Erich und dessen Frau hält es nicht mehr zu Hause. Gemeinsam fahren sie zu einer Veranstaltung in die nahe gelegene Stadt. Heute sind sie gut in der Zeit, suchen als Erste ihre Plätze aus, und freuen sich, unter den Besuchern im Saal, einige Freunde zu entdecken. Pünktlich tritt der Referent an das Lesepult, hält kurz inne, und beginnt dann mit seinem Vortrag. Die zahlreichen Besucher, die den Saal füllen, lassen auf ein reges Interesse am Thema schließen, und scheinen gespannt darauf zu warten, was der Referent zur Bedeutung der Spiritualität in unserer Gesellschaft zu sagen hat. Der komplexen Aufgabe entsprechend, geht er in seinem Vortrag, so auf die unterschiedlichen spirituellen Praktiken ein, dass christliche Spiritualität, wie bei einer Schiffsladung, als ein Container unter anderen zu erkennen ist.
Erich nähert sich seiner Frau und sagt mit gedämpfter Stimme: Mir ist soeben beim Vortrag das Stichwort „Vertrauen“ eingefallen, und es lässt mich nicht mehr los. Ich beteilige mich aber nicht an der Diskussion, damit andere Anwesende zu Wort kommen. Ich möchte aber nachher mit dem Referenten sprechen, der soeben mit Verweis auf Martin Buber, die Bedeutung des Dialogs betonte. Erich wartet einen Augenblick, und sagte dann zum Referenten: Während Ihres Vortrages ist mir das „Stichwort Vertrauen“ eingefallen. Sie sind sich rasch einig, dass „Vertrauen“ als Voraussetzung unbedingt zu jedem gelingenden Dialog gehört. Nach dieser Unterhaltung wünschte Erich sehr, weiter über die Funktion des Vertrauens im Dialog nachzudenken. Zum Glück entdeckt er in diesem Augenblick im Saal seinen Freund Peter, den er als Gesprächspartner schätzte. Kurz entschlossen sagte er zu ihm: Peter, der Vortrag hat in mir die Frage nach der Funktion des Vertrauens beim Dialog ausgelöst. Hast du Lust, nach dem Vortrag bei einem Glas Wein mit uns darüber nachzudenken? Peter nahm die Einladung gern an.
Bei Erich angekommen, ließen sie sich in die bequemen Sessel des Wohnzimmers fallen. Peter gefiel die in einer Mischung aus Biedermeier und modernen Möbeln bestehende Einrichtung des Raumes. Ruhig und unauffällig hantierte die Hausfrau. Eine frische Tischdecke mit Leuchter und Kerze, Kleinigkeiten zum Knabbern, und eine Flasche Rotwein aus der Region, trugen zu einer behaglichen Atmosphäre bei. Peter stimmte der Anregung zu, sich nach dem Vortrag einige Minuten zu sammeln. Sein Blick betastete den Flügel, wanderte zu den beidseits der Eingangstüre eingebauten weißen Bücherwänden, und ruhte eine Weile auf dem Kreuz, Marienbild und der Ikone über dem Fernseher. Peter lehnt sich geruhsam in seinen Sessel zurück und wandte sich nun interessiert den beiden modernen Bildern eines russischen Künstlers zu. Es herrschte Stille. Nur das Ticken der Wanduhr im Esszimmer war zu hören. Peter schien sich wohl zu fühlen.
Nach einer Weile eröffnete Erich das Gespräch mit den Worten: Peter, wir freuen uns sehr, dass Du bei uns bist, um mit uns nach dem Vortrag, über die Bedeutung des „Vertrauens“ im Dialog weiter nachzudenken. Dann fuhr er fort: Wenn ich die Nachrichten über Personen unserer Zeit, deren Beziehungen, unsere Gesellschaft, und die politischen Nachrichten über Ereignisse im In- und Ausland höre, zweifle ich oft am Wahrheitsgehalt dieser Meldungen. Könnte dieser Zweifel aber erhellen, dass das zu einem befriedigenden Dialog unbedingt nötige Vertrauen in unserer Gesellschaft schwindet? Die Frage stellt sich dann, welche Aufgabe das Vertrauen hat, damit wir uns offen verständigen können?
