das Geld als Geschenk, verdeckt in ihre Hand legen. Im Vorbeihuschen legt die Bedienung dem Ehepaar zwei Stückchen Schokolade auf den Tisch und bemerkt, dass sie so etwas im Umgang mit ihren Gästen selten erlebe. Der Mann freute sich sehr darüber, dass die junge Frau das Geld als ein persönliches Geschenk annehmen konnte. Als das Ehepaar aufbricht, lächelte die Kellnerin noch einmal freundlich.

Die beiden Geschichten könnten uns zur Frage führen, was eigentlich geschieht, wenn wir einander etwas schenken. Könnte es dabei gar nicht so sehr um den Wert der Gabe, sondern viel mehr um das Schenken an sich gehen? Wie kämen sonst Eltern dazu, sich über eine Butterblume, die ihnen ihr Kind im Frühling entgegenstreckt, zu freuen? Es soll Familien geben, in denen Kinder angehalten werden, möglichst etwas zu schenken, das sie selbst gestaltet haben. Schenken und Gaben sind offensichtlich Ausdruck einer persönlichen Beziehung zu einander. Vielleicht behalten wir daher die Freude über derartige Geschenke, lange in guter Erinnerung. Genau darüber unterhielt sich das Ehepaar. Dem Mann fiel dann ein, dass er in den letzten Tagen einen Brief entwarf, mit dem er Freunden und Bekannten in der stillen Zeit, Freude bereiten wollte. Spontan fragte er seine Frau, ob sie sich auch über ein derartiges persönliches Geschenk freuen könnte. Ihr Lachen und die strahlenden Augen, sagten mehr, als Worte, wie sehr so etwas für sie das schönste Geschenk sei. Genau in diesem Augenblick erfasste ihr Mann eine tiefere Bedeutung des Schenkens: Er blickte seine Frau erwartungsvoll an und sagte: “Bist Du für mich und bin ich für Dich, sind wir für einander, nicht das persönlichste Geschenk zu Weihnachten?” Beide waren über dieses Einverständnis nach vielen Ehejahren sehr glücklich. Gegenseitig ein Geschenk sein zu dürfen, könnte so manches Gespenst der Furcht und Angst vor einander bannen. Schenken hat ja nichts mit Macht und Zerstörung sondern mit Friedfertigkeit zu tun. Die Sehnsucht danach ist groß, und das zu Recht, denn wir erwarten im Advent des Lebens als Christen ja alle den, der in uns und um uns, den endgültigen Frieden bringen kann, Jesus Christus, den Herrn. Ein Geschenk, das alle Vorstellungen übertrifft.

Und unser erhabener Herr und Meister, macht sich ja an Weihnachten so klein, wie ein neugeborenes Kind, um uns nahe zu sein und zu zeigen, dass wir IHN nicht fürchten müssen. Jedes Jahr feiert die Kirche, immer wieder dieses Ereignis indem wir im Glauben das Geheimnis der Geburt unseres Erlösers bewundern. Was aber könnten wir IHM, dem Gottessohn schon schenken? Vielleicht uns selbst, als unsere persönlichste Gabe. Voll Vertrauen dürfen wir IHN daher bitten, dass er uns den Heiligen Geist schenke, um uns zu allem Guten zu bewegen. Durch Seine Gnade in Frieden mit Gott und den Menschen zu leben, und dem Herrn so die Wege für SEIN Kommen zu ebnen, das ist wahrer Advent, freudiges Warten, auf den, der immer wieder neu, auch in uns. geboren werden will. Hierzu segne uns der allmächtige Vater, der Sohn und der Heilige Geist.

Frohe Weihnachten!

