Drei Kerzen

Drei Kerzen Vater
Sohn und Geist
geweiht ein
Gotteszeichen

in der Zeit

Sie mögen brennen
schweigend ein
verglühend Wort
Licht an einem
heiligen Ort

Wie Wetterleuchten
DEINE Spur in Dunkelheit
drei kleine Kerzen nur
DICH preisend zum Geleit

 

 

 

Wünsche

Ich wünsche uns
ein offenes Herz
für Gottes Sohn
auf SEINEM Thron

Doch gefangen
in Bedenken
und ohne Ruh
sind Türen zu

O Gottessohn
groß ist dies Leid
brich DU ein in
unsre Zeit

DEIN Friede
walte weit auf
Erden und in
Ewigkeit

 

Vogelpoesie

Gar lieblich ist es anzuschau´n
das Vögelein auf seinem Baum
Hat nichts Besseres zu tun,
als dort oben aus zu ruh´n.

Um sich blicken, picken, pfeifen
fliegen, und nach kurzen Schleifen,
sitzt es froh auf seinem Zweig
einfach nur zum Zeitvertreib

Vogelgesang

 

Worte Gottes

Von Kindheit an, lange bevor wir sprechen können, hören wir  Geräusche, Töne und Worte: Wenn die Mutter den Tisch deckt und die Teller klappern, dabei ein Lied singt oder mit den Geschwistern spricht, fühlen wir uns in dieser vertrauten Umgebung, sicher und geborgen. Wir lernen mit der Muttersprache, die Bedeutung von Worten und Sätzen. Mit dem Spracherwerb erweitert sich unser Horizont: Wir verstehen Zusammenhänge besser, sind in der Lage, Phänomene von einander zu unterscheiden, und uns in zunehmend komplexeren Kontexten zu orientieren. Nun ist es möglich, uns über unsere Wünsche und Grenzen, über Begriffe, Ziele, Ereignisse und Vorstellungen mit anderen Menschen zu verständigen. Mit Worten erweitern wir nicht nur unser Wissen, sondern klären auch unsere Beziehungen zu Dingen und Menschen. Worte können uns beruhigen, trösten, wie ein »heile Segen!« oder verunsichern, erschrecken und ängstigen.

In unserer Zeit, in der wir mit vielen Worten und Mitteilungen überschüttet werden, ist es besonders wichtig, zu erkennen, welche Weltsicht, in den unterschiedlichen Sprachfamilien tradiert wird. Wenn wir uns gegenseitig verstehen wollen, gilt es, den Dialekt von der Hochsprache, die Alltagssprache von der Fach- und Fremdsprache, zu unterscheiden. Dabei ist es erforderlich, zu berücksichtigen, ob wir uns mit Hilfe der Sprache über empirische und historische Befunde, über Kunst, Literatur und Musik oder über philosophische und religiöse Themen unterhalten. In einem lebenslangen Prozess gilt es, sich mit dem, was wir hören, auseinander zu setzen, um sprachliche Inhalte, die uns täuschen, verwirren, schaden können, von denen zu unterscheiden, die hilfreich, richtig und wichtig für uns sind. In hartnäckigen Diskussionen begegnen uns oft zwei Auffassungen, als handle es sich dabei um »feindliche Brüder«, die nicht zusammen- finden können: Die Naturwissenschaften, die weitgehend von der Vorstellung ausgehen, wir könnten mit geeigneten Methoden alles erforschen, und mit Wahrscheinlichkeit das, was gültig, richtig und wahr ist, von dem zu unterscheiden, was falsch und zu verwerfen sei, und betrachten die Frage, warum es sie und ihre Forschungsgegenstände gibt, als irrelevant. Ausgeblendet werden meistens auch die Fragen, ob alles was erforscht werden kann, noch zu bezahlen, sowie ethisch und sittlich zu vertreten ist. Der immer spezifischere Blick empirischer Wissenschaften auf ihre Disziplin, führt schließlich dazu, dass es im Laufe der Zeit immer weniger Spezialisten gibt, die sich in ihren Fachgebieten noch auskennen. Die ganzheitliche Betrachtung der Lebenskontexte hingegen, schwindet. Im Interesse von uns allen und der Forschung, isunverzichtbar, dass die in den Geisteswissenschaften tradierte Frage: »Warum gibt es das alles und nicht nichts?«, und damit der Blick auf das »Ganze« nicht verloren geht. Es mag die empirischen Forscher zwar enttäuschen, wenn ihr Anspruch, das Maß aller Dinge zu sein, bestritten wird. Um die unantastbare Würde des Menschen als Person, seine Stellung und Verantwortung im gesamten Lebenskontext des Makro- und Mikrokosmos zu verstehen, muss aber über seinen Gestaltungsspielraum und die Grenzen, über seine Macht und Ohnmacht, über Leben und Tod, die in allem waltenden Geheimnisse und die Sehnsucht nach Vollendung in Gott gesprochen werden.

Offensichtlich sind Worte eingebettet in sprachgeschichtliche Kontexte, von denen her sie ihre Bedeutung bekommen. Das gilt sowohl für die Natur- als auch für die Geisteswissenschaften. Beide Betrachtensweisen sind unentbehrlich und bedürfen gegenseitiger Ergänzung. Dies umso mehr in einer Zeit, in der man vielfach davon ausgeht, eine geisteswissenschaftliche Erforschung der Phänomene erübrige sich. Es gilt daher, immer wieder neu, in den geschichtlichen Epochen aufzuzeigen, dass die unterschiedlichen Standpunkte Schaden nehmen müssten, wenn sie nicht durch die jeweils andere Auffassung ergänzt und bereichert würden. wir müssen leider feststellen, dass bei einem unheimlich anmutenden Wachstum an Wissensbeständen, die Fähigkeit der Menschen, zur kritischen Analyse der Meinungsvielfalt, eher zu schwinden scheint. Hinzu kommt, dass die Sensibilität für den Reichtum an sprachlichen Ausdrucksmitteln, und damit die Bereitschaft zu kultiviertem Sprechen und Hören abnimmt. Differenziertes Hören und Verstehen von Worten und Sätzen im jeweiligen Sprachkontext, und die Fähigkeit, sich adäquat auszudrücken, sind aber notwendig, wenn beispielsweise Worte und Sätze in philosophischen, theologischen oder religiösen Kontexten, wenn letztendlich »Worte Gottes«, sinngemäß verstanden werden sollen.

Die Pflege der Sprache als Medium, um deren Bedeutung und Wandel in theologischen und religiösen Inhalten, vom Gebrauch in anderen Sprachspielen zu unterscheiden, können wir durch einen Vergleich der Überlieferungs-Traditionen beobachten. Auch die Katholische Kirche und deren Verkündigung, sind nicht abgeschottet vom normalen Leben, führenden wissenschaftlichen Erkenntnissen, und deren prozessualen Veränderungen: Wir können das besonders deutlich an dem Bild ablesen, das sie vor, während und nach dem zweiten Vatikanum darbot. Unser gütiger Papst, Johannes der XXIII, würde sich schon ein wenig wundern, wenn er sehen könnte, dass das von ihm angestoßene Aggiornamento nicht nur ein lindes Frühjahrslüftchen, sondern auch manchen Wirbelwind auslöste. In unserem Zusammenhang werden wir uns aber auf den Gebrauch der Sprache beschränken:

Vor dem zweiten Vatikanum, war es noch weltweit gängige Praxis, die Heilige Messe in lateinischer Sprache zu feiern. Der Priester zelebrierte in dieser Ordo, nach Osten gewandt, mit dem Rücken zur Gemeinde. Wenn der Gläubige verstehen wollte, was er sagte, musste er Latein beherrschen oder sich der Übersetzungshilfe, des damals üblichen »Schotts«, bedienen. Lediglich die Predigt gab Aufschluss darüber, was im Kirchenjahr, gerade jetzt, gefeiert wurde. Vom sprachlichen Zugang zu den Texten abgesehen, blieb dann immer noch die Schwierigkeit, den Inhalt der Aussagen richtig zu verstehen. Nach dem zweiten Vatikanum, mit der Einführung der Volkssprache, konnten alle Gläubigen der jeweiligen Sprachregion, wie im evangelischen Gottesdienst, das »Wort Gottes« unmittelbar hören, und in der eigenen Sprache verstehen. Die Bedeutung der Sprache zum Mitvollzug der Liturgie und Verkündigung, wurde zudem in der Messe rituell mehr als bisher hervorgehoben: Der Priester trägt heute in der Regel, beim Einzug in den Kirchenraum, das Evangeliar hoch erhoben, über si, und für alle Gläubigen sichtbar, zum Altar. Die Verehrung gilt, wie der konsekrierten Hostie in der Monstranz, nun auch dem im Wort verkündigten, gegenwärtigen Herrn Jesus Christus, der uns immer wieder neu, wie den Emmaus-Jüngern den Sinn der Schrift erschließt.

Man kann die Heilige Schrift als eine historische Tatsache, was sie im Kern auch ist, beschreiben und verstehen wollen. Damit bleibt aber  eine gewisse Distanz zur Botschaft Jesu und den Jüngern bestehen, die diese Botschaft anzunehmen lernten. Wenn man aber »Gottes Worte« als eine Liebesgeschichte Gottes mit den Menschen aller Epochen, bis zum Ende der Zeiten versteht, erschließen sich, unabhängig von der verwendeten Sprache, immer wieder neue Aspekte: Ich erinnere mich, dass ich während der Gottesdienste, bei Vorträgen, oder gelegentlich beim Studium der Heiligen Schrift, so von Szenen ergriffen wurde, als wären sie für mich geschrieben. Die Worte gingen  mir unter die Haut, direkt zu Herzen. Ich meine begriffen zu haben, warum mir in solchen Situationen, Textstellen so nahe kommen. Es sind eben nicht nur Geschichten über Jesu Beziehung zu den damaligen Augen- und Ohren-Zeugen, die uns die Evangelien berichten. Wir hören nicht nur Erzählungen, mit einem historisch verbürgten Kern, wie es damals war. Der Sinn der Geschichten geht weit darüber hinaus! Beim betrachtenden Studium der Begegnungen Jesu mit den damaligen Menschen, wird eine historische Distanz gerade zu überwunden. Es kommt zu einem geisterfüllten, lebendigen Dialog; zu einer Begegnung des gekreuzigten und auferstandenen Herrn mit Dir und mir. Zugleich werden die Menschen, die in der Begegnung mit dem Herrn zu Jüngern und Zeugen dieses Geschehens wurden, auch aus einer historischen Erstarrung befreit. In Ihren Begegnungen mit dem Herrn treten sie an meine und Deine Stelle. Du und ich, wir sind gemeint. Die Geschichten holen uns in die immer währende Liebesbeziehung des Herrn zu uns ein. Wir beginnen von da her neu zu verstehen, warum uns die von der Kirche in unserer Sprache verkündigte frohe Botschaft immer wieder zu Herzen geht. Bei allem zeitlichen Abstand unseres Hier und Heute zum Dort und Damals, den ersten Begegnungen der Jünger mit dem Herrn, besteht im Heiligen Geist, eine uns immer wieder überwältigende Erfahrung, die uns Menschen von Heute ins Spiel bringt: Hierfür mögen einige Beispiel stehen:

Maria sitzt an meiner Stelle und ich sitze mit Maria, dem Herrn zu Füßen, der versichert, sie habe, wenn sie das tue, den besseren Teil  erwählt. Ebenso bin ich die geschäftige Martha, deren Fürsorge nicht zurückgewiesen wird, die aber lernen muss, dass die Liebe Jesu nicht verdient werden kann, sondern reine Gabe, reines Geschenk, und an keine Vorbedingung geknüpft ist. Wer kennt nicht den »Zachäus«, der auf einen Baum klettert, weil es ihn drängt, den Herrn sehen zu wollen, da er „klein“ von Gestalt ist. Und ER, der Herr, bemerkt ihn, holt ihn herunter, stellt ihn auf die Füße, und sagt ihm die schönen Worte, dass ER heute noch bei ihm einkehren wolle. Ich bin auf meine Weise auch der Schächer am Kreuz, der nicht zulassen kann, dass der mit ihm gekreuzigte Verbrecher, den unschuldigen Herrn verspottet. Der darauf hin die Zusage erhält: »Heute noch wirst Du bei mir im Paradiese sein! « Auch diese Zusage des »heute noch« gilt uns, wenn und wir nicht zulassen können, dass ER, der absolut GUTE, verspottet wird. Ich komme aus einer St. Josefs Pfarrei: Jesus, Maria, Josef. Die heilige Familie, und in der Nachfolge die »Katholische Kirche« weltweit, ist heute meine Familie, mein Zuhause. In dieser Kirche habe ich, mit anderen Menschen zusammen, in der Feier der heiligen Geheimnisse und des weltumspannenden Gebetes, meinen Platz und meine »priesterliche Aufgabe«. In brennender Sorge bete ich mit unserem Papst, Bruder Franziskus, dass der Herr im Heiligen Geist unsere große Familie segne, bewahre und nach Gottes Willen zur Vollendung führe. Zu Johannes unterm Kreuz spricht ER: »Sieh da, Deine Mutter! Und zur Mutter Jesu: «Sieh da Deinen Sohn!« So bin ich auch wie die Gottesmutter, die alle Geheimnisse des Glaubens in ihrem Herzen bewegt und bewahrt, die den Gottes-Sohn zur Welt bringt, das Wachstum des Glaubens und das Wohl und Wehe ihres Sohnes bis unter das Kreuz und in die Geheimnisse der Auferstehung und Geistsendung begleitet. Sie, die Fürsprecherin und Mutter der Kirche, ich der Kirche in mütterlicher Treue verbunden. Ich bin ebenso Johannes, der unter dem Kreuz in Trauer und Schmerz verstummt und sich der Gottesmutter anvertraut. Es schmerzt, auch der verlorene Sohn zu sein, der alles durchbrachte, bis er sich nur noch von den Schoten, die man den Schweinen vorwarf, ernähren konnte. Der dann umkehrte. Den der Vater längst erwartete, um ihn in die Arme zu schließen. Der ein Mast Kalb schlachtet und ein großes Fest feiert, weil ER SEINEN Sohn wieder gefunden hat.

Dies sind nur einige Beispiele, die zeigen sollen, wie aktuell die Heilige Schrift, die Frohe Botschaft für mich und für uns alle immer war und bis zum heutigen Tag geblieben ist. Sie liegt längst in verschiedenen Ausgaben, als ein Trostbuch, eine Frohbotschaft, zu frommem Gebrauch auf meinem Schreibtisch. Wie sehr das Evangelium aber auch unsere Liebes- und Berufungsgeschichte mit dem über alles GELIEBTEN erzählt, ist mir heute wieder ein Stück weit deutlicher geworden. Herr erbarme Dich, so singen wir ab und zu im Gottesdienst. Dieser Bitte um Erbarmen, antwortet die Heilige Schrift. Sie ist die anschauliche, ewige Liebesgeschichte Gottes mit seinen Jüngern damals, und durch alle Zeiten, auch mit Dir und mir. Diese »Worte Gottes« übertreffen wahrhaft alle Vorstellungen.

 

 

 

 

 

 

Tagesgebet

O Gott der alles schuf und
lenkt DU hast uns diesen
Tag geschenkt.

Wir loben danken preisen
DICH für DEINE Gaben
gnädiglich

DU bist’s der alles was
es gibt von Ewigkeit
unendlich liebt.

Der im Wunder SEINER
Kraft uns erhält und Leben
schaft

Hilf DEINE Liebe DEIN
Erbarmen zu teilen mit
Reichen und mit Armen

Lass uns folgen DEINEN
Lehren und DIR mit allem
angehören

Vergib uns Sünde Hass
und Schuld durch DEIN
Verschonen DEINE Huld

Und lass uns DEIN Erbarmen
Trost und Segen allen
weitergeben.

Lass uns mit Danken und
Lobsingen DIR freudig
unsere Gaben bringen.

O Sonne der Gerechtigkeit
führ uns durch Zeit zur
Ewigkeit.

Erde singe dass es klinge
laut und stark DEIN
Jubellied

Himmel alle singt zum
Schalle dieses Liedes
jauchzend mit.

Singt ein Loblied Eurem
Meister preist IHN laut ihr
Himmelsgeister.

Was ER schuf was ER
gebaut preis IHN  laut

Dankgebet

Meditation

Herr und Gott, DU Vater unser Schöpfer, mit dem Sohn unserem Erlöser, und dem Heiligen Geist, unserem Beistand, begleite meine Worte mit DEINEM Licht. DU EWIGER, den Himmel und Erde nicht fassen, DU einziger Gott JAHWE, der ICH BIN der ICH BIN DA. Immer und ewig bist DU, vor aller, in aller Zeit, und in Ewigkeit. DU Alpha das alle Zeiten zeitigt, DEINEN Geschöpfen Leben schenkt, und als Omega deren Ende und Ziel bestimmt, Du seist hochgepriesen und gebenedeit. DU der LEBEN gewährende, dreimal heilige Herr und Gott, bist vor aller Zeit, in allen Zeiten, und nach aller Zeit, immer und ewig der gegenwärtige. und allmächtige ICH BIN der ICH BIN DA. Alle Zeiten und Geschöpfe im Himmel und auf Erden verdanken DIR ihr Dasein und Leben, und verneigen sich in Ehrfurcht und Anbetung vor DIR. Unser Herz, Leib, Verstand, Geist und Seele, jubeln auf, in DIR o Gott: Keine Macht der Welten, weder satanische Bosheit oder Tod, können DICH, ewiggütige, barmherzige, unendliche Liebe, und die geheimnisvollen Pläne DEINER göttlicher Gnade zerstören. Vater unser, der DU bist im Himmel, geheiligt werde DEIN Name, DEIN Reich komme, DEIN Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gib uns heute, und vergib unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldnern, und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn DEIN ist die Kraft, die Macht, und die Herrlichkeit, in Ewigkeit. Amen.

Sonne der Gerechtigkeit gehe auf in dieser Zeit.

 

St.Pirmin-Erinnerung

Das Spätberufenen-Seminar St. Pirmin in Sasbach, hatte im April 2009 zum 50-jährigen Bestehen eingeladen. Aus diesem Anlass feierten wir ehemaligen Abiturienten, Lehrer und die heutigen Schüler, mit dem Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, einen Dank-Gottesdienst. In erfreulich großer Zahl kamen die Geladenen. Die festlich geschmückte Kirche reichte nicht aus, um »Pirminern und Lehrern« Platz zu bieten. Eine Bild- und Tonübertragung ermöglichte es aber, allen Gästen an der Eucharistiefeier teilzunehmen. Der christlich-humanistische Geist, der Schüler und Lehrer bis zum heutigen Tag verbindet, lässt hoffen, dass St. Pirmin auch in Zukunft eine prägende, katholische Bildungseinrichtung bleibt. Wir ehemaligen Schüler begrüßten daher die feste Zusage des Erzbischofs, und Vorsitzenden der Deutschen-Bischofskonferenz, das Seminar auch in Zukunft zu erhalten und zu fördern. Kräftiger Beifall drückte Dank, Verbundenheit mit unserer Schule, und die Hoffnung, auf deren weiteres segensreiches Wirken unter dem Schutz St. Pirmins aus.  Prof. Dr. Münk, ein Klassenkamerad, übernahm es, in seinem Festvortrag aufzuzeigen, wie dringlich wissenschaftliche Beiträge zur aktuellen Werte- und Ethikdiskussion in unserer Gesellschaft aus christlicher Sicht sind. Auch seine Laufbahn als Hochschullehrer, nahm einmal, wie bei uns allen, ihren Anfang mit dem Abitur in Sasbach.

 

Vor Jahren verabschiedete sich unser Kurs mit dem Reifezeugnis in Händen, von St. Pirmin. Unvergesslich blieb aber die Zeit, die wir in tragender Gemeinschaft auf dem Weg zum Abitur in Sasbach erlebten. Es sind Freundschaften entstanden, die sich auch in den Jahren danach bewährten, und uns mit einander und allen, die uns halfen, dieses Ziel zu erreichen, verbinden. Eine Inschrift über der Heimschule Lender, die jeder Pirminer kennt, bringt das Wesentliche auf den Punkt. Sie lautet in goldenen Lettern: »INITIUM SAPIENTIAE TIMOR DOMINI«. Lange bevor das Spätberufenen-Seminar gebaut wurde und auch noch heute, grüßt dieser prägnante Text den Betrachter. Er begegnete mir zum ersten Mal, als ich 1962 mit zweiunddreißig Jahren, in die Untertertia von St. Pirmin eintrat. Diese Inschrift, die wir mit zunehmenden Kenntnissen in Latein verstehen lernten, hat nichts von ihrer Kraft und Bedeutung verloren. Bei jedem Aus- und Eingang, so wie jetzt, anlässlich des 50. Jubiläums, geht der Blick nach oben zu den Worten, die wie ein Wegweiser, der Heimschule Lender und St. Pirmin die Richtung vorgeben. Man möge es mir nachsehen, wenn ich bei dem großen zeitlichen Abstand mit einem freundlichen Blick auf unser ehemaliges »zu Hause« schaue, und wenig Anlass zur Kritik empfinde. In unseren Gesprächen mit einander und den Begegnungen bei den Jahrestreffen der Pirminer, wurde immer wieder deutlich, wie viel wir ehemaligen Seminaristen Sasbach verdanken.  Mit dem Satz: »Sasbach, ein kleiner Ort in der Rheinebene«, lernten wir im Deutsch-Unterricht die Bedeutung einer Apposition kennen, mit deren Hilfe näher bestimmt wird, wo Sasbach liegt; eben nicht auf der Höhe wie „Sasbachwalden“, sondern zu Füßen der Berge in der Nähe von Achern in Mittelbaden. Der Ort mit katholischer Kirche ist landwirtschaftlich geprägt und kann mit einigen Gasthäusern aufwarten, deren reichliches Angebot an Speisen und Weinen Pirminer und Besucher zu schätzen wissen. In der Ortsmitte, etwas abseits der belebten Straße, unweit des Friedhofes, lag der langgestreckte, rechteckige Bau des Seminars. Über eine einladend breite Treppe gelangte man durch die meist offene Pforte zu den vielen, zweckmäßig eingerichteten Zimmern der Seminaristen. Zu unserer Zeit befand sich im Eingangsbereich ein Mosaik, das den Patron des Hauses, »St. Pirmin«, darstellte, der zu seiner Zeit segensreich im Süden Deutschlands wirkte, und einige Klöster gründete. Im Untergeschoß lud eine kleine Kapelle mit Tabernakel, zu Gebet und Meditation ein. In Silber getrieben, zeigte dort Johannes der Täufer mit ausgestrecktem Arm, auf den, der nach ihm kommt. In einigem Abstand davon, befand sich unser oft gut frequentierter Gemeinschaftsraum, in dem wir auch mit Seminaristen aus anderen Kursen ins Gespräch kamen. Fuhr man mit dem Auto in einer kleinen Schleife vor das Seminar, dann stand man direkt vor dem Wohnhaus des Rektors und dessen Diensträumen.

