Seit 1975 bin ich Pensionär. Der Übergang vom arbeitsreichen Berufsleben in den Ruhestand war teilweise mühselig und belastend. Hatte ich mir doch vorgenommen, mich nicht in voreilige Aktivitäten zu stürzen. In aller Ruhe wollte ich überlegen, welche Aufgaben im nächsten Lebensabschnitt anstehen. Im Vertrauen darauf, dass mir schon das richtige einfallen könnte, setzte ich mir zunächst keine bestimmten Ziele. Aus der folgende Unruhe und einem unerklärlichen „Drängen“, entwickelte sich nach und nach die Vorstellung, die mir noch geschenkte Zeit zu nutzen, um nun in freierer Form genau das zu tun, was mein Leben und Handeln immer schon bestimmte. Ich wollte mit anderen Menschen über Gott, die Welt, und unser aller Leben reden. Das zunächst abwägende Zögern, war mir aus ähnlichen Situationen bei Entscheidungen bekannt. Als aber die Lust zu erzählen, fabulieren, dichten und schreiben sich verstärkte, überwand ich in Gesprächen mit einem Freund die Bedenken, eigene Gedanken und Geschichten zu erzählen. So entstanden in mehreren Jahren drei Bücher, in denen ich immer wieder auf die Liebe als Band der „Einheit und Vielfalt“ in den Phänomenen unseres Daseins verwies.
Erfahrungen von Liebe und Fürsorge in meiner Familie und das Staunen über die vielfältige Natur und die rechtschaffenen Menschen am Oberrhein, der Rheinebene Mittelbadens, den Vogesen und im Schwarzwald, begleiteten mich vor, während und nach dem Studium. Anregungen von Professoren und anderen vorbildlichen Menschen zu eigenständigem Lernen und Handeln, schufen die Voraussetzung, um mich auch in nördlichen Regionen zu Hause zu fühlen. So lernte ich als Badener im Laufe der Jahre die Lebensart der Westfalen in und um die traditionsreiche Stadt Münster und von dort auf Reisen, Holland, die Nordseeküste mit Duhnen, Hamburg, und die Insel Sylt schätzen und lieben. Nach einigen ereignisreichen Jahren im „ hohen Norden“, freute ich mich aber sehr, als sich aus beruflichen Gründen eine Chance bot, mit der Familie wieder nach Baden-Württemberg zurück zu kehren. In Oppenweiler, einem kleinen reizenden Ort an der Murr, in der Nähe von Stuttgart, sind wir nun seit vielen Jahren mit zu Hause. Es ist ein Segen, wieder im Lebensraum unserer Vorfahren wohnen, reisen, der Tradition begegnen und am kulturellen und kirchlichen Leben teilnehmen zu können. Die Tatsache, dass unsere älteste Tochter mit ihrer Familie in Den Haag und unsere beiden jüngeren in Hamburg wohnen und arbeiten, hilft uns, den „hohen Norden“ nicht ganz zu vergessen.