Der Turm

Ich umkreise den
uralten Turm
lebenslang

ab und zu zeigst Du Dich
freundlich am Fenster
wie schön Du bist

wir schauen uns an
Du und ich
es geschehen Worte

Wie tröstlich Dich zu sehen
ich liebe Dich

Über Sprache

In einem gewissen Gegensatz zu meiner etwas bedrückten Stimmung nach dem Erwachen, stand ein plötzlicher Impuls, als ich Gottfried Keller`s “Grüner Heinrich” heute las. Ich freue mich sehr über die Bereitschaft meiner Frau, solange sie nicht in ein seliges Nickerchen entschlummert, mir nach den Mahlzeiten beim Espresso zuzuhören, wenn ich ihr vorlese. Unsere Lektüre erfährt dadurch einen besonderen Reiz, dass wir sie immer wieder unterbrechen, wenn uns eine Textstelle, uns zum Innehalten und Überdenken des Inhaltes einlädt. Wenn wir einem Schriftsteller begegnen, der sich einer reichen Sprache bedient, dann bereitet uns das ein besonderes Vergnügen. Ich erinnere mich, dass wir uns vor einiger Zeit anregen ließen, einen lateinische Text zu übersetzen, um uns an der schönen Sprache mit ihren präzisen Ausdrucksformen zu erfreuen, Im Rentenalter angekommen, mit etwas mehr freien Raum zur Gestaltung des Tagesablaufes, vermitteln uns die Kenntnisse von so vielen Wissensbeständen, die wir miteinander teilen, oft Gelegenheit, ein anregendes Gespräch zu führen, so wie heute bei der Lektüre des “Grünen Heinrich”.

Während wir eine Textstelle betrachteten, in der sich Keller zu seiner Liebe zur Sprache äußerst, erlebte ich -wie auf einer zweiten Ebene- ein spontanes, gleichsinniges Vergnügen. Es wurde mir nämlich bewusst, wie sehr auch mich die Sprache als Sprache fasziniert. Ich war immer sehr davon berührt, wenn ich ein Erzählung las oder einen Autor sprechen hörte, der sich Mühe gab, ein Deutsch zu sprechen, das dem Inhalt angemessen war. Als ich meine Frau kennen lernte -damals noch ein Theologie-Student- habe ich in überschäumender Verliebtheit sehr viel von mir erzählt. Sie schmunzelt gelegentlich noch heute, wenn sie davon spricht. Sprache ist aber nicht nur in unserem familiären Umfeld von Bedeutung. Durch die gemeinsame altsprachlich-humanistische Bildung eröffneten wir uns nicht nur den Zugang zu unseren Berufen, sondern auch die Möglichkeit zu fruchtbarem Gedankenaustausch in kulturellen, politischen und religiösen Kontaktfeldern. Das Medium der Sprache bereicherte unsere gegenseitiges Verstehen und auch die Beziehungen zu unseren Kindern, Freunden und Patienten.

Für mich selbst bedeutete es aber eine erhebliche Umstellung, als ich von den Geisteswissenschaften her kommend, im meinen Beruf als Psychologischer Psychotherapeut auch Gutachten zu schreiben hatte, bei denen es, wie im Latein, auf eine knappe und präzise Darstellung des Sachverhaltes ankam. Erst als ich im höheren Lebensalter das Berufsleben hinter mir lassen konnte, entdeckte ich wieder meine Liebe zum sprachlichen Ausdruck, um mit deren Hilfe nach Lust und Laune, frei und ungebunden zu fabulierend Inhalte zu gestalten. Ich habe diese Seite meines Wesens zwar immer dann, wenn ich mit anderen Menschen im direkten Gespräch war, erleben können; das mag auch mit ein Grund gewesen sein, warum ich mich zu einem sprechenden Beruf entschloss, der mir Freiräume bot, den Reichtum der Sprache in jeweils angemessener Weise zu nutzen. Von besonderer Bedeutung waren für mich aber immer die Momente, in denen mir oder meinem Gesprächspartner ein überraschend neuer Gedanke zufiel, der unser Unterhaltung veränderte oder bereicherte. Auf die Idee aber, einmal einen Text zu schreiben, der sich nur mit der Sprache als Sprache befasst, bin ich bislang nicht gekommen. Ich muss daher gestehen, dass mich diese Absicht im Augenblich sehr berührt. Meine vorherige Müdigkeit ist verflogen und die Finger fliegen nur so über die Tasten des Rechners, an dem ich sitze. Es ist als würden sie vor Freude tanzen. Übrigens war ich nie ein Tanzverächter. Die ersten Übungen in der Küche mit unsrer Mutter, die ebenfalls gern tanzte, und die vielen Erinnerungen an Frauen beim Tanzen, sind in mir ebenso wach, wie die Lust heute über meine Sprache zu schreiben.