Die lange Zeit der Vorbereitung auf den Eintritt in das Seminar, verbunden mit der bangen Frage, ob ich die Aufnahmeprüfung bestand und die Zustimmung des Erzbischöflichen-Ordinariats in Freiburg erhielt, war zu Ende. Es fiel mir ein Stein vom Herzen, als ich die Postkarte mit dem Bild des Gebäudes und der Nachricht von Rektor Oberle in Händen hielt, mich am 2. Mai 1962 in Sasbach einzufinden. Am gleichen Tag wurde ich in Abwesenheit, nach über fünfjähriger Tätigkeit als Stadtrat in Rheinfelden (Baden), aus dem dortigen Gremium verabschiedet. Es schien mir im Hinblick auf meinen Berufswunsch durchaus nützlich, über kommunalpolitische Erfahrungen zu verfügen. Wir »Neuen« begannen unseren gemeinsamen Weg, wie später nach jeder Rückkehr aus den Ferien, mit einer Statio zusammen mit Rektor Oberle vor dem Pirmin-Mosaik im Eingangsbereich des Seminars, und begrüßten dann einander. Die zunächst überraschende Tatsache, dass ich bedeutend älter war, als die anderen Seminaristen, spielte im Alltag bei ähnlichen Aufgaben und Problemen, bald keine Rolle mehr. Ich richtete mich in dem mir zugewiesenen Zimmer ein, und fand einen gut einsehbaren Platz für das Geschenk meiner ehemaligen Kollegen einer Bauunternehmung: Eine als Kreuzigungsgruppe gestaltete Wandtafel aus Bronze. Anderntags nahmen wir zum ersten Mal am Unterricht teil. Alles war bestens vorbereitet. Dies galt übrigens für die ganze Schulzeit. Zum Stil der Schule, gehörte eine präzise Planung, die es ermöglichte, nach längeren Unterbrechungen, wieder punktgenau und ohne Störungen, mit dem Unterricht zu beginnen. Ob unsere Lehrer, nach längerem Urlaub, tatsächlich so ausgeruht und frisch waren, wie sie uns erschienen, bleibt deren Geheimnis. Bei uns Spätberufenen war der erste Schultag von gemischten Gefühlen und der Frage begleitet, was auf uns zukomme? Wir konnten uns die Lehrer ja nicht aussuchen. Würden sie sich auf uns und wir so auf sie einstellen können, dass mit günstigen Bedingungen zum Lernen zu rechnen wäre? Aus unterschiedlichen beruflichen Aufgabenbereichen, schlüpften wir Spätberufenen ja fast übergangslos wieder in die Rolle von Schülern, die sich auf die ersten Klassenarbeiten vorbereiteten und gespannt waren, ob das Leistungsvermögen ausreichte, um dem Unterricht folgen zu können. Ich beruhigte mich aber wieder, als ich mit einem ersten, ordentlichen Zeugnis, in die anstehenden Sommer-Ferien entlassen wurde.

Mit Rektor Oberle hatte ich während der Jahre in St. Pirmin oft Gespräche zu führen. Meine damalige Aufgabe als Klassen- und Haussprecher gab dazu Anlass. Unsere persönliche Beziehung war von Respekt und Wohlwollen getragen, das auch seine Schwester einschloss, die ihm den Haushalt führte. Rektor Oberle war für uns in seiner unaufdringlichen Präsenz, ein priesterliches Vorbild, der unser Wohl und Wehe beständig im Auge behielt. Wir schulden ihm alle Dank dafür, dass er, wie ein guter Kamerad, auf Schritt und Tritt an unserer Seite ging. Im anregenden, lebendigen Religionsunterricht, lernten wir ihn näher kennen. Er hatte für unsere Probleme und schulischen Sorgen stets ein offenes Ohr, und ließ selbst dann, wenn ihm Grenzen gesetzt waren, Verständnis und Anteilnahme für uns spüren. Rektor Oberle bestätigte im Schulalltag, dass man mit ihm für den Dienst in St. Pirmin eine gute Wahl getroffen hatte: Als Erster spazierte er morgens um unser Haus. Wir konnten sicher sein, dass er unsere Anliegen in sein Breviergebet einschloss. Wenn ich spät abends, müde und ausgelaugt, in der Hauskapelle vor dem Allerheiligsten kniete, um dem Herrn Freude und Not anzuvertrauen, kam er still und leise, wie es seine Art war, und kniete sich als Letzter hinter mich. In diesen stillen Stunden habe ich unseren Rektor lieben und schätzen gelernt, und mich später oft an unser gemeinsames Beten erinnert. Nie ergab sich die Notwendigkeit oder Gelegenheit, ihm zu sagen, wie viel er mir als Freund und Priester bedeutete. Konnte ich doch, ohne seine reale Präsenz, so wie jetzt, oft ein tröstendes Wohlwollen spüren, als bete er einfach, wie früher, still und leise hinter mir. Ich schaue aus dem Fenster und sehe ihn kommen: Mit raschen, zügigen Schritten, strebt ein schlanker, sportlich wirkender Mann, in aufrechtem Gang der Wohnung von Rektor Oberle zu. Dieser erwartet ihn mit einem einladenden Lächeln. Eine Position, die zu unserem Rektor passte; bei offener Türe auf der Schwelle zu stehen, und dem Gast einen Schritt entgegen zu kommen. Der Besucher, mit auffallend kurzem Haarschnitt und akkurat gezogenem Scheitel, trägt eine Aktentasche bei sich. Man hätte ihn für einen Offizier in ziviler Kleidung halten können, der zum Rapport strebt. Die Begrüßung der Beiden war kurz und herzlich. Ihre Gesten vermittelten den Eindruck, als ob sie sich gut kannten und in ihren Angelegenheiten an einem Strang zogen. Die nachfolgenden Begegnungen und Erfahrungen mit Dr. Guldenfels, unserem schulischen Leiter, bestätigten diesen ersten Eindruck: Es sprach sich unter allen Seminaristen herum, dass er fähig und bereit war, uns schulisch so zu fördern und zu fordern, dass wir Lust bekamen, mit einander um die Plätze zu rangeln, unser Leistungsvermögen zu erproben und einzusetzen. Er blieb sich und seinem hohen Anspruch, uns Spätberufene mit dem bestmöglichen Rüstzeug zu einem erfolgreichen Studium auszustatten, treu. Am guten Ruf des Seminars und an den ausgezeichneten Ergebnissen der Abiturienten St. Pirmins, hat unser schulischer Leiter, sein kompetentes Lehrerkollegium und Rektor Oberle, erheblichen Anteil. Dr. Guldenfels übernahm zu all seinen vielfältigen Aufgaben als Schulleiter, während vieler Jahre die Redaktion des »Sasbacher«. In unserer Schulzeit und in den Jahren danach, half uns dieses jährlich erscheinende Buch, das Geschehen in der Heimschule Lender und in St. Pirmin zu verfolgen. Die vielen, von ihm selbst geschriebenen Artikel, gaben Einblick, wie sehr er seine Kollegen schätzte, die konzeptionelle Entwicklung der Schule förderte, seine vielfältigen Interessen einbrachte, und auf eine repräsentative Darstellung gesellschaftlicher Ereignisse im Schuljahr Wert legte. In allen, »meist kurzen Gesprächen«, die wir mit einander führten, erwies sich Dr. Guldenfels als engagierter, wertebewusster, katholischer Christ, der seinen Aufgaben verpflichtet, wenig Neigung verspürte, von sich selbst zu sprechen. Umso mehr verstand er es, in seinen Beiträgen und Nachrufen, die Fähigkeiten und Verdienste der Menschen zu würdigen, die sich im Geiste des Gründers der Heimschule, »Xaver Lender´s«, in der Förderung der Schüler ausgezeichnet hatten. In der Festschrift: »25 Jahre Seminar St. Pirmin (1959-1984)« empfahl er den Seminaristen, alle körperlichen und seelischen Kräfte zu wecken, und sich mutig den Aufgaben des Tages zu stellen. Die Worte des heiligen Thomas von Aquin in der Sequenz des Fronleichnamsfestes: »Quantum potes, tantum aude!« sollten Devise für sie sein. Eine Geisteshaltung, die nicht nur Spätberufene beflügeln könnte. Eine Begegnung mit Dr. Guldenfels, sprengte den üblichen Rahmen: Es war unter uns Seminaristen bekannt, dass er großen Wert darauflegte, alle zum Abitur gemeldeten Schüler, mit möglichst optimalen Ergebnissen zu diesem Ziel zu führen. Wir besprachen uns daher im Kurs und waren unsicher, ob einer unserer Freunde dazu zählen würde. Auf unsere dringende Bitte hin, war der Schulleiter zu einem Gespräch mit uns bereit. Wir verwiesen in einem »herben Dialog unter Männern« nachdrücklich auf die Stärken unseres Freundes, und den unverzichtbaren Wunsch des Kurses, unseren Klassenkameraden zum Abitur zuzulassen. Er wurde zugelassen und schaffte die Reifeprüfung, wie wir es erwartet hatten.

Mit der Entscheidung, das Abitur nachzuholen, hatte sich unser Leben nicht total verändert. Es dauerte jedoch eine Weile, bis uns die Aufgaben eines Seminaristen in Schule und Alltag vertraut waren. Durch Gespräche in den Ferien konnten wir erfahren, dass auch die Menschen im heimatlichen Umfeld an unserem Vorhaben regen Anteil nahmen und -wie wir- Zeit brauchten, unsere Absicht, Priester zu werden, zu verstehen. Es war ermutigend, zu erleben, dass fromme Christen hinter uns standen, die mit und für uns beteten und Hoffnungen auf uns setzten: Manchmal kam die eine oder andere Frau etwas verlegen auf mich zu und übergab mir einen Umschlag mit Geld. Andere Personen äußerten Respekt vor unserer Entscheidung und interessierten sich für die Schule, und das vor uns liegende Studium. Ich war als ehemaliger Stadtrat ja gewöhnt, mit vielen Menschen im Gespräch zu sein, sodass ich es verstehen konnte, öfters angesprochen und zu meinem Vorhaben befragt zu werden. Ich sitze nach den Ferien wieder im Zug Richtung Achern, mit einem großen Koffer, den meine Mutter, wie immer, fürsorglich mit Wäsche und Kleidung für die nächsten Wochen füllte. Die Gedanken fliegen erwartungsvoll voraus: Ob ich die Vokabeln genug wiederholt hatte? Dies würde sich ja in den nächsten Latein-Stunden herausstellen. Wie es meinen Klassenkameraden in den Ferien ergangen ist, werde ich sicher bald erfahren. Was wird im Unterricht auf uns zukommen? Ein mulmiges Gefühl legte sich bei den letzten Überlegungen kurzfristig wie ein Schatten auf die Magengegend. Dann aber obsiegte die Vorfreude, alle Freunde wieder zu sehen und näher kennen zu lernen. Ich leistete mir den Luxus, mit dem schweren Koffer in einem Taxi vom Bahnhof Achern nach Sasbach zum Seminar zu fahren. Unser Rektor stand unter der Türe seiner Dienstwohnung. Ein Lächeln auf seinem Gesicht ließ erahnen, dass wir erwartet werden. Der Hirte konnte sich entspannen, denn alle seine Schafe kamen wohl behalten zurück. Es herrschte wieder ein reges Treiben im Seminar. Wir räumten unsere Koffer aus, richteten uns in der vertrauten Umgebung wieder ein, und begrüßten uns gegenseitig. Es gab viel zu erzählen. Wir wunderten uns nur das erste Mal, dass am Tag nach den Ferien, der volle Unterricht wieder störungsfrei, und ohne Unterbrechung begann. Von der arbeitsintensiven Planung und Vorbereitung, die wir der Schulleitung zugutehalten müssen, bekamen wir nichts mit. Unsere Lehrer wirkten jedenfalls erstaunlich frisch. So war es möglich, unseren in den Ferien weniger angestrengt arbeitenden Gehirnen nach zu helfen und uns in kürzester Zeit wieder an konzentriertes Denken und Arbeiten zu gewöhnen.

