Der Sommer schreitet voran. Bäume, Büsche, Wiesen und Felder zeigen sich aber noch von ihrer schönsten Seite. Emil treibt es hinaus in Gottes freie Natur. Er kennt die Straßen und Wege seiner engeren Heimat wie die eigene Westentasche. Von Jugend an zog es ihn immer wieder hinaus ins Freie. Er wurde von allem Neuen magisch angezogen, und war die Neugier in Person. Nur die Nacht setzte seiner Entdeckungslust eine Grenze; aber selbst in seinen Träumen spiegelte sich die durch nichts voll zu befriedigende Lebenslust. Zu Fuß wandernd und singend, gehörten ihm und seinen Freunden der Schwarzwald mit seinen Bergen, Tälern, Flüssen, Seen grünen Matten und schattigen, geheimnisvollen Wäldern. Fleißige, strebsame Menschen sind dort zu Hause, bestellen das karge Land, und leben mit ihren Tieren in ihren, an den Hängen klebenden Höfen, unter dem tiefgezogenen Dach, das ihnen auch bei Kälte und Schnee Schutz bietet.
Emil hatte längst die trauten Kindertage hinter sich gelassen, und andere Regionen unseres reichen Landes kennen gelernt. Bis zum heutigen Tag blieb ihm, nur unterbrochen von beruflichen Aufgaben, das Interesse an allen Gaben und Geschenken des Lebens erhalten. Das Heimweh führte ihn aber in diesen Sommer wieder einmal in seine Heimat zurück. Schon lange ist es her, seit er zum letzten Mal hier war. Wie in einem schönen Traum, breitet sich die Landschaft vor seinen Augen in wechselnden Bildern aus. Tiefe Täler, schwungvolle Höhen, Felder und Wiesen, und immer wieder einzelne Bauernhöfe, die sich an die Abhänge schmiegen. Gar wohl ist ihm zumute, und eine stille Freude begleitet ihn, alles, wie vor Jahren, wohl erhalten vorzufinden. Tief nimmt er die vielen Eindrücke in sich auf. Dankbarkeit erfüllt ihn. Er schämt sich einiger Tränen nicht, und ist ganz Auge und Ohr.
Da begegnet ihm unvermutet ein anderer Wanderer, der den gleichen Weg geht. Eine gegenseitige Vorstellung ist nicht nötig. Ein prüfender Blick genügt, um zu erkennen, dass sie unterwegs sind, fähig zu Reden und zu Schweigen. Sie gehen neben einander ein Stück des Weges. Es herrscht Stille, nur das leise Rauschen des Windes in den Tannen, und der unbeschwerte Gesang der Vögel halten sich nicht an die Stille. Das scheint die Wanderer aber nicht zu stören. Es fühlt sich gut an, mit ihren Gedanken und Gefühlen nicht mehr allein zu sein. Zunächst eher zögerlich, dann aber lebhafter, beginnen sie mit einander zu reden, als ob nun der Bann gebrochen, und Vertrauen möglich wäre. Wie einst die Emmaus-Jünger mit einander redeten, was sie und die Gemüter im Lande bewegte, so reden die Wanderer über das, was zurzeit in unseren Landen geschieht, und sie erregt. Sie erzählen sich die Geschichten von all den Krisen, in Europa, ums Mittelmeer, und in der Ukraine. Ja es gibt auch heute Tod und Leid unschuldiger Menschen zu beklagen, wie damals, als der EINE schmachvoll für uns am Kreuz endete. Bei diesen und ähnlichen Überlegungen, vermochte die heile Welt der sie umgebenden Natur für eine Weile keinen Trost mehr zu spenden. Das Elend und die aktuellen Bedrohungen der Menschen, schienen alle Lebensfreude zu ersticken. Das Gespräch verstummte. Es gab plötzlich nichts mehr zu sagen. Nur die Vögel, die trotzig ihre zarten Stimmen erhoben, und die umgebende Natur, hielten dem Schmerz stand, und bildeten einen tröstlichen Raum, in dem eine Ahnung von Hoffnung und Zukunft die Erstarrung lösen konnte.