Von Kindheit an sind mir Geräusche, Gesang, Musik und Worte in allen mir verfügbaren Sprachen vertraut. Ich habe versucht dies in drei Büchern meinen Lesern nahe zu bringen. Als Bewohner des Grenzgebietes in der Nähe Basels zur Schweiz und zu Frankreich, bin ich mit der Muttermilch des alemannischen und Schweizer Dialektes so gestillt worden, dass sie mir immer wieder in die Feder schlüpft. Allein die vertraute Sprachmelodie ist für mich schon ein Genuss. Wenn ich in späteren Jahren nach Rheinfelden, meiner Heimatstadt fuhr und den nahe gelegenen Waidhof überquerte, stellte sich wie von selbst der Dialekt wieder ein. Unserer Mutter ging es wie den Einheimischen bis ins hohe Alter ähnlich. Das “Hochdeutsch” blieb ihrem Wesen fremd. Selbst wenn sie es ab und zu angestrengt versuchte, nach der Schrift zu sprechen, hörte man die alemannische Mundart heraus. Eine unserer Töchter brachte es auf den Punkt indem sie äußerte: “Unsere Oma ist ja eigentlich lieb – wenn sie nur ein wenig Deutsch reden könnte”. Meine Freunde während der Studien in Münster äußerten hingegen verständnisvoll: “Ich sollte so reden wie mir der Mund gewachsen sei. Es gelänge mir ja doch nicht den Dialekt zu verdrängen. Sie verständen mich auch so.” Welche Last fiel mir dadurch von den Schultern?

Die lebensgeschichtlich bedingt sehr spät einsetzenden Studien, ließen mir bei dem immer neu andrängenden Stoff, den es zu bewältigen gab, keine Zeit, um über das Geschenk meiner Sprache als Sprache nachzudenken. Ich benötigte sie zwar fortwährend, um mich mit anderen Menschen zu verständigen und um die vielen Lerninhalte aufzunehmen, unterließ es aber bis auf den heutigen Tag, mich für die Geschenke des Dialekts, der deutschen Sprache, des Latein Griechisch und Hebräisch und der eher rudimentären Kenntnisse in Französisch und Englisch, zu bedanken. Die Sprache aber wurde für mich als wissenschaftlicher Zugang zur Philosophie, Theologie und Psychologie sehr bedeutsam. Sie bildete auch die Basis des naturwissenschaftlichen Weltverständnisses in ihren Grenzen. Ein schwacher Trost mag es für die Lehrer und Professoren sein, mit denen ich während der langen Zeit des Studiums zusammen arbeitete, dass ich meine Dankbarkeit ihnen gegenüber, hoffentlich noch nicht zu spät, in meinen Büchern zum Ausdruck bringen konnte. Wie wichtig diese allgemeine Bildung für mich wurde, konnte ich aber erst so richtig ermessen, als ich in späteren Jahren, von der beruflichen Bürde befreit, über Form und Inhalt meiner Aussagen selbst bestimmen konnte. Erst durch die freie kreative Wahl und Gestaltung der Themen, die mich interessieren, kommt alles, was ich in meinem Leben erfahren und lernen durfte, noch einmal in verantwortlicher Sprache zur Geltung. Denn in allen Feldern des Lernens und Arbeitens als Schriftsteller und in allen eigenen politischen, gesellschaftlichen und religiösen Stellungnahmen, benötige ich die Sprache als Brücke zur Verständigung mit anderen Menschen.

Schon in meinem ersten Band “Geschichten und Gedanken” unternahm ich in einem Essay über “Einheit und Vielheit” den Versuch, mir programmatisch klar zu werden, was die Aufgabe in meinem höheren Lebensalters sein könnte. Damals konnte ich Vieles, was in mir arbeitete, nur als ein Drängen beschreiben. Bessere Worte standen mir nicht zur Verfügung. Dass ich vor einem gewagten Unternehmen stand, konnte ich damals nur ahnen. Es gab zuhauf das sprichwörtliche “Auf und AB” aber auch zuweilen neue Einsichten und Erkenntnisse. Ich entdeckte beim literarischen Arbeiten zu meiner Freude immer neue Möglichkeiten, mich in Lyrik, Prosa, Kurzgeschichten auszudrücken, und Essays zum Lebenszusammenhang und zu gesellschaftlichen oder religiösen Fragen zu schreiben.

Eine ernstlichere Erkrankung mit Klinikaufenthalten und rehabilitativen Maßnahmen nötigte mir zeitweise eine eingeschränktere Gestaltung meines Alltagslebens auf. Zeitweise überfiel mich die Sorge, nicht mehr wie zuvor als Autor arbeiten zu können. Seltsamer Weise entstanden genau in dieser schwierigen Zeit sehr viele Aphorismen, und Sinnsprüche; eine Literaturgattung, mit der ich mich bislang noch nicht intensiv beschäftigte. Diesem Arbeitsversuch stand ich eine gewisse Zeit sehr kritisch gegenüber. Ich bemerkte, dass ich mich sehr überwinden musste, um mit anderen Menschen über diese konzentrierte und reduzierten Darstellung von Gefühlen und Inhalten in Aphorismen zu reden. Auch die verschiedene Entwürfe zu Prosa-Texten eines vierten Bandes, verlockten mich nicht mehr zur Übernahme der hierzu nötigen redaktionellen Überarbeitung. Es war eine “Sendepause” eingetreten.