Unser Lehrerkollegium bestand, ohne Ausnahme, aus sehr fähigen Pädagogen, die es gut verstanden, mit älteren Schülern zu arbeiten und uns zu fördern. Galt es doch, der Kurzschuljahre wegen, uns in nur fünfeinhalb Jahren auf die Reifeprüfung vorzubereiten. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, möchte ich mit einigen markanten Szenen, einen Einblick in unseren Schulalltag und das Leben in St. Pirmin gewähren. Es sollte aber vorab darauf hingewiesen werden, dass an unserer Schule vor allem auf die geisteswissenschaftlichen Fächer wie Latein, Griechisch, Deutsch, Geschichte und Religion, Wert gelegt wurde. Dies bedeutete aber keineswegs, dass naturwissenschaftlicher Unterricht wie Mathematik, Physik, Chemie und Biologie, zu kurz gekommen wären. Selbst das Fach Bildende Kunst war mit Toni März, einem regionalen Künstler, hervorragend besetzt: Unser temperamentvoller Kunstlehrer war mittelgroß. EineBaskenmütze, sein Erkennungszeichen, die er beständig über seinem schlohweißen Haar trug, unterschied ihn auch äußerlich von seinen Kollegen. Toni März wirkte mit seinen lebendigen Augen, dem ausdrucksstarken, von einem weißen Bart umrahmten Gesicht, den lebhaften Bewegungen seiner Arme, filigranen Hände und Finger, mit denen er seine Worte unterstrich, selbst wie ein ansprechendes Kunstwerk. Wenn er ihn interessierende Fragen beantwortete, lebte er förmlich auf, war mit Leib und Seele bei der Sache und ließ sein umfangreiches Wissen über gesellschaftliche, politische, religiöse und künstlerische Zusammenhänge aufblitzen. Er war in seinen verbalen Erklärungen genau so kreativ und anregend, wie in seinen Bildern. Manchmal ergaben sich im Kunstunterricht so anregende Gespräche, dass wir, um nichts zu versäumen, freiwillig auf die uns zustehende Pause verzichteten. Toni März verstand es auf vielfältige Weise, unsere eigenen Interessen an Kunst zu wecken und zu fördern. Dr. Zimmermann, einen pensionierten Lehrer der Heimschule Lender, lernte ich erst in Sasbach näher kennen. Einer seiner Neffen, der mir aus der Zeit in Rheinfelden bekannt war, machte mich auf ihn aufmerksam, sodass ich ihn in seiner Wohnung gelegentlich besuchte. Er war damals hoch betagt, von eher gebrechlicher Gestalt, und trug einen etwas schütteren, weißen Vollbart, der mich an einen greisen Chinesen erinnerte. Trotz diverser körperlicher Beschwerden, war ihm eine bemerkenswerte, geistige Frische zu eigen. Wenn ich ihn besuchte, lag er meistens auf seinem Sofa, umgeben von Büchern seiner reichhaltigen Bibliothek und war damit beschäftigt, als Lektor der Schule, Texte zu bearbeiten. Im anregenden Gespräch mit mir, war er oft so engagiert, dass ich den Eindruck gewann, sein ganzer Körper vibriere mit und verstärke Worte und Sätze. Er entließ mich nie, ohne mich reichlich mit Nüssen zu versorgen, die er als »Gehirnnahrung« empfahl. Über seinen Neffen hatte ich erfahren, dass er im ersten Weltkrieg als Meldegänger eingesetzt war und sich zeitlebens gern bewegte. Wenn er in der Nähe der Schule auf seiner »Rennstrecke« Richtung Turenne – Denkmal in kleinsten Schritten unterwegs war, seine Taschenuhr in Händen, um die Zeit zu nehmen, war er nicht ansprechbar. Wer es dennoch versuchte, bekam zu hören: » Keine Zeit, ich bin beim Sport! « Dieser geistig rege und interessierte alte Mann, hat mich sehr beeindruckt. Kein Wunder, dass sein Neffe, ein Vegetarier, in der Spitzengruppe der über 80-Jährigen heute noch erfolgreich an Marathonläufen teilnimmt. Ein bedeutender Förderer der Heimschule und des Seminars war unser

Mathematik-Lehrer Otto Zug:  Ein eher kleiner, beleibter, geistig vitaler Schwabe, der als Junggeselle alle seine Fähigkeiten und Beziehungen in den Dienst der Schule stellte. Er besaß unter anderem reichhaltige, kunstvolle Sammlungen verschiedener Tischdekorationen, die er bei gesellschaftlichen Anlässen der Schule und des Seminars gerne zur Verfügung stellte. Er konnte knitz lächeln, wenn man ihn belobigend auf die teueren, kunstvollen Gegenstände ansprach. Otto Zug kannte sich in der Gemeinde Sasbach, sowie in den im Rat vorherrschenden politischen Tendenzen gut aus, und nutzte seine ökonomischen Kenntnisse, bei Verhandlungen mit der Gemeinde, im Interesse der Schule mit schwäbischem Geschick, und allseits bekannter Beharrlichkeit. Als erfahrener Mathematik-Lehrer verfügte er über besondere pädagogische Fähigkeiten, abstrakte Zusammenhänge so bildhaft und aktivierend zu behandeln, dass seine Schüler solche Szenen ein Leben lang nicht mehr vergessen konnten: Er kam eines Tages in den Unterricht und rief Jochen zu unserer Überraschung nach vorne. Jochen war gewiss kein reines Lämmchen. Wir fanden aber trotz unseres angestrengten Bemühens mit Signalen und Blickkontakten, nicht heraus, was er verbrochen haben könnte. Unser Lehrer schien die Erregung im Klassenzimmer zu bemerken, und mit einem zufriedenen Lächeln zu genießen. Dann rief er Josef nach vorne und stellte beide neben einander. Ohne Zweifel, Jochen war ein ganzes Stück kleiner als Josef. Darauf verwiesen auch die Gesten von Herrn Zug. Pause, was nun? Und dann eine fragende Handbewegung unseres Lehrers mit seinem berühmten »T´ja?« Worauf wollte er hinaus? Herr Zug holte hinter seinem Pult einen roten Zylinder hervor, setzt ihn Jochen auf den Kopf und erklärte uns, als stünden wir vor einer großen Entdeckung: »Jochen, plus Zylinder, ist jetzt gleich groß, wie Josef, ohne Zylinder.« Auch bei mathematisch weniger begabten Schülern, machte es fast hörbar »klick«, denn unser Lehrer hatte uns für alle Zeiten klar gemacht, was eine Gleichung sei. Wir waren uns sicher, dass unser realitätsbezogener, praktisch aus gerichteter Mathematik-Lehrer ein frommer Mann sei. Es gelang ihm, uns immer wieder davon zu überzeugen. Wo möglich, versuchte er Brücken zwischen mathematischen und religiösen Fragen zu bauen: Wir waren beim Thema »Parallelen«. Er verwies auf eine Zeichnung, die Parallelen an der Tafel darstellte. Dann drehte er sich um, ließ eine Pause entstehen und wirkte, wie jemand, der dabei ist, eine Entdeckung zu machen: »Das, erklärte er, und verwies auf die Zeichnung an der Tafel, sind Parallelen«. Er drehte sich langsam zu uns um und deutete mit Handbewegungen und seinem bekannten »T´ja« an, dass da noch etwas war. Nach einer Pause folgte dann die Frage: »Und wo schneiden sich die Parallelen?«, um dann verschmitzt hinzu zu fügen: »Etwa beim lieben Gott?« Wir versuchten zu verstehen: Einen mathematischen Gottesbeweis hatte unser Lehrer nicht erbracht und wollte das auch nicht. Ihm ging es um mehr. Er bezeugte uns mit dieser Geste, seinen Glauben an die Existenz Gottes. Wir wurden nachdenklich, denn wir waren ja unterwegs, um einmal selbst als glaubwürdige Zeugen, Menschen zu Gott zu führen. Bis dahin war aber noch ein weiter Weg und es bedurfte tatkräftiger Hilfe guter Menschen und deren Glaubenszeugnis, um uns auf unserem Wege beizustehen.