Wenn ich heute als Pensionär ab und zu auf unser arbeitsreiches Leben zurückblicke, wird mir manchmal sehr bewusst, in welchem Ausmaß die vielen Aktivitäten beim Studium, in Beruf und Familie, den Raum zum Erleben des eigenen Befindens einengten. Denn der Abschied von der Heimat, die Trennung von vertrauten Menschen, sowie das Beheimaten in anderen Regionen und die neuen Aufgaben, waren nicht immer leicht zu bewältigen und daher von gemischten Gefühlen begleitet. Inzwischen ist aber das Vertrauen gewachsen, miteinander ohne Angst über all die Nöte, das Schöne und Gute im Leben reden zu können. Erfüllt sich doch in jedem guten Gespräch, ein wenig die Sehnsucht nach Geborgenheit. Bauen wir doch bei all unserem Tun und Lassen, um mit Rilke zu sprechen, auf diese und andere Weisen auch „wie Werkleute, Jünger, Knappen, Meister, am „hohen Mittelschiff“. Mögen uns allzeit gute Engel helfen „den schweren Stein vom Grabe zu wälzen“, der uns manchmal hindert, unbefangen auf unser eigenes Leben und die tröstlichen Zeugnisse unserer Vorfahren zu schauen. Bei der Rückschau auf meine eigene Herkunft und Heimat liegt mir daher sehr daran, einige der „übrig gebliebene Stücke des Erlebens“ noch einmal „in die Hand zu nehmen“, um sie beim Schreiben vor dem Vergessen zu bewahren. Dass ich allen Vorfahren, die ihr Bestes gaben, nicht mehr persönlich danken kann, gehört zum schmerzlichen Bestand meiner Erfahrung. Hätten wir einander doch viel zu erzählen. Umso mehr drängt es mich, deren Leben, ihre und unsere Heimat zu würdigen
Heimatstadt und Umland
Rheinfelden(Baden), mein Geburtsort, entwickelte sich nach dem Baudes ersten Flusskraftwerkes in Europa, zu einer stetig aufstrebenden Industriestadt. Die nötigen Voraussetzungen hierzu waren gegeben, als es gelang. elektrischen Strom über weite Entfernungen zu leiten. Nach dem in Regie der Kraftübertragungswerke Rheinfelden AG erstellten Bau, wurde das Werk im Juni 1899 in Betrieb genommen. In meinen Büchern habe ich näher ausgeführt wie viel ich Freunden und Bürgern unserer Stadt im privaten, politischen und kirchlichen Leben verdanke. Der Rhein gibt unserer engeren Heimat das landschaftliche Gepräge. Die Ausläufer des Dinkelberges und Tafeljuras eröffnen einen weiten Raum zur Besiedlung, dem Städtebau, den Industrieanlagen und den rechts- und linksrheinischen Verkehrswegen. Die natürliche Beschaffenheit des Rheinbeckens bei Rheinfelden erleichterte in früher Zeit die Überbrückung des Flusses, sodass ein Verkehrsknotenpunkt entstehen konnte. Beim Bau der heutigen Brücke(1911/12) aus Beton und Natursteinen arbeitete mein Großvater Emil noch mit. Die erste Holzbrücke wurde bereits in zeitlicher Nähe zur Stadtgründung des heutigen Schweizer Rheinfelden, in der Mitte des 12. Jahrhunderts unter den „Zähringern“ erbaut. Unsere Schweizer Nachbarn können auf eine reiche und bewegte Geschichte zurückblicken. Die besondere Lage ihrer Stadt in der Nähe Basels, und die heutige Brücke mit den Resten eines Kastells, bildete, mit Ausnahme der Kriegsjahre, die Basis vielfältiger Kontakte für die Bewohner beidseits des Flusses. Die Häuser der Altstadt hallen wider, wenn Trommler und Pfeifer eine Woche nach der Basler Fastnacht einzeln oder in Gruppen stolz durch die engen Gassen ziehen. Bunt beflaggte weiße Schiffe spucken an Sommertagen viele Gäste aus, die es sich nach der Besichtigung der