Erst heute beim Studium des “Grünen Heinrich” und in der Unterhaltung mit meiner Frau über verschiedene Aspekte, die uns aufgefallen waren, platzte der Knoten. Ich entdeckte dabei wieder so sehr die Lust am Fabulieren, Plaudern, Darstellen und Erzählen, dass ich mich entschied, einfach einmal loszulegen und nur zu Schreiben, um die reine Lust Sprache zu gestalten zu erleben und die Form einfach entstehen zu lassen. Wenn Sie, liebe Leser, daher diesen Text verstehen wollen, dann achten Sie bitte nicht nur auf den Inhalt, der mir beim Schreiben zufiel sondern auf die sozusagen zwischen den Zeilen aufbewahrte unbändige Lust und Freude an der deutschen Sprache. In diesem Sprachraum hinein bin ich geboren. Mit Hilfe dieser Sprache habe ich alles bekommen, was mir ein Leben in diesem Land bot und immer zu bieten kann. Ich habe keine Mütze auf dem Kopf, aber ich würde sie im Moment abnehmen, um mich in annähernd gebührender Weise vor meiner Muttersprache zu verneigen.

Gottfried Keller setzt sich im “Grünen Heinrich” mit seiner Jugend und der damaligen schulischen Erziehung auseinander, die wie vielfach auch heute noch der Wissensvermittlung ein großes Gewicht beimisst. Keller hat sich sehr daran gestört, dass ihm auf diese Weise erschwert wurde, sich froh und frei den eigenen Gedanken zu überlassen. Das galt als Abwesenheit und verdiente Strafe. Wie oft ist es mir ähnlich ergangen, dass ich einen eigenen Gedanken hatte
oder eine Idee und mich nicht traute, das, was mir einleuchtete oder zu Herzen ging, auszusprechen. Worte sind aber für mich ein Lebenselixier wie die Musik und andere Künste; ein von mir bevorzugtes Medium, um mich mit anderen Menschen zu verständigen und damit eine Brücke zur Gesellschaft in der wir leben. Ich betone es noch einmal, dass ich das alles nicht nur zu Papier bringe, um einen Sachverhalt möglichst genau darzustellen, sondern um zu zeigen, wie sehr mich die Sprache, der ich so viel verdanke und die Menschen, die sich in diesem Medium bewegen achte und respektiere.

Wenn es nicht zu prosaisch klingen würde, dann müsste ich nun davon sprechen, dass mich der Versuch, der Sprache Referenz zu erbieten nicht unberührt lässt: Im Klartext fühle ich mich von den eigenen Worten so sehr angesprochen, dass mich zu Tränen rühren, beim Gedanken wie sehr ich mich in der deutschen Sprache bewege. Umso schwerer traf mich die Erkrankung durch die ich eine Einschränkung meiner Lieblingsbeschäftigung hinnehmen musste. Ich habe ja in letzter Zeit kaum einen Prosatext geschrieben, bei dem ich schöpferisch mit der Sprache spielen kann. Bei der Arbeit an Aphorismen ist Spontanität und Erfahrung aus dem inneren Erleben und ein bewusster Verzicht auf gestalterische Vielfalt im Spiel. Es bleibt dem Leser sehr viel Raum, sich mit eigenem Erleben ins Spiel des Verstehens zu bringen. Aus heutiger Sicht wünsche ich mir einen freien Umgang mit allen mir zur Verfügung stehenden Ausdrucksform, seien es Aphorismen, wenn sich Einfälle in Fülle andrängen oder Prosatexte, wenn sie geeignet erscheinen, das in Form zu bringen, was ich ausdrücken will. Zur Augenblick habe ich wieder eine unbändige Lust an allem Neuen. Eine wohlige Erregung erfüllt mich, als hätte ich soeben eine große Entdeckung gemacht. Vielleicht können Sie, liebe Leser, sich meiner Freude über unsere Sprache und Sprachen anschließen, die nicht nur zu einer Vermittlung von Wissen und Tatsachen, sondern auch wegen des reinen Spiels mit Worten von Bedeutung sind.

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