Peter zur Erinnerung

Ich konnte mir vor einiger Zeit nicht erklären, warum ich beim Versuch, den Reichtum einer beglückenden religiösen Erfahrung in Worte zu fassen, in eine betrübliche Arbeitshemmung geriet. Es fühlte sich für mich alles in der voran gegangenen Meditation, wie in der Genesis beim Schöpfungsakt des Herrn, gut an. Ich war dabei, in einem Text dieser schönen Erfahrung nachzuspüren. Da brach plötzlich das gestaltende Wort weg. Ich musste den Schreibtisch verlassen, und versuchte im Gespräch mit meiner Frau die innere Macht, die mich zu schreiben hinderte, zu verstehen.

An die Tatsache, dass mein Bruder Peter, seit Tagen im Todeskampf lag, hatte ich in diesem Augenblick keine Erinnerung. Erst als uns Peters Frau Lore anrief und sagte, dass er soeben um 14.45 Uhr gestorben sei, überkam mich eine Ahnung davon, dass ich unbewusst, den Todeskampf meines Bruders mit durchlitten haben könnte. Seit über zwei Jahren wissen Peter und wir alle, dass seine Lebensuhr ablaufen wird. In dieser Zeit ist uns mein Bruder und seine Familie, mehr als je zuvor ans Herz gewachsen. Die Art und Weise, wie er die Chemotherapie und deren Nebenwirkungen ertrug, und immer wieder Hoffnung gegen jede Hoffnung aufbaute, hat uns tief beeindruckt. Ebenso die menschliche Haltung, wie Lore und die ganze Familie Peter in dieser schweren Zeit beistand. Als ihm in den letzten Wochen vor seinem Tod, nur noch Morphium blieb, um die starken Schmerzen zu lindern, holte ihn Lore aus dem Krankenhaus in häusliche Pflege. Manchmal hatte ich große Sorge um deren Gesundheit. Die anstrengende Pflege lief nicht spurlos an ihr vorüber. Die Belastungen waren ihr anzusehen. Peter wurde in den letzten Wochen Tag und Nacht von Lore, deren Tochter und ihrer Schwester, liebevoll versorgt. Auch Peters stiller, im Hintergrund aber stets präsenter Schwiegersohn, der Enkel und die Enkelin brachten sich auf ihre Weise in die familiäre Aufgabe ein

Sofort nach dem Anruf fuhr ich zusammen mit meiner Frau nach Gondelsheim. Im Gespräch mit ihr wünschte ich mir unterwegs, die nötige Fassung bewahren zu können, um Lore und Peters Familie nicht zu belasten. Da der Arzt bei unserem Eintreffen seine Pflicht erfüllte, baten Daniela, ihr Mann und die Enkel uns in ihre Wohnung im gleichen Haus. Da saßen wir nun. Meine Kehle war wie zugeschnürt. Ein Glück, dass ich ähnliche Situationen kenne, in denen trotz karger Worte, Nähe und Trost möglich ist. Die Familie begleitete uns anschließend in die Wohnung Lores im Untergeschoss. Ich bat darum, für meinen Bruder mit der Familie zusammen beten zu dürfen.

Peter, der uns zuletzt zu meinem achtzigsten Geburtstag besuchte, und uns erst danach von seiner Krankheit berichtete, lag leblos aber würdevoll wie erlöst und angekleidet auf seinem Bett. Der Herr hatte ihn nach Hause geholt, zu all den anderen treuen Menschen, die uns voran gegangen sind, mit denen wir über deren Tod hinaus in Liebe verbunden bleiben. Peter, mein Bruder, hat diese letzte Prüfung bestanden. Er hat wahrlich die Lebenskrone aus der Hand unseres Schöpfers verdient. All das kann ich jetzt, in Worte fassen. Obwohl ich mit allen über jede Stunde froh bin, die uns mit ihm geschenkt wurde, stand ich doch erschüttert an seinem Todesbett. Im Unterschied zum Tod meiner Großmutter, der mich nach einer sorglosen Jugend im Alter von 12 Jahren mit Angst und Entsetzen erfüllte, sodass ich den Anblick der Toten nicht ertragen konnte, blieb ich jetzt stehen. Nicht nur der lebendige, sondern ebenso der tote Bruder wird meine und unsere Erinnerungen an ihn prägen.

Wir beteten zusammen ein Vaterunser. Ich reihte mich dabei ein in die Familie der Zurückbleibenden. Mehr noch, es gelang mir für uns alle, einige wenige Worte zu sagen und Peter mit dem Kreuzzeichen zu segnen. Wir wussten ja schon lange, dass es mit ihm zu Ende gehen wird. Nun lag er vor uns und muss nicht mehr leiden und kämpfen. Und dennoch, während ich versuchte ihm, wie vor Jahren bei der Krankensalbung unserer Mutter, ein Osterlied anzustimmen, will mir das Alleluja nicht gelingen. Aus der Seite des Herrn floss ja auch nur Blut und Wasser – das Alleluja des Ostertages folgte später. Mich befällt auch noch heute Trauer in Erinnerung an seinen Tod. Für mich und für uns alle wird das Osterlicht aber sicher wieder zu seiner Zeit siegreich aufleuchten. In Kreuz und Auferstehung des Lebens Mitglied einer solchen Familie zu sein, die zu Hoffnungen berechtigt, erfüllt mich unter Tränen mit Stolz.

Das Kreuz der Erlösung und Hoffnung
Franz Schwald
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