mittelalterlichen Stadtanlage und des Museums bei Salmen- oder Feldschlösschen-Bier in einem der gemütlichen Restaurants wohl ergehen lassen. Man braucht von „Badisch-Rheinfelden“ aus nur wenige Minuten zu gehen, um jenseits des Rheines Touristen zu begegnen, die sich im Schweizer- und Alemannischen Dialekt, in Französisch, Italienisch oder Englisch unterhalten. Weltoffen geht es zu an der Grenze zur Schweiz. Auf Spaziergängen in Begleitung unserer Mutter, später allein, oder mit Freunden, erschlossen sich mir mit den Jahren viele Winkel unserer geschichtsträchtigen Heimat beidseits des Flusses. Etwas gruselig war es für uns Knaben schon, wenn wir über die obere Brücke des alten Kraftwerkes spazierten und durch die Ritzen der aufgelegten Bohlen unter uns den rauschenden Fluss sehen und hören konnten. Wie befreiend war es dann, wenn wir am andern Ufer angelangt, wieder das beruhigende Summen der Turbinen des Kraftwerkes vernehmen konnten. Ein wenig versetzt, entstand an Stelle des alten, das neue im Jahre 2010 in Betrieb genommene moderne Wasserkraftwerk.In der einen oder anderen meiner Erzählungen, ist zu erkennen, welch tiefe Spuren das Leben mit der Brücke über den Rhein in meiner Seele hinterließ, bis mich der Lebensweg in andere Regionen führte. Dreißig prall gefüllte beziehungsreiche Jahre begleiten mich bis heute.Leben im Dreiländereck
Wer -wie ich- das Glück hatte, lange Zeit den Reichtum an Bergen, Tälern und Seen im südlichen Schwarzwald und die Region am Hochrhein bis zum Bodensee, den Oberrhein bis Straßburg und das Brauchtum der Bewohner, zu erleben, der bleibt diesem „Garten Eden“ tief verbunden. Jedes Mal, wenn wir uns auf späteren Reisen Rheinfelden näherten, konnte ich nur noch alemannisch reden. Über die Brücke zu spaziere, mich vom Rauschen des Flusses bezaubern, oder mit meinen Freunden im Dialekt Erinnerungen auszutauschen, das öffnete mein Herz wie der Klang schöner Musik. Manchmal aber auch, wenn mich die Sehnsucht nach der Heimat und dem alten „Bruggeschtuck“ beim Kastell überfiel und mich zu Versen oder Texten in alemannischer Mundart veranlasste. Freunde rieten mir übrigens bei unserem Aufenthalt in Westfalen dringend davon ab, wie die Münsteraner sprechen zu wollen, denn es wäre aussichtslos, meinen „badischen Zungenschlag“ verbergen zu wollen. Die Leser können daher sicher nachvollziehen, dass echte „Rheinfelder“ auch dem Heimatdichter Johann Peter Hebel verbunden sind, der zu seiner Zeit Gedichte und Prosatexte in alemannischer Mundart schrieb. Den Rhein aufwärts gelangt man zum nahe gelegenen Bad-Säckingen mit dem Fridolinsmünster, den beschaulichen Gassen der Altstadt und der überdachten, erstmals 1272 urkundlich erwähnten Holzbrücke über den Rhein. Es gehörte zu den bescheidenen Vergnügen meiner Mutter, mit mir an Sonntagen diese Stadt zu erkunden. Ich muss abergestehen, dass mein Interesse zu dieser Zeit mehr dem leckeren Kuchen in einem Kaffee als den Sehenswürdigkeiten galt. Meine in Säckingen geborene Schwägerin Marlies und Alice mit ihren Kindern zugewandert, halfen mir, den Charme der alten Fischergasse zu entdecken. Der Dichter Joseph Victor von Scheffel verhalf der Stadt mit seiner Erzählung „der Trompeter von Säckingen“ zu literarischen Ehren. Dem Fluss in Richtung „Schwäbischem Meer“ folgend, verbindet eine Brücke das im Jahre 1173 erstmals urkundlich erwähnte