Peter räusperte sich, und entgegnete nachdenklich: Wir hörten doch soeben eine Frau die, trotz des gut strukturierten Vortrages, nicht verstanden hatte, was im Dialog erforderlich ist, wenn Rede und Antwort gelingen soll? Darauf bemerkte Erich: Genau diese Frage bewegt mich in noch umfassenderem Sinne. Ich frage mich nämlich, ob in allen menschlichen und religiösen Beziehungen unseres Lebens Vertrauen nötig ist, um einen beidseits befriedigenden Dialog zu führen? Lass uns aber hier kurz innehalten, von den Kleinigkeiten zum Knabbern kosten, und mit unserer Gastgeberin auf unser Wohl anstoßen: In diesem Sinne, Prosit!
Nach einigen Minuten bemerkte Erich: Ich beginne zu ahnen, warum mir das „Stichwort Vertrauen“ so sehr zusetzte. Es scheint ja, als ob uns, ein unbedingtes Vertrauen bei unserem Handeln und Erleben begleitet. Ein Vertrauen in das eigene Denken, Fühlen und Urteilen, wie ebenso in das unserer Gesprächspartner. Erst, wenn im gegenseitigen Vertrauen, ein schonender Umgang mit der wahren Rede zu erwarten ist, kann sich Kritik und Respekt im angstfreien Dialog in Gesellschaft und Politik entfalten. Darauf antwortete Peter: Genau das ist die Voraussetzung, dass wir bei Gesprächen manchmal, Sachverhalte besprechen die sonst verborgen blieben.
Erich antwortete: Ich glaube wir sind in unserem Gespräch auf einer richtigen Spur. Peter, Du führst mich zur Ausgangsfrage nach der Funktion des Vertrauens in unserem Leben zurück. Wir Menschen sind von Geburt an, auf umsorgende Beziehungen zu Personen angewiesen, um ein Urvertrauen in den lebensnotwendigen Sinn des Daseins, und darüber hinaus in ein das gesamte Leben begleitendes Gottvertrauen zu entwickeln. Hier stoßen wir an die Sinnfrage im Ganzen. Eine vertrauend offene Haltung, die als Grundlage von Glauben, Hoffen und Lieben, alles Sichtbare und Unsichtbare unserer Existenz, selbst über den Tod hinaus als ein Geschenk begreift. Gönnen wir uns aber an dieser Stelle wieder einige Minuten, damit uns das Nachdenken nicht überfordert. Übrigens, wir genießen heute einen „Lemberger“ aus der Region, Prosit!“
Nach längerem Schweigen sagte Peter: Ich war jetzt alles andere, als abwesend, denn es sind mir viele Ereignisse eingefallen, in denen beim Handeln, Urteilen und Entscheiden im Alltag, bewusst oder unbewusst Vertrauen im Spiel war. Ich kann mir beispielsweise nicht vorstellen, dass ich ohne gegenseitiges Vertrauen auch in den Segen Gottes, mit meiner Frau, die leider nicht anwesend ist, so viele Jahre all die guten und schlechten Zeiten geteilt hätte. Das gilt aber auch für alle anderen Beziehungen, wenn sie gelingen sollen. Erich antwortete spontan: Deine Einsicht in die Bedeutung des Vertrauens gilt auch für die Dialoge im gesellschaftlichen und politischen Raum. Ohne Vertrauen und Respekt, allein auf Macht, Kritik und Kontrolle gestützt, scheinen auch die nationalen und internationalen Beziehungen gesellschaftlicher oder politischer Partner nicht zu funktionieren. Hierauf antwortete Peter: Wir sollten daher, die in unserer Zeit vielfältig ausgeübte Kritik in Medien, Gesellschaft und Politik, in ihrer Wirkung, gegenseitig erforderliches Vertrauen zu ermöglichen oder zu zerstören, nicht unterschätzen.