Die Wanderer bemerkten nun, dass sie nicht allein waren, tauschten verständnisvolle Blicke aus, und begannen wie damals die Emmaus-Jünger einander tröstend von der Hoffnung zu erzählen, die der EINE verlässlich eröffnete, der auch heute, als der geheimnisvolle Dritte mit ihnen ging. Jetzt ging ihnen ein Licht auf, und sie begriffen: Es war kein zufällige Begegnung, sondern Fügung mit der Aufgabe, einander auf dem Lebensweg zu trösten, und von der großen Hoffnung zu erzählen, dass der geheimnisvolle DRITTE lebt, bei ihnen ist, und als Grund aller Hoffnung erfahrbar wird. Emil sagte darauf hin zu seinem „Wegbegleiter“: Nun verstehe ich besser, wer uns zusammenführte, und uns im Gespräch über unsere gemeinsame Not und Hoffnung, so tröstlich beistand. Haben wir doch erkannt, dass wir keine Scheu nötig hatten all die Dinge beim Namen zu nennen, die uns bewegen. Wir Menschen leben eben nicht allein, und der geheimnisvolle DRITTE hat es so gefügt, dass er uns bei all unserm Klagen und Trösten ständig begleitet. Sein Begleiter entgegnete: „Ich finde es auch seltsam, und bin sehr überrascht, dass gerade Sie mir in dem Augenblick begegneten, als ich auf der Wanderung im schönen Schwarzwald, ähnlichen Gedanken nachging wie Sie“. Wie wohl hat es mir getan, Ihnen gegenüber kein Blatt vor den Mund nehmen zu müssen und zu erleben, dass wir zusammen im Bund mit dem DRITTEN, einander verlässliche Hoffnung zusagen dürfen. Emil darauf lächelnd: „Wir sind genau besehen, beide fröhliche Habenichtse, auf unserem Lebensweg mit dem Unbekannten: „Aber nicht mehr allein“.
Die Unterhaltung löste sich daraufhin vom Leid und Not der Zeit, und sie erkannten, dass sie noch lebten und der vom Tod Erweckte, sich in ihr Gespräch gemischt hatte, um sie zu ermutigen, und auf dem Weg der Wahrheit zum ewigen Leben zu trösten. Aufatmend sagte Emil: „Noch sind wir beide zusammen, und denken nach über unsere Chancen in Hoffnung.“ Über das Gesicht seines Begleiters huschte ein kleines Lächeln, als er spitzbübisch bemerkte: „Ja, aber was nützte es uns, wenn alles keinen Sinn hätte?“ „In Deinem Lächeln verbirgt sich die wichtige Frage, woher kommt, wer erhält, und wohin führt alles und wie ist es um die Zukunft von allem bestellt, gab Emil zur Antwort.“ An ähnlichen Überlegungen habe ich mich schon wund gestoßen. Aber es gab auch einmal eine Zeit, und ich ahne, sie ist jetzt wieder da, als ich sehr glücklich war bei dem Gedanken, dass unser ganzes Leben in guten Händen sei, und wir eine wirkliche Zukunft haben, der wir trauen können. Ich glaube, es könnte nun an der Zeit sein, eine kleine Rast einzulegen. Sie fanden einen Tisch und eine Bank. Emil packte aus seinem Rucksack Brote aus, teilte und segnete sie, und bot sie seinem Begleiter mit einem verständnisvollen Blick zur Speise an. Und siehe, da gingen Ihnen wie den Emmaus Jüngern die Augen auf, und sie gestanden sich wie sehr sie im Herzen bewegt waren, als der „Auferstandene“ sich in ihr Gespräch mischte, und sie sagten einander: „Brannte nicht die ganze Zeit unser Herz in uns, als wir mit einander redeten?“