Wir Seminaristen lernten uns gegenseitig in Schule und Alltag näher kennen. Jeder von uns im Kurs, hatte besondere Stärken und Schwächen. Da wir mehrere Jahre zusammenwohnten, lebten und lernten, wuchsen wir, wie selbstverständlich, zu einer verschworenen Gemeinschaft zusammen. Dies wurde auch bemerkt. Manche sprachen von einem »Wunderkurs?« Als Ältester entwickelte ich freundschaftlich-fürsorgliche Gefühle zu meinen Klassenkameraden. Manche nannten mich gelegentlich Papa. Ich musste diese „liebevolle Anrede“ nicht zurückweisen. Saßen wir doch alle, ohne Ausnahme, im gleichen Boot, von ähnlichen Sorgen und Fragen umgetrieben. Jeder durfte und konnte seine speziellen Talente einbringen. Wir brauchten diese guten Gaben Gottes in allen Formen: Oft hat uns Gerhard sonntags mit Musik geweckt, in seine Verehrung Mozarts einbezogen, und uns auf den anschließenden Gottesdienst in der Heimkirche eingestimmt. Er verfügte auch über ein unerschöpfliches Repertoire an Witzen. Witze zu jeder Gelegenheit – und er konnte sie perfekt erzählen. Wenn ihm ein geneigtes Publikum zuhörte, lief er zur Hochform auf. Wer diese Fähigkeit Gerhards schätzte, konnte erkennen, dass er seine Witze liebte, die Pointen geschickt ansteuerte, den Beifall genoss, dabei ein Pokergesicht aufsetzte, und mit einem verschmitzten Lächeln die Zuhörer anregte, noch einige Witze hören zu wollen. Wo und wie einige Freunde von uns an Wochenenden die freie Zeit zur Erkundung der Umgebung nutzten, wann und wie sie zu später Stunde wieder unauffällig ins Seminar zurückkehrten, blieb mir größtenteils verborgen. Ich hatte aber auch Lust, meine freie Zeit nicht im Hause abzusitzen: In einer Zeitungsanzeige machte der Besitzer eines nahegelegenen Gestüts darauf aufmerksam, dass es zu günstigen Konditionen möglich wäre, bei ihm zu reiten. Jochen erklärte sich bereit, mit mir das Angebot zu prüfen. Wir rechneten fest damit, einen größeren Teil unseres Kurses für diese Idee gewinnen zu können, falls wir einen passablen Preis für das Reit-Vergnügen aushandeln könnten. Wir waren guter Dinge und marschierten los. Nach einiger Zeit fanden wir die Ortschaft – nicht sehr groß – nur das Gestüt konnten wir nicht entdecken. Schon wollten wir enttäuscht umkehren, da bemerkten wir ein Bauernhaus, an das sich ein merkwürdiger Zaun aus Schilfrohr anschloss. Hinter dem Zaun befand sich eine freie Fläche auf der tatsächlich ein Pferd und ein Maulesel standen. Es kam ein Mann auf uns zu, der sich als Besitzer des »in der Tat sehr kleinen Gestütes« vorstellte. Blitzschnell erfassten wir die Lage: Dieses Angebot war nicht geeignet, um unserem Kurs Reiterfreuden zu ermöglichen. Wir disponierten um und erklärten, dass wir reiten wollten. Damit hatte der Besitzer offensichtlich gerechnet. Er war sehr bemüht, unsere Fragen zu beantworten, als befürchte er, die »seltenen Interessenten« könnten sich unzufrieden wieder abwenden. Wir hatten aber keine Lust, nach dem längeren Fußmarsch, einfach aufzugeben. Eher lockte uns die Chance, unter den gegebenen Umständen einen günstigen Preis für die Reitstunde aushandeln zu können. Wir einigten uns, wie erwartet. Dann musterte der »Reitlehrer? « uns und erklärte: » Sie, er deutete auf mich, reiten auf dem Pferd, und Sie, damit meinte er Jochen, als „Leichtgewicht“ auf dem Maulesel! « Irgendwie kamen wir in die Sättel und wurden einige Runden an der Longe im Kreis geführt. Der Besitzer beobachtete uns und stellte fest, dass ich reiten könne. Ich war überrascht, denn ich hatte nicht die geringste Ahnung, wie ich ein Pferd „lenken“ sollte. Ich entgegnete: »Reiten könne ich nicht, ich hätte aber schon einige „Western-Filme“ gesehen und sei als Schlagzeuger mit einem sicheren „Rhythmusgefühl“ ausgestattet. Das war es dann schon. Bald darauf ritten wir aus und es fühlte sich gut an, hoch zu Pferden zu sitzen. Vor mir ritt oder trippelte Jochen mit dem Maulesel. Es war ein Bild für die Götter. In meiner Fantasie gab ich Jochen eine Lanze und ein Schild und fertig war »Don Quijote«. Diese Vorstellung drängte sich spontan so sehr auf, dass ich das Lachen nicht mehr unterdrücken konnte. Die Schadenfreude dauerte allerdings nicht lange: Mein Pferd setzte aus mir unbekannten Gründen zum Galopp an, und blieb plötzlich, indem es die Vorderbeine schräg anstemmte, aus vollem Lauf, wie angewurzelt stehen. Ich hatte keine Schwierigkeiten aus dem Sattel zu kommen, denn mit einem Salto über den Kopf des Pferdes landete ich in einer lehmigen Wasserpfütze. Ich drehte mich verblüfft um und hatte den sicheren Eindruck, als ob das Pferd mich an- oder gar auslachte. Größeren Schaden hatte ich nicht genommen, doch allen Anlass, mich mit dem beschmutzten und feuchten Hinterteil nach Hause zu begeben. Zeit, mich umzuziehen, hatte ich nicht. So zog ich, feucht und verdreckt, wie ich war, mit Jochen zusammen in den Speisesaal ein. Wie ein Lauffeuer ging die Nachricht von meiner missglückten Reitstunde von Tisch zu Tisch und sorgte für entsprechenden Spott und Gelächter. Jochen war auch ein begabter Situationskomiker. Er brauchte dazu nur einige Gläser Bier, ein interessiertes Publikum, das ihn anfeuerte, und einen ebenso fantasiebegabten Mitspieler. Wenn er hierzu mit Günter eine spontane Nummer zum Besten gab, konnte man sich nicht mehr halten. Jochen verstand es, mit seinem ansteckenden Humor, uns oft die Alltagssorgen von der Stirn zu wischen, wie eine Mutter ihrem Kind die Schmerzen, mit dem »Heile-Segen«. Unser Rektor hätte es sicher damals genau so gern gewusst, wie ich heute, wer von uns dabei war. Ich habe aber nur noch vage Erinnerungen, dass nach einer ausgiebigen und reichlich feuchten Sitzung im »Rebstock«, die Gemüter der Beteiligten so erhitzt waren, dass zur mitternächtlichen Stunde ein Bad im Dorfbrunnen, das einzige praktikable Mittel schien, um uns Abkühlung zu bieten. Tatsache: Der Dorfbrunnen übte eine magische Anziehungskraft auf uns aus. Wir kamen auf dem Weg nach Hause einfach nicht an diesem, aus vollen Rohren Wasser speienden Brunnen vorbei. Irgendeiner von uns prüfte die Wassertemperatur, und schwupp, war er drin. Dieses Ereignis löste in uns ein unerklärliches Verlangen aus, ihm nacheinander wie die Lemminge zu folgen. Die »Badeanstalt« war groß genug, um uns allen Platz zu bieten; lediglich die Schwimmversuche scheiterten kläglich an den Wasserrohren. Nach dem Motto, »einmal über und dann wieder unter Wasser, wie ein Seehund«, überwanden wir die Barrieren. Nach der Abkühlung wurde uns klarer, was sich da eben abgespielt haben musste. Nass, fröstelnd, und mit grün eingefärbten Kleidern, standen wir da, wie begossene Pudel. Kein Zweifel, wer so aussah, musste dabei gewesen sein. Irgendwann stellten wir fest, dass es in unserem Kurs musikalische Begabungen gab. Manfred spielte Akkordeon, Jürgen Trompete, Jochen Gitarre, Bernhard Piano, und ich ergatterte mir ein Schlagzeug. Wir probten mit Begeisterung. Ein Glück, dass ich früher in mehreren Bands gespielt hatte und wusste, wie sich Musik anhören sollte. Ein hoher Maßstab an mich und die Musiker. Es war bald klar, dass der Anspruch gesenkt werden musste. Schließlich drängte es uns, aufzutreten, denn wir hatten ein ausreichendes Repertoire erarbeitet. Wir hatten zwar keinen Gesangssolisten, dafür aber Jürgen. Wenn er sein »Il selentio« mit der Trompete schmetterte, konnten wir des Beifalls gewiss sein. An Ave-Maria im mehrstimmigen Chor hatten wir lange gearbeitet, bis dieser Titel uns gefiel. Mit dem Schlager „Die besseren älteren Herrn, gehen mal gern auf ne Angeltour“, mit arrangiertem Chorgesang, fanden wir immer Zugang zum Publikum. Höhepunkt war ein Auftritt in Achern, bei einer Tanzveranstaltung, zu der wir geladen waren. Unser Rektor gab der Bitte nach und wurde nicht enttäuscht. Die »Kapelle Schwung« der Spätberufenen erlebte mit ihrem begeisternden Auftritt einen vollen Erfolg.

Mit Beginn der Obertertia nahmen die schulischen Anforderungen zu. Oft ging es für uns Spätberufene an die Belastungsgrenzen. Nur wenige Klassenkameraden mussten aber die Schule verlassen. Ich hatte zeitweise große Mühe mit »Griechisch«, der zweiten Fremdsprache, und nahm, etwas beschämt, das Angebot zur Nachhilfe an, um über diese Hürde zu kommen. In dieser Zeit stand ich, ohne mein Wissen, unter strenger Beobachtung unseres Kurses. Erst viel später erzählten mir meine »Freunde«, dass ich zur Nachhilfe immer auffallend ordentlich gekleidet aus dem Hause ging. Sie vermuteten, dies könne damit zusammenhängen, dass eine Griechisch-Lehrerin, die wir alle sehr schätzten, diese Aufgabe übernahm. Bei dieser Gelegenheit gestanden sie mir auch, dass sie sich untereinander verständigt hätten, mich zu loben, wenn ich Ihnen gelegentlich stolz meine neuesten Bilder zur künstlerischen Begutachtung zeigte. Dr. Effinger verstand es, in personifizierter Gelassenheit, uns in Deutsch und Geschichte effizient auf das Abitur vorzubereiten, für den Reichtum der Literatur zu begeistern und uns kritisch in geschichtliche Zusammenhänge einzuführen. In der Art, wie er Themenschwerpunkte auswählte, und im Dialog mit uns hierzu Position bezog, war zu erkennen, wie sehr ihm daran gelegen war, uns das christlich-humanistische Bildungsideal zu vermitteln. Obwohl er viele Jahre mit der Oberstufe arbeitete, blieb sein Unterricht erstaunlich lebendig. Man merkte ihm an, dass er von Dingen sprach, die ihm selbst viel bedeuteten. Wenn er, mit dem Oberkörper entspannt zurückgelehnt, hinter seinem Pult, seine langen Beine nach vorne schob, und den Oberlippenbart gelegentlich kraulte, hatte man das Bild eines Menschen vor Augen, der auch in schwierigen Situationen in der Lage schien, Ruhe zu bewahren. Sein schlankes, von Falten gegerbtes Gesicht, der stets wache Blick, die naturgewellten, noch dunklen Haare, passten zu dem großen, schlanken, nicht unbedingt sportlich, eher schlaksig wirkenden Mann. Sein Rat wurde auch im Kollegenkreis sehr geschätzt.

Als Klassen- und Haussprecher war ich oft gefordert, bei unterschiedlichsten Anlässen einige Sätze zu sagen. Gelegentlich belustigten sich meine Freunde auch, wenn sie mich mit vereinten Kräften lauthals aufforderten: »Franz, sag was! « Ich habe diesen leichten Spott, ohne Schaden zu nehmen, überstanden. Ein Ereignis blieb mir aber besonders in Erinnerung: Der hochwürdige Herr Erzbischof von Freiburg mit seinem Gefolge, war zu einer Besichtigung des Schulneubaues angesagt. Ein besonderer Festtag für die Heimschule und unser Seminar. Die Erwartung des hohen Gastes und die Vorbereitungen für seinen Empfang erregten bereits Tage zuvor die Gemüter der Schulleitung, des Lehrerkollegiums, und leicht abgeschwächt, auch der Schüler. Man spürte Anspannung in allen Bereichen der Schule, galt es doch den Festtag so zu gestalten, dass unsere Gäste mit einem guten Eindruck und der Gewissheit nach Hause fahren konnten, Investitionen in Sasbach lohnten sich. Mir oblag es, der hohen Geistlichkeit als Schülervertreter für die wohlwollende Unterstützung in jeder Form zu danken. Ich musste davon ausgehen, dass zum offiziellen Empfang außer den Gästen aus Freiburg, alles was Rang und Namen hatte in der Heimschule, St. Pirmin, der Öffentlichkeit, Politik und Presse etc., einen exzellenten Rahmen bilden würden, vor dem ich zum ersten Mal zu sprechen hatte. Bei diesen Überlegungen war mir nicht ganz wohl zumute. Es half aber nichts; ich musste mir einige Sätze einfallen lassen und hoffte sehr, dieser Aufgabe gewachsen zu sein. Einigermaßen vorbereitet, saß ich als Redner in der ersten Reihe der Aula, und bekam in meiner Aufregung nicht mehr mit, was sich an Prominenz in den vielen Reihen hinter mir eingefunden hatte. Die Spannung steigerte sich, denn die Besichtung des Neubaues nahm mehr Zeit in Anspruch, als vorgesehen war. Das Herz schlug mir bis zum Halse. Dennoch versuchte ich, gelassen zu wirken und harrte der Dinge, die auf mich zukommen würden. Nach beunruhigend langem Warten, betrat der Erzbischof mit seiner Begleitung den Raum. Es dauerte zum Glück nicht mehr lange, bis zu meinem Auftritt: Als ich schließlich dem Erzbischof gegenüberstand, schien er mir klein und schmächtig, gar nicht groß und erhaben. Seine Hände, in denen er ein Programm hielt, zitterten mächtig. In diesem Augenblick überfiel mich ein großes Mitleid mit dem Hirten der Diözese. Sein Zittern berührte mich. Ich hatte so etwas nicht erwartet. Die Spannung wich wie ein Wunder momentan von mir. Meine Worte kamen bei dem Erzbischof an. Er bedankte sich. Eine Last fiel von meinen Schultern, als Beifall einsetzte, der mir zeigte, dass ich im Sinne der Anwesenden gesprochen hatte.