Erich ergänzte direkt: „Ich denke in diesem Zusammenhang besonders an respektlose, unangemessene Kritik gegenüber Ärzten, Juristen, Theologen, Wissenschaftlern und in der Öffentlichkeit bekannter Personen. Es könnte sich andererseits aber auch lohnen, darüber nachzudenken, welches blinde Vertrauen wir in das reibungslose Funktionieren der uns verfügbaren Techniken setzen. Wenn wir zum Beispiel ein Flugzeug benutzen, oder mit dem Auto unterwegs sind, dann vertrauen wir auch den Fähigkeiten der Konstrukteure und Techniker, die diese Geräte entwickelten und warten. Dies gilt ebenso für alle Bautechniken, Maschinen und Geräte in allen Lebensbereichen, der Verwaltung, Medizin, Forschung und Datenverarbeitung. Sobald aber ein Ausfall oder Schaden entsteht, sind wir rasch dabei, nach den Schuldigen zu suchen. Gegebenenfalls bestehen wir dann auf unserem einklagbaren Recht zum Schadensersatz. Tief durchatmend fügte Erich hinzu: Mir ist nach einer Pause zumute, denn ich bemerke immer mehr wie umfassend, die Funktion des Vertrauens uns auch im Alltag betrifft. Scheint es doch, als ob wir davon ausgehen sollten, dass uns ein Grundvertrauen, bewusst oder unbewusst unser Leben lang über viele Untiefen hinweg trägt. Es könnte einem schwindelig werden!
Erich schaute wie abwesend, im Raum umher, als könne er sich im Betrachten der ihm vertrauten Gegenstände, ein wenig Halt verschaffen. Peter spricht nachdenklich dem „Lemberger“ zu und knabbert Salzstangen. Einige Minuten ist nur das Ticken der Wanduhr zu vernehmen. Dann räusperte sich Erich und sagt: Die Frage des Vertrauens in ihren unterscheidbaren Formen hat mich fest im Griff. Wir sprachen schon vom Urvertrauen, das im frühen Stadium menschlicher Entwicklung nötig ist, damit ein Kind bei einer Halt und Sicherheit gebenden Person lernt, sich anzuvertrauen. Danach modifizieren wir durch vielfältige Erfahrungen aus gelingenden Dialogen, während des ganzen Lebens unser Urvertrauen so, dass wir in der Lage sind, uns gegenseitig Vertrauensvorschuss einräumen, um mit einander angstfrei reden, und uns vor Übergriffen schützen zu können.
Peter, richtete sich auf und wagte die Frage: Ist womöglich im religiösen Leben der Menschen, ein noch fundamentalerer Austausch aktiven und passiven Vertrauens gegeben; ein das ganze Leben begleitender und begründender Prozess, in dem das einmal im Urvertrauen erfahrene Geschehen der Sicherheit und Geborgenheit, in dankbarer Weise modifiziert, in der Natur, Kultur und Religion der Menschen, als Gottesgeschenk zu erleben ist? Dass gläubige Christen darüber hinaus, im Vertrauen auf die Zusage Jesu, Erlösung und Freiheit als Gnade erfahren, und darauf vertrauen können, dass der Schöpfer und Erhalter des Lebens seine Geschöpfe, uns Menschen den gesamten Kosmos nicht dem Tode überlässt, sondern in ein gelingendes, künftiges Geschehen einbeziehen wird? Jetzt wird mir vor Freude schwindelig, entgegnete Erich: „Denn nun beginne ich zu begreifen, warum mich das Stichwort „Vertrauen“ in Reaktion auf den Vortrag über die Spiritualität nicht mehr los ließ. Vertrauen ist, so verstanden, für uns Christen ein am Anfang des menschlichen Lebens beginnendes, über den Tod hinaus, das ganze Sein tragendes Geschehen.
Erich schloß beeindruckt mit den Worten: Lieber Peter, am Ende des heutigen Gesprächs, möchte ich vor dem Kreuz, dem Marienbild und der Ikone hier, alle Menschen in unseren Dialog einschließend, für die vielen bewusst und unbewusst erfahrenen Gaben und Geschenke des Vertrauens, die uns von Angst befreien, und zu Kindern Gottes machen, danken. Gott der Herr behüte Dich und Deine Familie. Ich wünsche Dir eine gute Heimreise und uns, dass wir das fruchtbare gemeinsame Nachdenken über die Funktion und Bedeutung des Vertrauens in bleibender Erinnerung behalten!