Das Vermächtnis

Geborgen im Glauben Hoffen und Lieben.Ich sehe sie vor mir, die lange Reihe der Fragenden und Suchenden, wie sie durch die Jahrhunderte der Menschheitsgeschichte wandern. Erdenbürger, die ihren Nachkommen und einander in Gesten, Wort und Schrift erzählen, was ihnen im Laufe ihres Lebens wichtig war. Die auch von Dingen berichten, die sie, über die Sorge ums tägliche Brot hinaus, bewegen: Sollte ein Mensch nicht ins Staunen geraten, wenn er von Kunstwerken aus der Frühzeit der Höhlenbewohner, von Pyramiden und Sakralbauten erfährt oder wenn er anderen Zeugnissen der Natur- und Geisteswissenschaft, Kunst- und Religionsgeschichte, aus den jeweiligen Epochen in verschiedenen Kontinenten begegnet? Können wir Heutigen dann die durch die Jahrhunderte ernst genommene Frage nach dem Sinn im Ganzen: »Warum gibt es dies und nicht nichts« einfach hochmütig beiseite schieben? Auf was müssen wir daher in unserem eigenen Interesse achten?

Wir reden in diesen Tagen viel über die missionarische Aufgabe, der Christen, dass sie mit einander und mit anders orientierten Menschen, über den Reichtum unseres Glaubens reden sollten. Der gegenseitige Trost wahrer Gottes- und Menschenliebe, die allem gilt, darf aber bei keiner religiösen Rede oder Handlung fehlen. Im steten Blick auf den Allmächtigen, und aus Seinen Quellen gespeist, könnte dann die Demut und Weisheit entspringen, die den Blick dafür schärft, dass unser Hunger und Durst nach Liebe und Glück letztlich nur Gott zu stillen vermag. Eine Kraftquelle, die schon den Glauben des Apostels Paulus festigte, und auch uns Vertrauen und Sicherheit zu schenken vermag, um allem Unglauben, Zweifel und Atheismus in und um uns, in Frieden wirksam begegnen zu können.

Schon in meinem ersten Band „Geschichten und Gedanken“, habe ich in einem einleitenden Essay versucht, Gründe zu benennen, warum es mich drängt, zu schreiben. Die dort behandelte Frage nach „Einheit und Vielfalt“ bewegt mich immer noch. In den dazwischen liegenden Jahren, hat sich für mich aber die Frage, welche geistigen und geistlichen Wurzeln, dem Schreiben zugrunde liegen könnten, etwas deutlicher geklärt:

Stand zu Beginn meiner schriftstellerischen Tätigkeit, die Erfüllung der drängenden Bitte unserer Töchter: »Papa, erzähl uns etwas aus Deinem Leben«, im Vordergrund, so habe ich inzwischen begriffen, dass ich nicht nur unseren Kindern, sondern der gesamten „jüngeren Generation“ eine persönliche Aussage zur Frage schulde, was mir im Rückblick auf mein ganzes Leben wichtig geworden ist. Durch mein höheres Lebensalter fühle ich mich daher in der Pflicht, allen unseren Nachkommen im Sinne eines „Vermächtnisses“ mitzuteilen, wie menschliches Leben gelingen kann. Diesem Anliegen diente und wird auch in Zukunft, alles was ich zu sagen habe, gelten. Manches mag vielleicht „eigensinnig“ wirken. Ich stehe aber dazu:

Ich muss Ihnen, liebe Leser, beispielsweise gestehen, dass ich bislang, im Unterschied zu manchen Zeitgenossen, meinen Besitz immer noch nicht im Sinne einer Nachlassregelung testamentarisch aufgeteilt habe. Ich bin auch in meinem Leben mit wenigen schriftlichen Verträgen ausgekommen. Für meine Praxis, Gott und den Menschen zu vertrauen, bin ich auch nicht ungebührlich bestraft worden. Ein Rechtsanwalt hat sich aber einmal darüber sehr verwundert. Meine Vernunft sagt mir eben, dass mir, mit oder ohne Testament, am Ende des Lebens jede selbst gefertigte Sicherheit, sicher genommen wird. Viel mehr Gewicht legte ich jedoch auf all das, was „Rost und Motten“ nicht zerstören können:

Es brauchte aber seine Zeit, bis ich fähig und bereit war „die Karten auf den Tisch zulegen“ und zu versuchen, Rechenschaft von meiner Verwaltung zu geben, und so etwas wie mein „geistliches Testament“ zu schreiben. Wohl wissend, dass dies ein schwieriges Unterfangen ist, und ich nichts Gutes ohne unseren Herrgott zu vollbringen vermag, aus dem auch alle meine Quellen entspringen. Ich vertraue darauf, dass ER mir nun die rechten Worte eingeben wird, um berichten zu können, was mich im Wellengang meines Lebens über Wasser hielt, und was ich all denen, die wahres Leben, ewiges Glück und unvergänglichen Reichtum suchen, als mein Vermächtnis, hinterlassen möchte. Insofern gelten die in diesem Essay dargelegten Einsichten und Ansichten auch unseren geliebten Töchtern, deren Partnern und unseren Enkeln:

Was kommt mir in den Blick, wenn ich mich als älterer Mensch in unserer Welt und darüber hinaus umsehe und umhöre? Was und wer war für mich Maßstab des Handelns? Der von mir, über seinen Tod hinaus, hochgeschätzte, akademische Lehrer und Religionsphilosoph, Bernhard Welte, dessen geistiger und geistlicher Nachlass in vielen Bänden zum Studium und zur Erbauung zur Verfügung steht, zeugt von christlichen Wurzeln und einem freimütigen Blick auf die Fragen und Sorgen der Menschen in unserer Zeit. Er gibt darin auch Rechenschaft über das, was ihn zutiefst bewegte. Es sind geistige und geistliche Schätze, die er in seinem Vermächtnis, jedem der es hören will, ans Herz legt:

Vor einiger Zeit, nahm ich auf Einladung der Welte-Gesellschaft an einer Veranstaltung in der Katholischen Akademie in Freiburg teil. In den Referaten und Arbeitsgruppen kamen Erfahrungen über die Nähe Gottes und die historischen Wurzeln des Atheismus zur Sprache. Die dort behandelten Themen über die beglückenden Erfahrungen der Nähe Gottes, und die äußerst befremdliche Gottesferne, finde ich auch in meinem Leben als das vor, was mich unbedingt angeht. Insofern spricht Welte auch für mich. Wenn ich in meinem Vermächtnis davon spreche, was mich immerzu bewegte, und was ich resümierend, der Nachwelt als Vermächtnis, als das Wichtigste, hinterlassen möchte, dann hat das zweifelsohne wesentlich mit dem zu tun, von dem im Sinne Weltes, während der Tagung in Freiburg die Rede war.

Ich komme zurück auf das oben erwähnte pilgernde Volk Gottes, auf alle die Menschen, die von Generation zu Generation, ihr Wissen, ihre Erfahrungen und ihren Glauben, das heißt alles, was ihnen wichtig war, an ihre Nachfahren weiter gaben. Vornehmlich die Älteren waren durch ihre Lebenserfahrung berufen, Wächter und Hüter des Wissens,der Kultur und des Glaubens zu sein. Wir alle übernehmen deren Erbe, führen es fort, und sind wie sie von Geburt bis zum Tod unterwegs. Mit der Begrenztheit des menschlichen Lebens, und aller Dinge, müssen wir, trotz unserer mannigfaltigen technischen Möglichkeiten und Mittel zur Steuerung der Prozesse, auch in Zukunft rechnen. All das zeigt uns: Wir können zwar viel, sind aber nicht Herr allen Daseins. Das aus der schöpferischen, uns bergenden Natur immer wieder neu gewährte Leben in all seiner Vielfalt, ist und bleibt endlich. Daher taucht sie immer wieder neu und auf unterschiedliche Weise auf, die oben erwähnte Frage: »Warum gibt es das alles, Mensch, Natur, Mikro- und Makrokosmos, und nicht nichts?« Und damit unter redlichen Menschen auch die Frage nach Sinn und Bedeutung alles Seienden, nach Schuld, Tod, Leid und ewigem Leben?

Die Einen verneigen sich dankbar für alles und glauben hoffnungsvollan ein ganz anderes, glückliches Leben nach dem Tod, die Anderen suchen unentwegt, und fortschrittsgläubig, nach immer neuen Wegen und Erklärungsmodellen, um auf Erden ihr Glück zu machen. Gott und Religion scheint es in ihrem Leben und Denken nicht zugeben. Die Frage nach Einheit und Vielfalt des Ganzen, stellt sich der menschlichen Vernunft jedoch immer wieder mit unterschiedlicher Dringlichkeit. Manche halten die Frage nach dem Sinn des Ganzen,  verwirrt durch die Komplexität der Phänomene und Ereignisse für überflüssig, Andere, wie Welte und auch ich, für vernünftig und dringend geboten.

Ich habe mich aus innerem Antrieb und Überzeugung, wie im Ersten Band meiner „Geschichten und Gedanken“ ausgeführt, dafür entschieden, den Naturwissenschaften Respekt zu erweisen, aber auch den Geisteswissenschaften und Religionen, den ihnen zustehenden Platz einzuräumen. Es erscheint mir wünschenswert und dringend geboten, dass sich das in der Vergangenheit bewährte Zusammenspiel von Natur und Geisteswissenschaft, auch in Zukunft fortsetzen kann. Auf die allseits bekannten Folgen einer Trennung von Glauben und Leben, möchte ich anhand des derzeit beklagten Glaubensverlustes und der damit verbundenen Unsicherheit im Blick auf eine tragfähige Sinn-, Werte- und Normbegründung nachfolgend hinweisen:

Im Unterschied zu den Verhältnissen in meiner Jugend, als Klerus und Laien, Kirche und Gesellschaft sich vielfach ergänzten, erfahren kirchliche und lehramtliche Aussagen heute eine eher geringe Akzeptanz bei den Gläubigen und in der politischen Diskussion. Dies gilt insbesondere im Bereich der Gesetzgebung, der Ethik und Moral. Erkenntnisse der Natur-, Sozialwissenschaft und Philosophie, drängen stark in die öffentliche Meinungsbildung. Das bedrohliche Ausmaß dieser Einflüsse, auf die christliche Weltanschauung und deren Wertvorstellungen, wird im europäischen Raum vielfach beklagt. Wenn wir die Migration vieler Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und Religionen und die dominante Präsenz atheistischer und laizistischer Vorstellungen bedenken, dann ist verständlich, dass die christlichen Kirchen das Sendungsbewusstsein ihrer Gläubigen einfordern, um den Glauben unverkürzt an die nächste Generation weiter zu geben. Wir sollten aber unseren Glauben in seiner langen Tradition aus jüdischen Wurzeln des alten und in Jesus Christus gründenden neuen Testamentes, Zeit und Ewigkeit zusammen führenden, alles stabilisierenden Werte- und Normenkanons, nicht gering schätzen. Juden, Christen und alle an Gott glaubenden Menschen gehören zu diesem durch die Zeit pilgernden Volk.

Gerade die ehrwürdige Geschichte der Katholischen Kirche, ihre Martyrer, Heiligen und Seligen, die Bischöfe Priester und frommen Gläubigen, vor allem aber Jesu Tod und Auferstehung, sind die Garanten für eine Zukunft über den Tod hinaus. Diesen Zeugen unseres Glaubens bin ich mit Gottes Hilfe ein Leben lang gefolgt. Die oft so sehr gescholtene und auch wirklich Fehler behaftete Kirche, ist mir im Bewusstsein ihres alles überragenden Segens, zu einer bestärkenden Heimat geworden. Ich bin auch nicht allein: Noch gibt es sie, die vielen treuen und rechtschaffenen Ordensleute, Bischöfe,Kardinäle, Priester, Diakone und Pastoralreferenten, die mit unterschiedlichen Aufgaben in Kirche und Gesellschaft betraut, Hand in Hand mit christlichen Männern, Frauen und Jugendlichen, um Gotteslohn wirken. Wie in einer guten Familie, gehören aber auch alle die mit dazu, die gefehlt haben. Dankbar für alle Gnade, den Zuspruch und die Wohltaten, die ich durch unsere Kirche und das freundliche Geleit evangelischer Christen erfahren durfte, bin auch ich bereit, alles was mir möglich ist, in Kirche und Gesellschaft einzusetzen, und den späteren Generationen und unseren Kindern zur Ermutigung, die Bedeutung dieses Glaubens für unser aller Leben, in diesem persönlichen Vermächtnis zu bezeugen.

Wie geht solcher Glaube? Hierzu einige Erfahrungen: Glaube geht von Hand zu Hand, von Mund zu Mund, wie ein „gebrochenes Brot“, zur Stärkung von einem Mensch zum anderen. Alles, was unseren Glauben stärkt, der gnadenhaft dem Herzen Gottes entspringt, sucht  eine Chance, um sich in unseren Seelen zu beheimaten. Dieser Glaube  enthält und übersteigt soziales Engagement ins Unermessliche. Denn er untersagt uns, Mitmenschen nieder zu machen, und gebietet stets  deren Würde und Gotteskindschaft zu achten. Jedem Menschen die Barmherzigkeit und den Segen Gottes, bis in den beseligenden Himmel hinein zu gönnen und zu wünschen, ist des Christen Pflicht und Freude. Das meine ich, wenn ich die Unendlichkeit einer personalen Beziehung nie fassend, manchmal sage: »Wenn ich könnte, würde ich Dich in Watte packen!«Welchen würdevollen Umgang mit Leid, Schuld, Freude und Vergebung, durfte ich in vielen Beichtgesprächen erfahren. Wie viel tröstliches Miteinander durch Christen in Familie, Gruppen, und der Arbeit, in gesellschaftlichen und politischen Aufgaben, durfte ich erfahren? Immer wieder traten sie mir vor Augen, die Vorbilder an Treue, Mut, Geduld, Demut, Hoffnung und Liebe. Wenn ich all das nur allein empfangen hätte, dann würde mir das Schönste, was es fürmich gibt, anderen Menschen Freude zu bereiten, und sie glücklich zuwissen, fehlen. So hoffe ich, dass das eine oder andere Wort, das auch ich empfangen durfte, vermag, sich als persönliches Vermächtnis von dem, was mir im Leben das Wichtigste war, Gehör zu verschaffen. Und ich wünsche, dass diese Worte aus dem prallen Leben, Mitmenschen so zu berühren und zu ermutigen vermögen, dass auch sie aus Freude am christlichen Leben, einen Weg finden, um Gott die Ehre zu erweisen und ihren Glauben in der ihnen möglichen Form mit den Hungernden und Dürstenden unserer Zeit zu teilen.

Geborgen in der Kirche
Geborgen im Glauben Hoffen und Lieben.

 

 

Franz Schwald
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