Ich habe bisher vermieden, zu Ihnen liebe Leser, als Psychologe zu sprechen. Heute halte ich es für angebracht, dieses Versäumnis nach zu holen. Es wird im öffentlichen Leben in vielfacher Weise von Problemen geredet. Im Grunde geht es immer um das Schema: Irgendetwas, das wir für bedeutsam halten, geht nicht. Wir suchen dann nach Lösungen.
Nun gibt es Probleme, bei denen wir zur Lösung auf eigene Erfahrungen zurückgreifen können, oder uns Lösungswege aufzeigen lassen. Von diesen vielen, im Grunde lösbaren Problemen, möchte ich nicht sprechen. Schwieriger ist es, wenn wir keine Lösungswege sehen, oder wenn die zur Lösung erforderlichen Mittel fehlen. Dann ist Kreativität gefragt. Manchmal führt dann erst nach längerem Suchen ein Traum oder ein plötzlicher Einfall zu einer Lösungsstrategie. Es ist aber In der Regel mit unangenehmen Gefühlen verbunden, solange die erwünschte Lösung eines anstehenden Problems noch nicht in Sicht ist. Legen wir es als zunächst unlösbar zur Seite, dann kann dies entlastend wirken. Erlangt aber die Lösung eines Problems für den Selbstwert eines Menschen hohe Bedeutung, dann kann uns in einer Auslösesituation der Zeigarnik-Effekt daran erinnern, dass noch eine Aufgabe zu lösen ist.
Von allen mit vorhandenen Mitteln lösbaren Problemen soll aber hier nicht die Rede sein. Wir befassen uns nur mit komplexen Problemen, wenn zum Beispiel ein Organ des Körpers ausfällt oder ein ähnliches Problem zu bewältigen ist. Der Prozess der Anpassung kann dann unter Umständen schmerzlich lange andauern und unser Wohlbefinden beeinträchtigen. Versagen die gewählten Lösungsstrategien, dann -und das ist unser Thema- ist ein bisher „unlösbares Problem“ zu lösen. Darüber möchte ich heute mit Ihnen reden und ich benutze zur Veranschaulichung ein Beispiel aus eigener Erfahrung:
In den Jahren meiner Adoleszenz bestand für mich das Problem, dass mir im Vergleich mit anderen Menschen meine Handschrift nicht gefiel. Auch durch angestrengte Übungen ließ sich damals die Schrift nicht verändern. In meinem angestrebten Beruf, hatte aber die Handschrift für mich eine sehr große Bedeutung. Entsprechend intensiv war ich daher bemüht, flüssiger zu schreiben, und erlebte die Enttäuschung, dass sich die Schrift nicht verändern ließ. Hinzu kam die Scham, die mich hinderte, mit anderen Personen über dieses Problem zu sprechen. Als ich lernte zu stenographieren und mit der Schreibmaschine zu arbeiten, konnte ich mich aber immer wieder davon distanzieren. Obwohl ich trotz der Schreibstörung im Beruf und Politik,
dann später nach dem Abitur im Studium, in Leitungsfunktionen und in der eigenen Praxis erfolgreich war, trat die oben beschriebene Störung gelegentlich immer wieder auf. In diesen Fällen setzte ich, wie zuvor, intensive Übungen zur Lösung des Problems ein, um mich dann nach erfolglosem Bemühen, enttäuscht anderen Aufgaben zuzuwenden. Erst in späteren Jahren lernte ich, zunächst in der Familie, und dann auch mit anderen vertrauten Personen, über die Schreibstörung und die damit verbundenen Konflikte zu sprechen. Dadurch gelang es in längeren zeitlichen Intervallen, kreativ zu arbeiten und meine Freizeit befriedigend zu gestalten. Der Zeigarnik-Effekt erinnerte mich aber an das ungelöste Problem „Handschrift“. Ich wunderte mich daher darüber, dass mich die Schreibstörung von Zeit zu Zeit wieder intensiv beschäftigte.
Heute habe ich im Unterschied zu früher erkannt, dass es bisher „unlösbare Probleme“ geben kann, die neue Lösungsstrategien erfordern. Im besagten Falle bedeutet dies, dass meine Handschrift durch Übungen nicht zu ändern ist, sodass meine Übungsversuche erfolglos bleiben mussten. Ich sah mich daher aufgrund meiner Erfahrungen veranlasst, beim Auftreten der Schreibstörung völlig auf Übungen zur Veränderung der Handschrift zu verzichten. Das entspricht dann dem Modus, ein bisher „unlösbares Problem“ mit Hilfe einer neuen Strategie zu lösen. Die bisherigen Lösungsversuche waren aber insofern bedeutsam, als sie mir zeigten, dass meine Schrift so eigenständig und liebenswert ist, dass sie jedem Manipulations-Versuch widersteht. Da es möglicherweise außer mir auch andere Menschen geben kann, die ähnliche Aufgaben zu bewältigen haben, entschloss ich mich, Ihnen liebe Leser, diese Erfahrungen als Anregung mitzuteilen.