Friedrich ist mit seiner Familie in eine belebte Stadt umgezogen. Dort wohnen sie schon mehrere Jahre. Er schätzt es nicht besonders, sich mit seiner Frau und den Kindern im Strom der Besucher durch die Straßen treiben zu lassen, um die jahreszeitlich wechselnden Auslagen der vielen Geschäfte zu betrachten. Aber an Musikern, die an manchen Orten in der Stadt, bei swingendem Jazz ihre Solisten in Szene setzen, kommt er selten vorbei, denn von Jugend an, gehört Musik zu seinem Alltag, und Rhythmus liegt ihm im Blut. Die Familie hat sich mit dieser Vorliebe des Vaters und auch damit versöhnt, dass Buchläden ihn magisch anziehen. Er schätzt nicht nur die feine Küche, sondern auch gute Bücher. Friedrich genießt es sehr, unter Menschen zu sein. Er sucht und findet oft ein ruhiges Plätzchen, um das pralle Leben in der Stadt auf sich wirken zu lassen.
Die Familie und Freunde kennen Friedrichs unersättliche Neugier, der mit Bedacht diese große Stadt mit ihrem reichen kulturellen Angebot als Wohnort wählte, um den Erwartungen aller am besten zu entsprechen: Es gab hier kurze Wege zur Arbeit, den Schulen, dem Markt, den Spielplätzen und Geschäften. Gelegentlich besuchte er als Gasthörer mit seiner Frau einige Vorlesungen an der Universität. Mit der Zeit entdeckte die Familie auch den zoologischen Garten und die Museen. Ihr besonderes Interesse galt aber der Musikhochschule. Es bereitete ihnen viel Vergnügen, dort bei den ersten öffentlichen Auftritten, die jungen, talentierten Studenten zu erleben, und sie bei ihren Konzerten mit ermutigendem Beifall zu belohnen. Die umsichtige Mutter verstand es, auch den Besuch des Theaters, Balletts und der Konzerte in den familiären Alltag einzuplanen.
Trotz aller Vorteile, die das Stadtzentrum bot, entschloss sich aber die Familie noch einmal zu einem Umzug: Eine neue Wohnung am Rande der Stadt, sollte im nächsten Jahr bezugsfertig sein. Das Stadtzentrum und das nahe gelegene Erholungsgebiet, waren von hier aus leicht zu erreichen.
Es ist ein sonniger Herbsttag, gerade noch warm genug, um sich in einem der Straßencafés bei Kuchen und Tee vom heutigen Spaziergang zu erholen. Das Gespräch des Ehepaares verläuft träge; sie benötigen beide eine Pause, um die Eindrücke der letzten Stunden zu überdenken. Da richtete sich Friedrich plötzlich auf; er schien von irgendetwas fasziniert zu sein. Seine Frau bemerkte dies, und unterbrach das Schweigen mit der Frage: „Hast Du etwas entdeckt?“ Ohne sich umzuschauen, antwortete Friedrich, mit der Hand in eine bestimmte Richtung deutend: „Wenn mich meine Augen nicht trügen, dann sehe ich Peter und Doris, unsere Freunde. Es scheint, dass sie heute den schönen Herbsttag auch genießen. Schau, dort kommen sie direkt auf uns zu, schick gekleidet, Arm in Arm, wie ein verliebtes Paar. Doris hat uns schon gesehen, und winkt uns freundlich zu. Wie schön, dass wir ihnen hier noch zwei freie Stühle anbieten können.“ Doris und Peter kommen näher, begrüßen Friedrich und die Kinder, nehmen Platz, und bestellen sich Kaffee. In Kürze ist ein munteres Gespräch im Gange.