Laufenburg mit den Nachbarn in der Schweiz. Seit dem Jahr 1386 prägt dort die Narro-Altfischerzunft das fastnächtliche Treiben. Tag für Tag nahm ein ehemaliger Kollege die weite Bahnreise hin und zurück in Kauf, um als Buchhalter in Rheinfelden zu arbeiten. Er ließ es sich aber nie nehmen, jedes Jahr an Fastnacht ins Narrenkleid der „Altfischer“ zu schlüpfen. Weiter stromaufwärts lässt sich, wenn man die vielen Touristen nicht scheut, der Rheinfall von Schaffhausen, mit dem in Spektralfarben zerstiebende Gischt aus der Nähe bewundern. Ein Erlebnis, das selbst unsere heran wachsenden Töchter beeindruckte. Singen im Hegau ist nicht nur von den Resten der auf 686 Metern erbauten Festung Hohentwiel bekannt. Auch die Maggi- und Aluminium Walzwerke trugen mit zur Stadtentwicklung bei. Dort wohnte meine Tante Emma mit Sohn und Tochter. Bei ihr verbrachte ich meine Schulferien. Erinnerlich ist mir ihre obskure Kunst des Kartenlesens. Auch eine kleine Reise auf der glatten Holzbank einer Bimmelbahn sitzend, vor allem die auf einem Bahnsteig mit gesundem Appetit verzehrte leckere Wurst mit Brötchen, habe ich bis heute nicht vergessen. Singen erlebte ich aber auch auf andere Weise: Nach einem kurzen Aufenthalt bei meiner Tante, gelangte ich als junger Deserteur nach den Wirren des letzten Krieges nach einem Marsch über den Randen, Waldshut und Säckingen, endlich wieder wohlbehalten bei meiner Mutter in Rheinfelden an. Konstanz am Bodensee und dessen Hafen, liegt in einer mir sehr vertrauten, historisch und landschaftlich reizvollen Gegend des Alpenvorlandes. Das restaurierte Konzilsgebäude erinnert an das bedeutende kirchengeschichtliche Ereignis in den Jahren 1414-1418. Einer meiner besten Freunde stammt aus Konstanz. In ihm und seiner Familie begegnet mir eindrücklich die Bodenhaftung, Lebensfreude und Gestaltungskraft der Menschen am See. Für Konstanz könnte ich mir keinen besseren Werbeträger vorstellen. Orte wie Überlingen, mit Stadtrechten seit 1211, der Günzoburg und dem Münster St.Nikolaus aus dem 14. Jahrhundert, die Inseln Mainau und deren Schloss, Kirche und Gartenanlagen, sowie die Klosterinsel Reichenau mit den romanischen Kirchen aus dem 11.Jahrh undert erkundeten wir näher, als unsere älteste Tochter mit ihrer Familie für längere Zeit in dieser Gegend wohnte. Die bis 1806 ehemalige Reichsstadt Lindau, das Tor zu Österreich und der Schweiz mit seinem Hafen, dem Blick auf den See und die Berge, ist eine Reise wert. Das Münster, die Stadtanlagen, das Theater, Museum, alte Rathaus und ein gut geführtes kleines schwäbisches Restaurant, in dem der Wirt das Glas Most nur randvoll ausschenkt, lernte ich über einige Jahre ausgiebig während der Lindauer Psychotherapie-Wochen kennen und schätzen. Dort wohnte auch meine Tante Sofie. Seit ihrem Tod halten wir mit meinem Cousin Siegfried, einem begeisterten Amateurfunker, und dessen Frau Kontakt Dem Rhein abwärts folgend, gelangt man nach Kaiseraugst in der Schweiz. Ein Römerhaus und das Museum mit seinem Silberschatz bewahren dort die Erinnerung an die im Jahre 45 v.Chr. gegründete, älteste römische Siedlung in der Schweiz. Basel im Dreiländereck aber war und blieb in meiner Heimat bis heute der kulturelle Mittelpunkt. Diese Stadt mit ihrer ehrwürdigen Tradition, dem Münster, alten Rathaus, dem Blick von der mittleren Rheinbrücke auf die Stadt, seinem Kunstmuseum