Das Ziel unseres Aufenthaltes in Sasbach, die Reifeprüfung, rückte immer näher. Wir waren in der Oberprima in allen Fächern angestrengt dabei, uns auf das Examen vorzubereiten. Gleichzeitig wussten wir, dass es galt, in absehbarer Zeit Abschied von unserem zu Hause in St. Pirmin, und der uns lieb gewordenen Region um Sasbach zu nehmen. In Gruppen wanderten wir in der karg bemessenen Freizeit nach Sasbach-Ried und hinauf auf die Höhe nach Sasbachwalden, um dort bei einem Imbiss und dem vorzüglichen Wein, Abstand von den Prüfungsvorbereitungen zu gewinnen und mit frohen Liedern nach Hause zu wandern. Mehr, als je zuvor, bestürmten wir unsere treuen Schutzengel, den Herrn und die Gottesmutter in unseren Gebeten, Gottesdiensten und Wahlfahrten, uns auf unserem Weg zur Seite zu stehen. Wir wussten, unser guter Wille und die Vorbereitungen können nur zum Ziel führen, wenn Gottes Segen uns hält und trägt. Es lagen aber noch anstrengende Monate vor uns. Jeder kannte seine Schwächen, an denen er noch zu arbeiten hatte. So weit es an uns lag, halfen wir uns auch gegenseitig. Ich hatte den Eindruck, als ob mich Herr Serrer, unser Chemielehrer, der nicht viel älter war als ich, im Unterschied zu meinen anderen Kameraden, seltener abhörte. Er musste mich aber benoten und ich rechnete fest damit, dass er mich nicht verschonen würde und mein Wissen in Chemie prüfen werde. Die kritische Selbsteinschätzung erlaubte mir, keine großen Hoffnungen auf Erfolg in diesem Fach. In meiner Not, bat ich meinen Freund Manfred, der in Chemie sehr erfahren war, mir Nachhilfe zu geben. Die Zeit drängte, denn andern tags rechnete ich mit der mündlichen Prüfung. Manfred sagte zu und wir trafen uns zu diesem Vorhaben für einige Stunden in Gottes freier Natur, am Vortag der erwarteten Prüfung. Wir beide kannten uns gut, sodass ich es ohne Scheu wagen konnte, meinem Freund reinen Wein einzuschenken. Ich hatte tatsächlich Chemie stiefmütterlich behandelt, um Zeit für die Kernfächer zu gewinnen. Manfred begann mich schonend abzufragen, bemerkte aber bald, dass meine Kenntnisse äußerst dürftig waren. Er kommentierte: Mit Schwächen habe er gerechnet, aber keineswegs mit einem derartigen Minimum an Fachwissen. Dennoch ging Manfred mutig daran, mich in Chemie zu präparieren. Dies gelang ihm auf erstaunlich gute Weise. Ich entwickelte nach dieser Prozedur die etwas überhebliche Vorstellung, in diesen wenigen Stunden wirklich etwas von Chemie verstanden zu haben. Darüber wunderten wir uns beide sehr. An meinen Fähigkeiten zu lernen, konnte es folglich nicht gelegen haben, sondern eher an der geringen Beschäftigung mit dem Thema. Wie befürchtet und erwartet, rief mich Herr Serrer am nächsten Tag in Chemie auf. Es tröstete mich zu sehen, dass es ihm sichtlich schwerfiel, mich zu examinieren. Die Prüfungsvorbereitung durch meinen Freund zeigte aber erstaunliche Wirkung. Weniger hilfreich schienen mir die Signale meiner Klassenkameraden, die ich nicht zu deuten vermochte. Mir erscheint es auch heute noch wie ein kleines Wunder, auf welch mysteriöse Weise ich zu einem guten Examen in Chemie gekommen bin. Herr Blechinger, ein großgewachsener, sportlich wirkender Lehrer, hatte die Aufgabe übernommen, uns in Mathematik auf das Abitur vorzubereiten. Im Hinblick auf die Kurzschuljahre gab es eine Sonderregelung. Wir hatten mit seiner Hilfe fünfundzwanzig mathematische Beweise zu erarbeiten, aus denen wir Abiturienten einige Aufgaben gestellt bekamen. Es war eine Menge zu tun, aber immerhin konnte man sich auf eine begrenzte Fragestellung vorbereiten. Auch weniger befähigte Mathematiker durften daher hoffen, an dieser Hürde nicht zu scheitern. Die letzte Phase der Vorbereitung auf die Reifeprüfung war nicht nur von einer zunehmenden Anspannung, sondern auch von der Erfahrung wohlwollender Begleitung geprägt. Die verschworene Gemeinschaft bewährte sich nicht nur in unserem Kurs. Die jüngeren Seminaristen, unser Schulleiter, der Rektor, die Lehrer, der Präfekt, Spiritual und die Schwestern waren im Geiste St. Pirmins am Gelingen unseres Vorhabens interessiert und trugen ihren je spezifischen Teil dazu bei, uns in den schwierigen letzten Wochen vor dem Abitur und während der Prüfungen zu unterstützen. Es lässt sich kaum beschreiben, welche Gefühle uns bewegten, 1967, nach fünfeinhalb Jahren, in einem feierlichen Festakt die Reifeprüfungszeugnisse in Händen zu halten. Noch einmal tauchte das Wort vom »Wunderkurs« auf, als die vielen Preise aufgerufen wurden, die wir gesammelt hatten. Mein Beitrag hierzu war der »Scheffel-Preis« des Volksbundes für Dichtung. Als Freund der deutschen Sprache und Liebhaber der Literatur, berührte es mich besonders, gerade diesen Preis zu erhalten.

Wir hatten alle mit vielen Fragen unseren Weg 1962 in Sasbach begonnen und nun, 1967, das Abitur, die Voraussetzung zum Studium, bestanden. Wieder ergaben sich andere Fragen und Hoffnungen: Wird es gelingen, auch das Studium der Philosophie und Theologie erfolgreich zu beenden, um unserem Ziel, Priester zu werden, ein weiteres Stück näher zu kommen? Den Text von Friedrich Schiller auf einer schön gestalteten Karte: »Wisset, ein erhabener Sinn, legt das Große in das Leben und er sucht es nicht darin«, haben sechzehn glückliche Abiturenten mit ihrem Namen unterschrieben, um die »frohe Botschaft« vom bestandenen Abitur weiter zu tragen. In Sasbach wurde aber auch Freundschaften geschlossen, Werte vermittelt und unser Glaube gefestigt. Ich bin sicher, dass uns für alles tiefe Dankbarkeit erfüllt, gegenüber den Menschen, die an diesem Erfolg beteiligt sind. Und es scheint mir, als ob meine Freunde ihrem alten Klassensprecher, wie früher, zurufen würdet: »Franz, sag was!« Ihr sollt das »Wichtigste« von mir hören. Ich sage es Euch, aber ich brauche Euch alle dazu: Jesus Christus, der Herr, hat jeden von uns einmal angesprochen, und uns in Sasbach zusammengeführt. Er war und bleibt der unbestrittene Mittelpunkt unserer und jeder christlichen Gemeinschaft. Wisst Ihr noch, wie wir gelegentlich vor dem ausgesetzten »Allerheiligsten« in der Heimkirche beteten? Könnt Ihr Euch vorstellen, dass wir auch heute, zusammen mit unserem Rektor, und allen Menschen, die uns lieb und teuer sind, in einer Kirche, die für die ganze Welt Platz hat, dem Herrn danken, Ihn loben und um Schutz und Beistand bitten? Hört Ihr mich jetzt singen? Ich stimme das „Tantum ergo…“ an. Und da geschieht ein Wunder: Unser Rektor Oberle zeigt uns die »Monstranz mit dem Herrn in Brotsgestalt« und erteilt uns den Segen.

Leider hat sich die Hoffnung, das Spätberufenenseminar ST. Pirmin in Sasbach zu erhalten, nicht erfüllt. Umso wichtiger wurde es für mich, noch einmal an unseren „Wunderkurs“ und die Arbeit all derer zu erinnern, die uns Seminaristen zum Abitur führten. Ich wollte auch Ihnen, liebe Leser, einen Eindruck vermitteln, was wir vermissen und uns damit trösten, dass Jungen und Mädchen heute noch in der Heimschule Lender in Sasbach, unter guten Bedingungen das Abitur erwerben können. Alle, die in ST. Pirmin zum Abitur geführt wurden, danken der Erzdiözese Freiburg, dass wir als Spätberufene noch studieren konnten, um als Priester oder in anderen Berufen segensreich zu wirken.

Geborgen in der Kirche
Geborgen im Glauben Hoffen und Lieben.

 

 

 

 

 

Der Allerheiligste

Ewiger, Gegenwärtiger Schöpfer und Herr, hilf uns beten und über DICH reden. O Gott, von dem wir alles haben, wir danken DIR für DEINE Gaben, und preisen DICH, weil DU uns liebst, o segne auch was DU uns gibst. Wer lässt uns mit SICH reden, und was bewegt uns, dies zu tun. Versuchen wir in der unaussprechlichen Freude über Gott. über das Allerheiligste nachzudenken, und zu bekennen was geschieht. Es ist Heilszeit und heiliger Boden, auf dem wir es wagen, zu Gott dem Allerheiligsten aufzuschauen, der uns SEINEN geheimnisvollen Namen nennt. Wir sollen, wenn wir es wagen zu beten, IHM danken. IHN loben und preisen, für alles was wir sind und haben, denn ohne IHN, welch ein Grauen, sind und haben wir nichts. ER ist das Maß aller Dinge, ohne IHN existiert nichts.