Die beiden Damen rücken enger zusammen, führen das Wort, und beginnen unter lebhaften Gesten ein Gespräch über die aktuelle Herbstmode und die Möglichkeit, im endenden Sommerschlussverkauf ein „Schnäppchen“ zu machen. Ihre Männer hatten keine Chance, sich am Gespräch zu beteiligen, und zu wenige Kenntnisse im Detail, um sich in sinnvoller Weise in die Unterhaltung der Damen einzubringen. Sie fanden aber bald ihre Sprache wieder und ein Thema, das sie beidseits interessierte:
Friedrich und Peter kannten sich schon lange, sodass sie sich nicht mehr scheuten, einander auch persönliche Erlebnisse anzuvertrauen. In Rede und Gegenrede lief ihr Gespräch -wie von selbst- darauf zu, dass es unter Menschen im Alltag immer wieder Konflikte gebe, die zur Lösung einen Ausgleich der Interessen erforderten. „Solche Problem kenne ich gut, “ bemerkte Friedrich. „Ich erinnere mich aber gerade, wie schwer es mir früher gefallen ist, über eigene Konflikt mit anderen zu reden. Die Angst, missverstanden zu werden, verschloss mir oft den Mund. „Das kenne ich auch, entgegnete Peter, aber ich habe mich zum Glück
in dieser Hinsicht geändert. Friedrich wackelte nachdenklich mit dem Kopf und entgegnete: „Es hängt bei mir davon ab, mit wem und über was ich spreche. Schwer wird es für mich nur dann, wenn es scheint, als wäre ein Konflikt nicht zu lösen und das Gespräch trage nicht dazu bei, sich zu verständigen. Bei einem derartig belastenden Konflikt, kam mir aber zum Glück einmal ein Traum zur Hilfe.“ „Kannst Du, Friedrich, mir näher erklären, wie das geschah, damit ich Dich besser verstehen kann, entgegnete Peter?“ „Ich will es versuchen, antwortete Friedrich“. „Ich habe Dir vor einiger Zeit schon einmal davon erzählt, dass ich oft lebhaft träume und dadurch besser erkenne, was mich innerlich bewegt, und wie ich eventuell reagieren könnte.“ Dazu fällt mir folgendes ein:
„Nach einem schwierigen Konflikt, hatte ich in der Nacht einen Traum: Ich befinde mich in einer großen Stadt. Dort ist ein mehrstöckiges Wohn- und Geschäftshaus im Bau. Von der Planung, über den ersten Spatenstich, bis zur Vollendung der letzten Decke, verfolgte ich im Traum interessiert, den Fleiß und die Sorgfalt der Bauleute bei ihrer Arbeit. Der Dachstuhl des Gebäudes war noch nicht aufgerichtet.“ Friedrich machte hier eine kurze Pause, schaute sich nach den Damen um, und stellte befriedigt fest, dass ihnen der Gesprächsstoff noch nicht ausgegangen war.
Dann setzte er seinen Traumbericht fort: „Das besagte Haus lag in einem neu erschlossenen Gebiet am Rande einer Stadt. Die Zufahrten und die Parkplätze waren bereits vorhanden. In einiger Entfernung grenzten nur wenige, kleine Wohn- und Wochenendhäuser, an dieses Neubaugebiet. Zufrieden betrachtete ich im Traum den gelungenen Neubau, in den ich mit meiner Familie einziehen wollte. Dann ging ich daran, mich am Außengerüst empor zu hangeln. Ich gelangte glücklich oben an und blickte von dort aus, hoch erfreut, über die sich vor meinen Augen ausbreitende große Stadt. Nach einer Weile, versuchte ich im Traum wieder nach unten zu gelangen. Mit der linken Hand bekam ich aber eine Gerüststange nicht zu fassen, sodass ich nur noch an einer Hand über dem Abgrund hing. Der Schreck darüber legte sich erst wieder, als es mir gelang, mich mit Mühe wieder auf das Baugerüst
hinauf zu schwingen. Ich dankte Gott für diese Rettung, und war erst wieder beruhigt, als ich nach dem sicheren Abstieg wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Dort traf ich im Traum mit einem Mann zusammen, dem ich spontan erzählte, wie ich soeben davor bewahrt wurde, vom Gebäude abzustürzen. Der Mann hörte mir aufmerksam zu und freute sich mit mir über die Rettung. Wir stellten dann in einem längeren Gespräch über das erstellte Gebäude fest, dass wir beide „Leute vom Bau“ waren. Er, als der verantwortliche Ingenieur, der den Neubau beaufsichtigte, und ich mit Kenntnissen aus langer Tätigkeit in einer Baufirma ausgestattet. Wir hatten leider kein Bier dabei, um darauf anzustoßen, vereinbarten aber, uns bald noch einmal bei mir zum -Fachsimpeln- zu treffen.“
Nach dieser Erzählung atmete Friedrich erleichtert auf, als ob er gerade noch einmal aus einer Notlage gerettet worden wäre. Peter fügte hinzu: „Ich danke Dir, Friedrich, für Dein Vertrauen, mir diesen Traum von Deiner glücklichen Rettung zu erzählen. Könnte es sein, dass Du, in Gestalt Deines Traumes, einen tröstlichen Hinweis auf Deine eigenen inneren Kräfte als Beistand erfahren durftest, auf die Du Dich wie auf Deinen Freund verlassen kannst, dem Du soeben ohne die Angst missverstanden zu werden, Deine Traumgeschichte erzählt hast?“ „Ich glaube, dass jeder Mensch in einer schwierigen Lage, Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, und manchmal einen guten Freund zur Seite braucht, um einen Ausweg zu finden, entgegnete Friedrich; ich danke auch Dir, Peter, für Dein Verständnis!“. Das „Männergespräch“ war damit zu Ende.
„Wir sollten uns nun aber wieder unseren Frauen zuwenden, bemerkte Friedrich“. Darauf entgegnete Peter: „Schau einmal hin, wie vergnügt die beiden noch dabei sind, sich so lange, von uns ungestört, über die neueste Mode und andere Dinge unterhalten zu können. Mir scheint, Ihnen hat in der Zwischenzeit nichts gefehlt.“ „Da könntest Du Recht haben, entgegnet Friedrich.“ Es erübrigte sich für die Herren, die Damen nach möglichen Inhalten ihres noch andauernden Gesprächs zu befragen.