mit der berühmten Holbein-Sammlung, den schönen Konzerten und den ewig schicken, modisch gekleideten Baslerinnen, zog mich immer wieder an. Die zwischen den Vogesen und dem Schwarzwald eingebettete Rheinebene, die schon Goethe in Dichtung und Wahrheit inspirierte, das Elsass mit den vielen romanischen Kirchen, Weinorten und der berühmte Isenheimer Altar in Colmar, erschlossen sich mir aber erst im Lauf der Jahre. Die Reize des Markgräfler Landes und seine erlesene Gastronomie, Freiburgs Münster und die Umgebung der Stadt, das Kloster St.Peter auf der Höhe mit seiner berühmten Orgel, sowie den mittleren und nördlichen Schwarzwald, lernte ich nach und nach während des Studiums und auf späteren Reisen schätzen. Höhepunkt war für mich aber der Aufenthalt in Straßburg. Als wir plötzlich in der engen Gasse vor dem himmelhoch aufragenden Münster standen, war ich sprachlos und konnte dieses Kunstwerk nur noch staunend bewundern. Meine angrenzende Heimat im Dreiländereck Deutschland-Schweiz-Frankreich, bewahrt ein reiches kulturelles und geschichtliches Erbe, dem ich mich verpflichtet fühle. Ich freue mich auf jede Reise in diese vertraute Region. Dass viele Menschen, wie ich, meine nähere Heimat, den südlichen Schwarzwald, die Hornisgrinde, den Feldberg, Titisee und Schluchsee den Hotzenwald und Dinkelberg zu allen Jahreszeiten schätzen, zeigen die Besucherzahlen. Die an Wäldern, Tälern und Flora reiche Gegend Diue Lebensbedingungen, kalten, schneereichen Winter und kurzen Sommer prägten die dort ansässigen Menschen im zu Ende gehenden 19. Jahrhundert. Wer damals hier leben wollte oder musste, brauchte starke Hände, Herz und Ausdauer. Zu Recht bezeichnet man bis heute die mehrheitlich katholischen „Wälder“ als Dickschädel.
Emil und Magdalena
Mein Großvater Emil, Holzbildhauer, 1863 in Todtmoos-Prestenberg geboren, hatte drei Brüder. Er war politisch interessiert und nach dem ersten Weltkrieg als Liberaler Anhänger der Politik Stresemanns. Seine aus dem nahe gelegenen Ort Engelschwand am Fuß der 998 Meter hohen Gugel stammende Frau Magdalena schenkte ihm vier Töchter und drei Söhne. Wie sich meine Großeltern kennen und lieben lernten und wie sie von Todtmoos nach Murg am Hochrhein gelangen bleibt für mich, wie so manches im Leben im Verborgenen.Eine Erbschaft meiner Großmutter ermöglichte aber den Umzug der Familie von Murg bei Säckingen nach Rheinfelden(Baden) und den Kauf eines vierstöckigen Wohnhauses. Die schwere Wirtschaftskrise nach dem ersten Weltkrieg zerstörte aber die Erwartung meines Großvaters, in der aufstrebenden Industriestadt in der Nähe von Basel, eine gesicherte Existenz als Holzbildhauer aufbauen zu können. Er gab aber den Ton an in der Familie. Ich erinnere mich an ihn als einen stattlichen Mann mit langem Vollbart, der stolz seine Uhr an einer Kette in der Weste trug und mich als Kind mit Bananen versorgte. Auf einer Reise vor Jahren erlebte ich noch meine rüstige Großtante Frieda in Todtmoos, die stolz ihren “Kolonial-Laden-Schwald“ führte, in dem es zu kaufen gab, was das Herz begehrte und der Alltag brauchte. Um unterwegs bei Kräften zu bleiben versorgte sie uns, der Sitte gemäß, beim Abschied mit einer ansehnlichen Wegzehrung. mit, um unterwegs bei Kräften zu bleiben. Der Ort wird 1275 urkundlich als Besitz der Habsburger erwähnt. Damals gehörte der Hotzenwald zu Vorderösterreich.
