Paul lässt sich in einen bequemen Sessel fallen, streckt die Beine aus, u atmet tief durch. Hier hat er schon oft in ganz unterschiedlichen Stimmungen gesessen. Er schaut sich um, in dem ihm in langer Zeit vertraut gewordenen Raum, an einer Hängepflanze vorbei, schweift sein Blick durch das eine Fenster hinaus, weit hinaus, soweit das Auge reicht. Paul kann es dieses Mal kaum erwarten, bis sein Freund, dessen leichte Schritte und das sorgsame Schließen von Türen als angenehme Geräusche an sein Ohr dringen. Ihm gegenüber in einer Nische des Bücherbordes betrachtet er etwas aufmerksamer als sonst einen wohl geformten weiblichen Akt – ohne Kopf, Unterarme und Beine – ein Torso und doch scheint der Skulptur nichts zu fehlen. Für einen Augenblick kommt dennoch ein wenig Mitleid mit der Unvollendeten auf. Man könnte sie in der Vorstellung immer wieder neu mit ergänzenden Attributen schmücken. Rechter Hand befindet sich ein Sofa, auf dem ein ansehnlicher brauner Bär thront, der Paul mit seinen aufmerksamen, friedlichen Augen anblickt. Er hat die Ruhe weg und kann wohl auch als Schmusekissen zu einem gelegentlichen Nickerchen einladen. Einige kleine Figürchen und wohlgeformte Natursteine möchten betastet werden. Paul genießt die Ruhe, die ihm erlaubt, einfach da zu sein und zu bemerken, dass er sich heute sehr darauf freut, sich mit seinem Freund zu unterhalten.
ür Peter ist unterwegs Wichtiges, Erstaunliches, Unerwartetes geschehen. Er hat sich aber nun wieder ein wenig gesammelt. Immer mehr spürt er jedoch wieder eine leichte Erregung im ganzen Körper, der nach Mitteilung drängt, gleichzeitig jedoch auch eine e Scheu, als ob es ihm trotz aller Vertrautheit mit seinem Freund schwer fallen könnte, seine Erfahrungen in Worte zu fassen. Peter betritt den Raum. Er überragt Paul an Größe; dennoch ist es eine Begegnung auf Augenhöhe, die es -wie immer schon- erlaubt, im Gespräch auch sehr persönliche Erfahrungen auszutauschen. Er trägt heute einen hoch geschlossenen an einen „Norweger“ erinnernden, grob gestrickten grau gemusterten Pulli. Paul erhebt sich zur Begrüßung. Nach einem freundlicher Händedruck rücken sich beide auf den angebotenen Sesseln zurecht. Es entsteht eine kleine brickelnde Pause. Ein Gespräch birgt ja wie ein Torso so manche Überraschungen und ist immer unfertig, wie andererohne Gesicht, Arme und Beine. Aber unter Freunden kann im Austausch der Gedanken, wenn schon keine perfekter, dann aber ein ein an derer wohl geformter Akt entstehen. Peter ist aber überzeugt, dass er sich bei seinem Freund nicht verbiegen muss, denn er kann jn d will heite bei der Wahrheit bleiben.sich sicher: Er muss sich bei seinem Freund nicht verbiegen; er kann und will heute bei der Wahrheit, und auf der Höhe des Geschehenen und Fassbaren bleiben. Paule wirkt in seiner entspannten Aufmerksamkeit auch einladend, als ob erbereit wäre, sich auch an Neuem, Überraschenden in stillem Wohlwollen zu erfreuen. Peter atmeet noch einige Male tief durch, spürt dabei wieder eine leichte Erregung imrKörper bis zum Hals, eröffnete und begann dann, zunächst Wort für Wort ertastend, von seinem drängenden Bedürfnis, sich mitteilen zu wollen getragen, immer leichter und flüssiger zu reden:
Paul, sagt er, ich habe mich heute wie selten danach gesehnt, mit Dir zu reden, denn es ist mir unterwegs zu Dir etwas äußerst Seltsames widerfahren: Ich setzte mich in mein Auto, um die wenigen Kilometer, wie gewohnt zu Dir zu fahren. Irgendwie schweiften meine Gedanken hier hin und dort hin. Ich genoß den Abend, die Landschaft, die Kolonne der Autofahrer, Laster und Pkw‘s, und hielt wie üblich aus Gründen der Sicherheit ausreichend Abstand. Alles verlief unspekulativ und real, bis auf eine unerklärliche Freude, die mich begleitete. Plötzlich aber, wie aus heiterem Himmel verdichtete sich alles in mir und um mich herum zu einer tiefen Gewissheit, dass ich alles in mir und um mich herum nicht nur sehe, höre und betaste, sondern liebe. Peter brauchte nach diesen Worten eine Pause, dann fuhr er fort: Ich bin von dieser Erfahrung noch so durchgerüttelt, dass ich Angst habe, Worte könnten dieses überwältigende Ereignis, da unangemessen beschädigen. Und dennoch muss ich jetzt reden. Die Gewissheit, dass Du mein Stammeln nicht beschämen wirst, erleichtert mir, Dir noch mehr von dieser Herzensangelegenheit zu erzählen. Peter hielt inne und betrachtete wie zur Ermutigung die schön gestaltete, unfertige weibliche Figur. Ist doch alles, dachte er, auch das, was ich jetzt zu sagen habe, menschliches Stückwerk, und dennoch sehr schön. Nach einem Blick auf seinen Freund, der wie immer ruhig und aufmerksam da saß konnte Peter weiter erzählen: Paul, sagte er, es ist für mich so wichtig, dass ich mit Dir über dieses Ereignis, mitten in einem normalen Alltag, in seiner Bedeutung für mich und andere Menschen reden kann. Dass ich liebe, dies und das, die Dinge, die Menschen, alles drum herum in unserer Welt, habe ich vielfach erfahren. In diesem Erlebnis aber ging es einfach um Alles. Um eine grenzenlose Liebe, vor der nichts mehr fliehen konnte. Kannst Du, Paul verstehen, dass es nichts mehr gibt, das ich nicht herzlich liebe. Es ist eine abgründige tiefe Liebe, die mich erschreckend beglückt. Immer habe ich mich danach gesehnt. Und jetzt brauche ich Dich, wie einen Engel, der mir sagt: Peter fürchte Dich nicht. Ich war und bin shon immer bei Dir. Selbst der Tod kann Dir unsere Liebe nicht zerstören. Es ist wie eine Offenbarung der Wahrheit. Die Liebe lässt sich nicht einschränken, die Liebe will, ja sie muss einfach lieben. So schön ist sie! Ist das nicht wunderbar?