Reden wir daher im Namen des Herrn, der alles erschaffen hat mit allergrößter Ehrfurcht vom Allerheiligsten „ICH BIN DER ICH BIN DA“. Wir sind dann nie allein. ER ist der in der Monstranz aller Zeiten, aller Geschlechter, und in Ewigkeit verehrte Allerheiligste Gott Abrahams, Isaaks, Jakobs, Moses und aller Propheten mit dem wir es im Glauben auch heute wagen zu reden. Verleih o Gott. meinen Worten Gewicht, damit die Armen unserer Zeit, und wer ist vor Gott nicht arm, getröstet und ermutigt werden. Dieser Allerheiligste Gott. ohne den wir arm, krank, hungrig und durstig sind, hat uns ein Heer von Glaubenzeugen bis zu Johannes dem Täufer geschenkt, der es nicht wagte, DEM der nach ihm kommt, die Schuhriemen zu lösen. Da leuchtet der Morgenstern, die von Gott erwählte Jungfrau Maria auf. Sie glaubt, und empfängt im Heiligen Geist, das eine ewige Wort Gottes, und schenkt uns durch sie, den Gottes- und Menschensohn Jesus Christus. Nur ER kennt den Allerheiligsten, gibt uns Kunde von IHM und lehrt uns, was im Willen des Allerheiligsten Glauben Hoffen und Lieben ist. Jesus Christus ist das vollkommene DA für Gott als SEINEN und unseren Vater, und für uns, und alles was es in Gottes Namen gibt. Die Herrlichkeit des Allerheiligsten wird durch IHN offenbar als Vater Sohn und Heiliger Geist, die ewige Quelle aller guten Gaben auch für uns. ER ist die sichtbare Gestalt der Liebe des Allerheiligsten, zu allen Menschen und Geschöpfen. ER ist der vollkommene Zeuge für das SEIN Gottes, des ICH BIN, und das ewig zeugende DER ICH BIN DA, des Allerheiligsten. Jesu Leben, der Tod am Kreuz, und SEINE Auferstehung, ist die Vergebung unsrer Sünde und Schuld, in der Hoffnung auf ein ewiges Leben mit dem Vater Sohn und Heiligen Geist. In der Würde unserer Gottebenbildlichkeit, dürfen wir im Gnadengeschenk Gottes voll Freude bekennen: Wie der Allerhöchste, Allerheiligste „ICH BIN DER ICHBIN DA“, Quelle aller Liebe, allen Heiles, und alles Guten für uns ist, so sind wir, als Ebenbilder Gottes, das ich bin der ich bin da, für Gott den Vater, Sohn und Heiligen Geist, und alles was SEIN ist, im Himmel und auf Erden.

Es segne und behüte uns, allezeit und in Ewigkeit der „ICH BIN DER ICH BIN DA“, unser über alles geliebter ewiger Vater, Sohn und Heiliger Geist.

Geborgen in der Kirche
Geborgen im Glauben Hoffen und Lieben.

 

 

 

Eine Kindergeschichte

Lange vor ihrer Geburt, von Mama, Papa, den Großeltern und der ganzen Verwandtschaft sehnlichst erwartet, kam Sophia in Erlangen, einer fränkischen Universitätsstadt, zur Welt. Sie war ein munteres, lernbegieriges Mädchen und spielte gern zu Hause und im Kindergarten mit ihren Freunden und Freundinnen. Wie so oft, vergnügte sie sich an diesem schönen Sommertag im nahe gelegenen See. Plötzlich tauchte sie, ohne einen Laut von sich zu geben, unter. Ihre Mama, die sie beobachtete, stürzte entsetzt  zur Unglücksstelle und zog die kaum überraschte, putzmuntere Sophia, wieder  aus dem Wasser.

Sophia liebte Gesellschaft und unterhielt auch oft ihre Eltern und deren Gäste ausdauernd mit zirkusreifen Attraktionen und Tänzen. Sie begleitete ihre Mama bei Einkäufen und achtete sehr darauf, daß auch ihre Wünsche respektiert wurden. Nach anstrengenden Spieltagen fiel es ihr oft sehr schwer, Ruhe zu finden und einzuschlafen. Durch ihr freundliches Wesen und ihre Spielfreude, gelang es ihr leicht, Mittelpunkt zu sein und bei Besuchen ihre Großeltern zu begeistern. Kaum angekommen, wurden die dort gelagerten Spielzeuge ausgeräumt. Im Handumdrehen verwandelte sie die Wohnungen in ihr Kinderzimmer. Inmitten aller Schätze fühlte sie sich offensichtlich pudelwohl. Zunehmend entdeckte sie das Telefon und bestand hartnäckig darauf, ausreichend mit ihrer Verwandtschaft zu telefonieren. Am Bodensee kam dann zur Weihnachtszeit das lang ersehnte Brüderchen Niklas zur Welt. Von allen, auch den Tanten und Großeltern sehr umworben, drehte sich zunächst alles nur um den Kleinen. Es war gar nicht so einfach für Sophia, sich auf dieses “winzige Brüderchen” einzustellen, das gar nichts anderes konnte als schlafen, trinken und ein wenig lächeln. Er wuchs aber rasch und wurde zusehends munterer, so dass von ihm sicher noch einige Überraschungen zu erwarten sind.

Sophias Kindergartenzeit war inzwischen vorbei. Sie hatte schon oft ihre neue Schultasche geschultert. Nun war es endlich so weit: Ein großer Möbelwagen stand voll gepackt vor dem Haus. Auch das Kinderzimmer und die Spielsachen waren verstaut, denn zum Schulbeginn stand ein Umzug vom schönen Bodensee nach dem noch unbekannten DEN HAAG bevor. Oli hatte schon ein Haus ausgesucht und den Einzug vorbereitet. Es gab sogar einen Hund in der Nachbarschaft. Zum Schulbeginn hatten die Großeltern ihren Besuch angesagt. Nun galt es, sich wieder einmal zu verabschieden und zu hoffen, dass es auch in der neuen Umgebung wieder Kinder zum Spielen geben würde.

Solltest Du, liebe Sophia in der neuen Umgebung einmal keinen Freund oder Freundin zum Spielen finden, nicht telefonieren können, sollte Dir einmal gar nichts einfallen, was Freude machen könnte, die Schule lästig werden oder Dein Bruder Dich ärgern, dann könntest Du die kleine Geschichte lesen oder Dir vorlesen lassen, die Dein Großvater Dir lange versprochen und nun endlich geschrieben hat. Nun gut aufgepaßt, die Geschichte geht so:

 

Wie so oft, konnte Sophia nach einem erlebnisreichen Tag  einfach nicht einschlafen. Immer wieder stand sie bittend an der Tür, um mit Oli oder Mama noch eine ganz „wichtige Sache“ zu besprechen. Niklas war schon  lange eingeschlafen. Nachdem Oli sich beharrlich weigerte, versuchte es Mama noch ein “allerletztes Mal” mit einer Hunde-geschichte und einem erneuten Nachtgebet. Endlich fand Sophia Ruhe und schlief ein.

In dieser Nacht hatte sie einen ganz besonderen Traum: Ihr Kinderzimmer mit den vielen Pferden, Tieren und Artisten verwandelte sich plötzlich in einen wunderschönen großen Zirkus mit einem mächtigen Zelt, einer Kasse und einer Manege. Über dem Künstlereingang, der durch einen mit blauen Sternen geschmückten Vorhang von der Manege getrennt war, befand sich ein Podium für das Zirkusorchester. Ringsum gab es viele Plätze für das Publikum und ganz vorne waren Logenplätze eingerichtet. Hoch oben konnte man ein Netz entdecken und Drahtseile für die Hochseilartisten. An den Masten, die das Zirkuszelt trugen, waren Scheinwerfer befestigt, um das Zelt und die Artisten nach Belieben in unterschiedliches Licht zu tauchen. Die Logenplätze waren besonders weich, mit rotem Leder gepolstert. Über den beiden großen Kassen neben dem Eingang zum Vorzelt konnte man im hellen Licht der vielen bunten Leuchten den  Zirkusnamen “SCHWALDINI ” erkennen. In einem großen Kreis hatte man die  Wagen der Artisten und Tiere zu einer kleinen Zirkusstadt zusam-mengestellt. Aber seltsam, Sophia bemerkte, dass die Gegenstände im Traum, den Spielsachen glichen, die sie in ihrem Kinderzimmer benutzte, wenn sie Zirkus spielte. Sie waren aber verwandelt und plötzlich so groß wie in Wirklichkeit. Sie konnte das zunächst gar nicht glauben, dann aber dachte sie, wie schön, dass meine bekannten Spielzeuge in diesem “besonderen Traum” wieder auftauchen.  Sophia war im Traum auch nicht mehr klein wie eine Erstklässlerin. Sie durfte wie die Erwachsenen in die abendliche Eröffnungsvorstellung gehen. An einer der großen Kassen kaufte sie bei einer freundlichen Dame eine Karte für einen Logenplatz und hatte noch so viel Geld übrig, dass es für einige Süßigkeiten ausreichte, die man im Vorzelt kaufen konnte. Die Zirkusmusik spielte schon, so dass es Sophia kaum erwarten konnte, ins Zelt eingelassen zu werden, um ja nichts zu verpassen. Mit vielen anderen Menschen zusammen drängte sie zum Zelteingang. Dort stand ein Platzanweiser wie ein Gardeoffi-zier. Er trug eine rote Uniform mit Goldknöpfen. Dieser staunte nicht schlecht, als Sophia ihre Karte für einen Logenplatz zeigte. Er geleitete sie mit einer höflichen Verbeugung an ihren Platz. Dort saß sie nun wie eine Königin auf ihrem roten Lederstuhl. Ganz nahe war sie dem Geschehen in der Manege und konnte alles  genau sehen und hören. Der große Zirkus füllte sich immer mehr bis auf den letzten Platz. Das Zirkusorchester unterhielt die Besucher mit schmissiger Musik. Vor Aufregung und Spannung bekam Sophia einen ganz roten Kopf. Sie sah sich nun im Zirkuszelt um. Zu ihrem Erstaunen bemerkte sie, dass alle ihre Freunde und Freundinnen von Herzogenaurach, Erlagen, vom schönen Bodensee und auch von DEN HAAG direkt neben ihr Platz genommen hatten. War das eine Freude, hier alle wieder zu sehen und einige Neuigkeiten und Süßigkeiten auszutauschen. Nun schaute sie sich die Empore über dem Künstlereingang mit dem Zirkusorchester näher an. Sie war sehr überrascht, als sie den Namen des Orchesters, der in Goldbuchstaben glänzte, entzifferte. Dort stand nämlich „HANS-HINGERL-BAND“. Wie kam Onkel Hans mit seiner Band  nach DEN HAAG? Fast hätte sich Sophia an einem Bonbon verschluckt, so überrascht war sie. Erst als Onkel Hans Sophia freundlich zulächelte, sich verbeugte und mit dem Taktstock winkte, konnte sie es zulassen, daß im Traum offensichtlich fast alles möglich ist.

Nun spielte das Orchester einen Tusch mit Trommelwirbel. Das ist das Zeichen, dass die Vorstellung beginnt. Der große blaue Künstlervorhang öffnete sich einen Spalt und der Zirkusdirektor betrat mit majestätischer Geste die Manege, um das Publikum zur Eröffnungsvorstellung zu begrüßen. Aber da konnte nun wirklich etwas nicht stimmen. Sophia entdeckte zu Ihrer großen Verwunderung, dass der Opa aus Oppenweiler in einem glänzenden roten Frack und einem dazu passenden Zylinder mitten in der Manege stand und sich vor dem Publikum verneigte. Noch erstaunter war Sophia, als der Zirkusdirektor-Opa sie und alle ihre Freunde und Freundinnen besonders begrüßte. Eine Freundin aus DEN HAAG, die neben Sophia Platz genommen hatte, konnte vor Überraschung nur noch stammeln: “Einen solchen Opa möchte ich auch haben”.