Lorenz und Anna
Mein Großvater väterlicherseits war Stadtbaumeister in Amberg Oberpfalz in Ostbayern. Seine Frau Anna gebar ihm 10 Kinder. Er starb in jungen Jahren. Meine Großmutter Anna konnte nur unter großen Entbehrungen die Kinder erziehen. Sie musste damals um einen Rentenanspruch bei der Stadt Amberg kämpfen. Mein Onkel Hans, der jüngste Sohn berichtete, dass seine Mutter oft selbst auf das Nötigste verzichtete, hungerte und manchmal nachts weinte. Die familiären Umstände erlaubten es mir nicht sie näher kennen zu lernen. Übereinstimmend mit meinem Cousin Volker, der sie auch nicht kennen lernte, waren aber unsere Erfahrungen, dass wir uns in späteren Jahren in Bayern immer wohl fühlten. Ich erinnere mich an eine Reise mit meiner Familie in das 1034 zum ersten Mal urkundlich erwähnte Amberg, mit den noch gut erhaltenen mittelalterlichen Stadtanlagen. Ab 1269 wurde Amberg unter der Herrschaft der Wittelsbacher nach 1329 Hauptstadt der Oberen Pfalz. Im Dreißigjährigen Krieg fiel Amberg 1620 an Bayern und wurde wieder katholisch.
Ein historischer Rekurs
Es bedurfte für mich ein lebenslang aufmerksames Studium der uns alle betreffenden Veränderungen in Politik, Gesellschaft, Kultur, Philosophie und Religion der letzten zweihundert Jahre europäischerGeschichte, um ihr und unser Leben, in den wechselnden Bedingungen unseres Daseins zu verstehen. In einer Familienbibel, die ich in den Händen meiner Großmutter Magdalena sah, zeigt ein Eintrag, dass sie meinem Großvater Emil gehörte. Auch mein Großvater Lorenz und seine Familie haben katholische Wurzeln. Ihr Kreuzweg und alle durchkreuzten, das Böse entfesselnde Treiben in unserer europäischen Familiengeschichte, kann ich nur ertragen, wenn ich auf alle Zeichen der Auferstehung aus Ruinen achte. Ja es gab sie, die entfesselte Gewalt zweier entsetzlicher Bruderkriege. Nicht nur meine Großeltern sondern auch ich haben hier tiefe Wurzeln im heute katholischen Kernland.Mein Großvater mütterlicherseits stammt aus Todtmoos, meine Großmutter Magdalena aus Engelschwand einige Kilometer östlich. An erster Stelle bin ich meiner Mutter Emilie dafür Dank schuldig, dass sie bereit war, mir im Jahre 1929 trotz aller Schwierigkeiten das Leben zu schenken. Als Mutter eines unehelichen Kindes musste sie damals noch mit rigiden gesellschaftlichen Vorurteilen rechnen. In jener Zeit ging es aber noch nicht um Fragen gleichgeschlechtlicher Liebe oder um die Bedingungen zur Adoption von Kindern in solchen Beziehungen. Jugendämter gab es aber schon. Dem Amtsvormund oblag es, die Rechte unehelicher Kinder zu schützen und deren Ansprüche zu unterstützen. In welcher Weise meine Mutter und Vorfahren dazu beitrugen, dass mein Leben gelingen konnte, möchte ich versuchen darzustellen. Ich habe ein Leben lang nie vergessen, welche Liebe und Sorge sie mir und nach der Ehe mit meinem Stiefvater auch meinen vier Jahre jüngeren Bruder Hans erwies. Dankenswerter Weise erlebten wir Betroffenen weder im familiären, noch gesellschaftlichen oder kirchlichen Umfeld je direkte Vorbehalte. Wohl aber habe ich lange Zeit in der Befürchtung tradierter rigider Normen schamhaft über alles geschwiegen. Meine Mutter hingegen und ich selbst haben an den Folgen unehelicher Geburt sehr viel Leid ertragen müssen. Darüber wird noch zu sprechen sein. Betrachten wir nun unsere Verwandten mütterlicher- und väterlicherseits. Die Tatsache dass sie schon alle gestorben