Und nun folgte ein Zirkusprogramm, das sich in der Schwierigkeit der Darbietungen immer mehr steigerte, so dass die Besucher aus dem Staunen nicht mehr herauskamen: Als erste Attraktion sagte der Zirkusdirektor die Vorführung edler Pferde an. Eine hübsche, in einen weißen Frack gekleidete Dame, die einen weißen Zylinder trug, der im Lichte der hellen Scheinwerfer glitzerte, betrat die Manege. Beifall brandete auf. Sophia traute für einen Moment ihren Augen nicht. Das war doch die Oma aus Oppenweiler, die ihre Pferde elegant vorführte. Aber was für Pferde waren das? Sophia kannte sie alle und ihre Namen. Es waren ja ihre Pferde aus dem Kinderzimmer. Sie waren aber im Traum lebendig, viel größer und konnten gehen, traben und galop-pieren. Sie trugen wunderschöne farbige Büsche auf dem Kopf, die hin und her wackelten, wenn sich die Pferde bewegten. Immer wenn die Oma mit ihrer langen Peitsche knallte, ordneten sich die Pferde wieder zu neuen Figuren. Sie gehorchten ihr aufs Wort und machten zum Abschluß sogar noch eine kleine Verbeugung. Es gab für diese Vorführung einen Riesenbeifall und die Pferde verließen durch den blauen Vorhang die Manege. Sophia war sich fast sicher, daß ihr die Oma nach dieser Vorführung noch einmal kurz zu winkte.

Der Direktor betrat nun die Manege wieder, um die nächste Dar-bietung anzusagen. Es war eine Hundenummer. Eine Dame betrat, umringt von ihren quietsch-lebendigen Hunden, die Manege. Sie hatte ein gelbes Kostüm an und winkte dem Publikum elegant mit Kusshändchen zu. Es war, Sophia konnte es fast nicht glauben, die Oma aus Herzogenaurach. Die Hunde, die sie vorführte, waren Sophia auch bekannt. Es waren tatsächlich ihre Spielhunde, die aber nun im Traum plötzlich größer waren und sehr temperamentvoll herumtobten. Die Oma hatte alle Mühe, diese aufgebrachte Herde zu kontrollieren. Die Hunde legten sich auf Kommando auf den Bauch, machten Männchen, hüpften über kleine Gitter, legten sich zum Abschluß eine kurze Weile dicht neben einander, um dann in einem Höllentempo durch den blauen Vorhang hinaus zu stürmen. Mit großem Beifall wurde diese Hundedressur vom Publikum und den Kindern belohnt.

Der Zirkusdirektor hatte nun wieder einen großen Auftritt: Die Musik spielte einen Tusch und es folgte die Ankündigung von Ar-tisten der Extraklasse: In ganz eng anliegenden blauen Trikots be-traten zwei Artisten die Manege. Sie waren muskulös und schienen gut vorbereitet. Sie führten gemeinsam Bodenakrobatik aus. Sophia erkannte die Künstler sofort: Der Opa von Herzogenaurach war Untermann. Auf dessen Schultern kletterte behende Papa. Opa streckte nun seine Arme nach oben, Micha faßte die Hände, streckte seine Beine nach vorne und unter einem Trommelwirbel stemmte er sich langsam in den Handstand. Sie freuten sich offensichtlich über den tosenden Beifall und führten immer wieder neue Kunststücke vor. Am Schluss verbeugten sich die Artisten, nicht ohne Sophia noch einmal freundlich zu winken und verließen die Manege. Wieder betrat der Zirkusdirektor die Manege und kündigte eine Clown-Nummer an. Die Manege betrat ein Clown, der sehr lustig bekleidet war. Die Kleider waren ihm viel zu groß, ebenso die Schuhe, so dass er kaum gehen konnte. Mitten im Gesicht hatte er eine knallrote Nase und eine mit nur wenigen roten Haaren. An der Hand führte er einen gleich gekleideten, kleinen Clown. Sophia rieb sich verwundert die Augen. Der große Clown lachte sie tatsächlich freundlich an und der kleine machte eine artige Verbeugung. Erst beim genauen Hinsehen bemerkte Sophia wer die beiden waren. Es war die Tante Marlies als großer Clown und das Brüderchen Niklas als kleiner. Der kleine Clown konnte offensichtlich nicht reden, denn er hatte den ganzen Mund voll Wasser. Sie führten eine besondere Nummer vor: Als der große Clown den kleinen auf ein Podest gestellt hatte und zu ihm sagte: “Liebes Bienchen gib mir Honig!”, spritzte Niklas seine Tante zu deren Entsetzen von oben bis unten völlig naß. Das Publikum und die Kinder rasten vor Begeisterung. Nun betrat ein hübsches junges Mädchen mit weißen Stiefeln, einem weißen Röckchen und einer goldenen Pelzmütze als Zirkusprinzessin die Manege. Sie zeigte allen Anwesenden ein Schild mit der Aufschrift “PAUSE”. In der Vorhalle des Zirkuszeltes gab es während der Pause Süßigkeiten aller Art, Würstchen und reichlich Gelegenheit, mit den anderen Kindern über die Zirkusvorstellung und die damit verbundenen Erlebnisse zu reden. Einige nutzten die Pause, um alle Tiere in ihren Gehegen zu besichtigen.

Nach einiger Zeit setzte die Musik wieder ein zum Zeichen, daß die Pause beendet sei und alle Besucher strömten wieder auf ihre Plätze. Vor Sophias Augen befand sich nun ein Gitter, das offensichtlich dazu diente, die Zuschauer vor den gefährlichen Raubtieren zu schützen. Es ertönte ein Trommelwirbel und ein Tusch und der Zirkusdirektor kündigte mit großer Geste die anstehende gemischte Raubtierdressur an. In einem Lederanzug und Stiefeln betrat der Dompteur als erster den Raubtierkäfig. Sophia bekam es in diesem Moment mit der Angst zu tun, denn Oli hatte offensichtlich den Mut, als Raubtierbändiger aufzutreten. Ihm sollte doch nichts passieren! Nach und nach kamen Tiger, Panther und Löwen ins Gehege. Sophia kannte sie alle aus ihrem Spielzimmer. Jetzt aber waren sie größer, sehr behende und fauchten gefährlich ihren Dompteur an. Oli stellte verschiedene Pyramiden auf und die Tiere setzten sich in Gruppen  darauf. Dann nahm er einen Reifen, hielt ihn über den Kopf und alle Tiere mussten durch den Ring springen. Gegen Ende der Vorführung legten sich die Tiere friedlich nebeneinander und Oli durfte sie streicheln. Dann kam ein Trommelwirbel. Sophia schrie laut: » ” pass auf   Oli!” «, denn nun legte er seinen Kopf in das weit geöffnete Maul des größten Löwen. Unter tosendem Beifall verließen zunächst die Tiere, dann der Dompteur, der noch einmal Sophia zuwinkte, die Manege. Während die Gitter abgebaut wurden, unterhielten die beiden Clowns wieder das Publikum und die vielen Kinder. Der kleine Clown Niklas hatte eine Klatsche in den Händen und immer, wenn der große Clown sich umdrehte, bekam er kräftig Hiebe. Sobald er sich wieder wendete stand Niklas unter dem Gelächter des Publikums wieder da, als wäre nichts geschehen.

Nun kündigte der Zirkusdirektor zum Schluß der Vorstellung als Höhepunkt die weltbekannten SCHWALDINI-SISTERS an. Ein Tusch des Orchesters und ein Trommelwirbel begleiteten die drei Damen. Über ihren Trikots trugen sie einen goldenen Umhang. Als sie den Umhang ablegten, staunte Sophia sehr, denn diese Artisten sahen ihren Tanten Veronika, Christiane und Claudia zum verwechseln ähnlich. Sie könnten es, was im Traum durchaus möglich ist, sogar gewesen sein. Es sah schon sehr gefährlich aus, sie dort oben hoch über den Köpfen der Zuschauer bei ihren Vorführungen zu bewundern. Zunächst arbeiteten sie am Trapez. Claudia war die Fängerin und Christiane und Veronika schwangen sich auf ihrem Trapez hin und her, lösten sich dann und Claudia fing sie sicher auf. Daran schloß sich eine Balance-Vorführung auf dem Hochseil an. Unter einem Trommel-wirbel begab sich Claudia bis zur Mitte des Hochseils und machte dann ihren berühmten freihändigen Salto. Dann setzte sie sich auf ein Motorrad, fuhr bis zur Mitte des Seils und Veronika und Christiane führten auf ihren Trapezen unter dem Motorrad verwegene Kunst-stücke vor. Sophia blieb bei diesen Darbietungen fast das Herz stehen aus Angst, es könnte ihren Tanten etwas passieren. Es ging aber alles gut. Die Sisters stiegen herunter und verbeugten sich nicht ohne So-phia freundlich zu winken. Zum Abschluß trat der Zirkusdirektor noch einmal unter tosendem Beifall mit der ganzen SCHWALDINI-TRUPPE in der Manege auf und bedankte sich für den zahlreichen Besuch. Es war schon spät in der Traumnacht geworden. Sophia waren schon ab und zu die Augen ein wenig zugefallen. Alle Tiere in den Gehegen waren zur Ruhe gekommen und Sophia verabschiedete sich von ihren Freunden und Freundinnen.

Am folgenden Morgen gab es aber die größte Überraschung: Sophia wurde wie gewöhnlich von ihrer Mama geweckt und sah sich verdutzt in ihrem Kinderzimmer um. Sie sah alle ihre Spielsachen in Wirklichkeit wieder, den Zirkus und die Tiere, die unbeweglich und klein darauf warteten, von ihr wieder in die Hand genommen und zum Spiel aufgebaut zu werden. Jetzt aber wußte sie, daß Ihre Tiere “im Traum” auch groß und stark sein können und daß sie dann auch all ihren Freunden und Freundinnen und ihren Verwandten wieder begegnen könnte. Sie nahm sich fest vor, abends nicht mehr so oft darauf zu drängen, mit Oli oder Mama zu sprechen, um ja nicht einen schönen Traum zu verpassen. Und jetzt hatte sie für alle Fälle auch noch OPAS-GESCHICHTE als eine feine Unterhaltung, wenn sie sich alleine fühlen sollte. Sophia, sagt der Zirkusdirektor-Opa nun zum Schluß: “Mach schnell mal zur Probe Deine Augen zu und denk ganz fest an mich!”  Kannst Du mich in meinem roten Frack und Zylinder erkennen und sehen, daß ich Dich grüße? Und solltest Du einmal ausnahmsweise gar nichts sehen, dann sei ganz sicher, dass Dein Opa aus Oppenweiler Dir jetzt freundlich zu winkt. Du könntest Dir wie im Traum auch vorstellen, dass es alle, die Du lieb hast, auch wenn Du von ihnen eine Weile getrennt bist, noch gibt. Auch wir, alle Deine Verwandten und Freunde wissen, daß es Dich gibt. Wir wünschen Dir zusammen mit Deinen Eltern und Freunden in DEN HAAG eine gute Zeit und freuen uns auf ein baldiges Wiedersehen.

Für alle, die Dich lieb haben,
ein Druckerle von Opa Franz

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