sind erleichtert mir eine objektivere Sicht auf ihr Leben undwie ich hoffe die innere Verbindung, um sie in ihrer Eigenart würdigen zu können.Sehr lang ist es schon her, seit ich nach meiner Geburt in der Werderstraße in Rheinfelden(Baden) von Mutter und Großmutter umsorgt, zusammen mit Bruder Hans eine fröhliche aber nicht konfliktfreie Kindheit erleben durfte. Nichts konnte uns unter den Fittichen der beiden Frauen aus der Bahn werfen oder den späteren Zusammenhalt unserer Familie gefährden. Wenn ich als Knabe hungrig war legte die „Großmame“ das Messer an ein Bauernbrot, Schnitt eine ordentliche Scheibe ab und bestrich sie mit Butter und Erdbeermarmelade. Reichlich gesättigt begab ich mich dann wieder auf Entdeckungsreisen in heimischer Umgebung. Mit allen Sinnen schloss ich Freundschaft mit meiner Umgebung. Ab meinem vierten Lebensjahr gehörte Hans mit dazu. Sobald mein Bruder spielfähig war, gehörte er mit zur großen Kinderschar. Nichts entging unseren Blicken und Sinnen. Wir kannten jeden Obstbaum unserer Nachbarn ebenso die Werkstätten der Handwerker, unsere Bäcker, Metzger und Lebensmittelhändler. Wie wuselige kleine Hunde beschnupperten wir das Gras auf den Spielwiesen, ließen uns zur Winterszeit im Licht der Straßenlaternen die Schneeflocken auf der Zunge zergehen oder schlitterten solange auf der Straße bis sich eine Eisbahn gebildet hatte und unsere Hosen steif gefroren waren. Mit den Jahren erprobten wir spielerisch unsere Kräfte in immer größeren Exkursionen. In den Familien der Nachbarn waren wir wohl gelitten. Die Mütter und Großeltern übernahmen damals, als unsere Väter im Krieg waren die Aufgabe, uns Kindern die nötigen Grenzen. Wir waren aber auch gefordert, bei Aufgaben nach unseren Kräften bei Aufgaben mit zu helfen. Tief prägte sich mir die Gestalt und das Wesen meiner Großmutter, deren Frömmigkeit ihr Bibelstudium und das Rosenkranzgebet ein. Durch ihr Vorbild durfte ich erfahren, was es heißt zu lieben und geliebt zu werden. Gott gehörte vor jeder Reflexion wie selbstverständlich zu meinem kindlichen Alltag und diese Glaubenserfahrung hat mich lebenslang begleitet. Wenn sie in der Stille betend auf ihrem Stuhl saß oder mich zur Nacht mit Weihwasser segnete, bestärkte das meine Vorstellung von der Gegenwart eines guten und barmherzigen Gottes. Insofern wurde unsere Großmutter für mich zu einer ersten Glaubenszeugin. Meine kindliche Sehnsucht nach Gott und Eintracht unter einander erfuhr eine für mein Leben grundlegende Bestätigung. Hat das Gott nicht gut gemacht? Alles andere kam dazu. Wenn dann ab und zu unser Pfarrer zu einem Krankenbesuch kam, mit uns betete und ihr die konsekrierte Hostie zur Speise gab, waren das für mich erhabene Momente. Ein kleiner Tisch mit einem Kreuz und zwei Kerzen, war unser Hausaltar. Ich beobachtete staunend und tief berührt das Geschehen. In meinen kleinen Kopf ging es nicht hinein, dass Gott, ein so hoher Gast, in unsere bescheidene Wohnung kam. Wie sehr musste er uns lieben. Der kleine Franz mit 12 Jahren konnte es daher nicht fassen, als dieGroßmutter durch einen plötzlichen Tod in sich zusammenbrach und in seinen Armen starb. Heute, viele Jahre später, ist es für mich sehr tröstlich, zu wissen, dass ich sie wenigstens noch auffangen und vor einem harten Aufschlag auf den Boden bewahren konnte. Ein kleines Dankeschön des nun älter gewordenen Franz für all ihre Liebe und ihr Gebet. Damals aber war ich schlagartig wie zu einer Säule erstarrt. Der überwältigende Schmerz verschloss mir den Mund. Ich sah keinen Weg, wie es nun weiter gehen könnte mit meinen Wünschen zu lieben und geliebt zu werden. So verdrängte ich diesen Schmerz und mit ihm die Erinnerung an meine Großmutter. Der Tod hatte die Nabelschnur kindlicher Bindung an sie unwiderruflich zerschnitten.Das war aber die Voraussetzung dafür, ein Netzwerk anderer Beziehungen zu entwickeln. In dieses Netzwerk gehört die Großmutter ebenso wie meine Mutter, mein Vater und meine Geschwister und alle Menschen, denen ich in meiner Lebensgeschichte bis zum heutigen Tag begegnen durfte. Immer mehr verblasste in späteren Lebensjahren das Bild meiner Großmutter. Es wunderte mich aber, welche emotionale Wirkung damit verbunden war, wenn die Erinnerung an die Großmutter ab und zu wieder auftauchte. Ich vermied es über viele Jahre aus Scham über diesen Verlust zu klagen, um erneut leidvolle Erfahrungen zu vermeiden. Das hat sich allerdings inzwischen deutlich geändert. Heute kann ich den kleinen Franz mit 12 Jahren und seine Reaktion auf den Tod der Großmutter besser verstehen. Er darf nun seinen Verlust, den damit verbundenen Schmerz und sein Herzeleid beklagen und darüber reden. Noch mehr: Franz hat dazu gelernt und ist sich längst bewusst, dass weder die Großmutter noch ein anderer Mensch, seine „unendliche Sehnsucht“ zu lieben und geliebt zu werden stillen und erfüllen kann. Anders ausgedrückt: In seiner kindlichen Liebe zur Großmutter, liebte er ohne es zu wissen, eigentlich auch Gott, unseren Schöpfer. Gott und alles, was er geschaffen hat und sich durch IHN in all Seinen Werken lieben zu klassen, dieses Netzwerk liebenden Austausches bleibt aber auch nach dem Tod der Großmutter erhalten. Es ist das große Netzwerk Gottes und Seiner Kirche indem alle Beziehung von Menschen und Welt enthalten sind, das Ausdruck der Liebe des Dreifaltigen Gottes zu seinen Werken ist, der alle Sehnsucht stillen kann und den zu lieben mir meine Großmutter lernte. Dafür schulden wir allen, die wie sie eine Wegstrecke mit uns gingen unseren Dank. Weil das so ist, möge unsere Großmutter, die schon lange tot ist, ihren verdienten Frieden bei Gott finden. Es ist ja nicht wenig, was sie mir und viele andere Menschen als Vermächtnis hinterließen. Vor allem aber danke ich ihr und allen, die mir durch ihre Frömmigkeit und ihren katholischen Glauben, den Weg zu Gott gewiesen haben Ihren Rosenkranz halte ich heute noch in Ehren. Er liegt unter meinem Kopfkissen. Wenn ich ihn in die Hände nehme erinnere ich mich gern an ihren Segen zur Nacht. So kann ich ruhig schlafen und mich jeden Tag, so lange Gott will wieder fröhlich und neugierig in unserer Welt umsehen. Ich fasse alles in die mir vertrauten Gebete: „Gelobt sei Jesus Christus und Maria mit dem Kinde lieb, uns allen Deinen Segen gib“, zusammen. Übrigens sind seit Jahren viele liebenswerte Verwandte väterlicher- und mütterlicherseits längst längt gestorben. Das hindert mich aber auch nicht ihres Lebens ehrend zu Gedenken und stolz zu sein, zu dieser großen Familie zu gehören. Und sollten sie hoffentlich alle im Himmel miteinander in Frieden vereint sein, so hätte ich nichts Dagegen.Der seit langer Zeit in nahezu allen Medien und von vielen Politikern in unserem Land vertretenen Auffassung, eheähnliche Beziehungen herkömmlichen Familien gleichzustellen, muss ich entschieden widersprechen.